Bei der Degeto, der Filmeinkaufsorganisation der ARD, ist eine Frauenquote eingeführt worden. Die Frage bleibt: Warum werden so wenige Filme von Regisseurinnen inszeniert?

Stuttgart - Bei der ARD ist der Fernsehfilm fest in weiblicher Hand: Fast alle entsprechenden Abteilungen werden von Frauen geleitet. Umso seltsamer ist das offenkundige Missverhältnis zwischen Regisseurinnen und Regisseuren: Laut der Initiative Pro Quote Regie wird nur rund jeder zehnte Fernsehfilm von einer Frau inszeniert. Fragt man nach den Gründen, hört man überall die fast gleichlautende Antwort. „Wir haben tolle Regisseurinnen, auch viele jüngere, aber die, die man verpflichten möchte, haben oft schon andere Projekte“, sagt die für die Freitagsfilme im Ersten zuständige Degeto-Geschäftsführerin Christine Strobl.

 

Bei den Produzenten klingt es ähnlich. Nico Hofmann („Unsere Mütter, unsere Väter“) lässt gerade für das ZDF den Dreiteiler „Berlin Kurfürstendamm“ drehen. Es geht darin um die sexuelle Identitätssuche dreier Frauen in den Fünfzigern; Regie führt mit Sven Bohse aber ein Mann. Hofmanns Erklärung: „Wir haben die zehn führenden deutschen Regisseurinnen angefragt, aber die hatten alle keine Zeit.“ Auch Gebhard Henke, Programmbereichsleiter Fernsehfilm, Kino und Serie beim WDR, versichert, es stecke kein Vorsatz hinter dem Missverhältnis: „Die guten Regisseurinnen sind auf Jahre hinaus ausgebucht, so dass am Ende doch wieder ein Regisseur beauftragt wird.“

Bei den Freitagsfilmen beträgt der Anteil der Regisseurinnen gut zwanzig Prozent. Damit sich das nicht zum Schlechteren ändert, hat die Degeto-Geschäftsführerin nun eine Frauenquote eingeführt. Die Gleichstellungsinitiative von Pro Quote Regie habe das Bewusstsein geschärft: „Nach einer Absage fragt man sich, mit wem man bei vergleichbaren Projekten schon gute Erfahrungen gemacht hat; und das sind rein statistisch gesehen eben oft Männer. Es ist auch bei uns noch nicht genügend in den Köpfen verankert, dass wir bewusst nach einer anderen Regisseurin suchen.“ Martina Zöllner, Leiterin der Hauptabteilung Film und Kultur beim SWR, hat die gleichen Erfahrungen gemacht: „Da es deutlich mehr etablierte Regisseure als Regisseurinnen gibt, bekommt man von den Frauen häufiger Absagen als von den Männern, und dann fällt einem als Ersatz eher ein Regisseur ein; das ist ein Teufelskreis.“

Wer passt zu der Geschichte?

Zöllner verweist allerdings darauf, dass die Stoffangebote der Produzenten in der Regel mit Vorschlägen für Buch und Regie versehen sei, „und da überwiegen die Regisseure deutlich“. Barbara Buhl, Leiterin der WDR-Programmgruppe Fernsehfilm und Kino, könnte sich daher vorstellen, Produzenten dazu zu verpflichten, bei jedem Projekt ausgewogen Regisseurinnen und Regisseure vorzuschlagen.

Mitunter hört man jedoch auch Antworten wie die von dem NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath, für den eine ganz andere Frage viel entscheidender ist: „Wer passt im Hinblick auf die Geschichte, auf Inhalt und Ästhetik am besten zu einem bestimmten Stoff? Da schaue ich überhaupt nicht darauf, ob das ein Mann oder eine Frau ist. Viel wichtiger ist doch, ob er oder sie das mutmaßlich kann.“

Und dann gibt es noch die Position, die Liane Jessen vertritt: „Ich habe nur ein Leben, das möchte ich nutzen, um etwas herzustellen, das im Sinn des klassischen Kunstwerkgedankens einen gewissen Wert hat. Von Regisseurinnen und Regisseuren erwarte ich daher, dass sie während der Produktion an nichts anderes denken.“ Bei Frauen hat die Fernsehfilmchefin des Hessischen Rundfunks jedoch „häufig erlebt, dass andere Dinge für sie im Vordergrund stehen. Das ist gar nicht ihre Schuld, das hat vor allem mit ihrer Stellung in der Gesellschaft zu tun, weil Frauen nie nur für ihre Arbeit zuständig sind, sondern sich immer auch um Alltagsstrukturen kümmern müssen, wenn sie Familie haben. Ich verstehe das, vertrete aber auch den Standpunkt: Kunst funktioniert in der Regel nur mit absoluter Hingabe; das gilt für eine Dirigentin ebenso wie für eine Regisseurin. Alles andere führt zu Mittelmaß“.

Eine Art Berufsverbot?

Aus Sicht von Pro Quote Regie repräsentiert Jessen damit eine Haltung, die die Initiative „als offen frauendiskriminierend“ anprangert. De facto käme diese Position „einer Art Berufsverbot“ gleich. Die Ausführungen der Fernsehfilmchefin machten deutlich, „wie tief – aber dennoch subtil – in die Mottenkiste der Geschlechterklischees gegriffen wird, um die Diskriminierung von Frauen in der Film- und Fernsehbranche zu rechtfertigen“. Wenn regieführende Frauen aus familiären Gründen abgelenkt oder unkonzentriert seien, „was ist dann mit Ärztinnen oder Pilotinnen, die sogar Verantwortung über Leben und Tod tragen? Ist die Quote der Kunstfehler oder der Flugzeugabstürze bei Frauen höher als bei Männern? Uns jedenfalls ist eine solche Statistik nicht bekannt“.

Jessens Kolleginnen bei den anderen ARD-Sendern gehen ebenfalls auf Distanz. „Regisseurinnen brennen genauso für ihre Projekte wie Regisseure, ich sehe da hinsichtlich Energie und Leidenschaft keine Unterschiede“, sagt beispielsweise Bettina Ricklefs, Programmbereichsleiterin Spiel Film Serie beim Bayerischen Rundfunk. Auch Strobl kann nicht bestätigen, dass Regisseurinnen weniger bereit seien, einem Film alles andere unterzuordnen: „Ich erlebe sie im Gegenteil als Multitasking-Talente, die Beruf und familiäre Belange ausgezeichnet organisieren können“, aber es sei natürlich „ein grundsätzliches Problem, dass Familienthemen immer noch eher an den Frauen hängen bleiben.“

Ricklefs betrachtet die aktuelle Diskussion um die Zahl der Regisseurinnen ohnehin als Beleg für „eine komplexe Problematik, die auch einen gesellschaftlichen Zustand widerspiegelt: Warum gibt es so viele tolle Autorinnen, aber weit weniger Regisseurinnen? Das hat natürlich auch mit dem privaten Alltag zu tun. Offenbar können es Männer eher einrichten, sechs Wochen an einem Set zu verbringen und sich von morgens bis in die Nacht auf ein Projekt zu konzentrieren. Als Frau mit Familie ist das nur möglich, wenn ein Mann an der Seite ist, der das mitträgt“.