Freeride-Profi Sascha Schmid macht eine Stippvisite in Stuttgart - bei der Vorführung des neuen Warren Miller-Films ‚Flow State‘ am Sonntag im Stuttgarter CinemaxX. Ein Interview.

Stuttgart - Der Schweizer Freeride-Profi Sascha Schmid (39) spricht im Interview über seine Rolle beim neuen Warren Miller-Film ‚Flow State‘, Freeriden als Beruf und den Wandel des Skifahrens abseits der Piste.

 

Haben Sie eigentlich schon als Jugendlicher Skifilme gesehen?

Damals gab’s solche Filme noch nicht. Das war ja alles noch vor dem Internet. Erst als ich später vom Alpinen zum Freeriden gewechselt bin, hat das eine Rolle gespielt. Da war ich ganz scharf auf solche Filme aus den USA.

Um sich was abzuschauen?

Es ging eher darum zu träumen: Wie Skifahren noch sein könnte. Später haben wir versucht, das eine oder andere nachzumachen: Sprünge über große Wechten zum Beispiel. Das war schwierig, weil wir noch nicht das Material hatten, das es in den USA schon gab. Wir fuhren immer noch mit diesen dünnen Spaghetti-Skiern herum. Als ich dann endlich meinen ersten breiteren Ski hatte, maß der 78 Millimeter unter der Bindung. Das wäre heute ein Pistenski.

Wie muss man sich heute einen typischen Drehtag für einen Skifilm wie ‚Flow State‘ vorstellen?

Am Vorabend des Drehs bespricht die ganze Crew – die Athleten, die Kameraleute, der Regisseur und die Bergführer, die für die Sicherheit aller verantwortlich sind – den Marschplan: Was möchten und vor allem was können wir machen? Welche Bilder braucht der Kamermann noch? Wie sind die Bedingungen, das Wetter und die Lawinenlage? Wann müssen wir wo sein, damit die Lichtverhältnisse stimmen. All das muss koordiniert werden. Am wichtigsten ist der Zeitplan: Man darf nicht zu spät, aber auch nicht zu früh dran sein. Perfekte, spannende Skibilder brauchen viel Zeit, auch wenn es am Ende nur ein paar Minuten sind. Für unsere ‚Flow State‘-Episode hatten wir zwei Wochen.

Bei einem Shooting arbeiten Sie eng mit dem Fotografen zusammen.

Wenn man eine gute Coverage – also viel Abdrucke - will, muss man das tun. Letztlich ist man aufeinander angewiesen: Ich will, dass der Fotograf ein geiles Bild schießt. Und er will, dass der Skifahrer am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Schwung setzt – damit er seine Bilder verkaufen kann.

Fotomodell auf Skiern

Sind Sie eine Art Fotomodell auf Skiern mit den Berghängen als Laufsteg?

So kann man das sehen.

Waren die Abfahrten im Film, die im Freerider-Jargon Runs heißen, Premieren oder sind Sie die schon öfters gefahren?

Da waren einige Erstlinge dabei. Vor allem die Waldabfahrten bin ich vorher nie gefahren.

Wie sieht die Vorbereitung auf einen solchen Run aus?

Das hängt davon ab. Am schwierigsten ist es, wenn das, was wir ‚big lines‘ nennen, vom Gegenhang aus gefilmt werden. Da ist der Kamermann so weit weg, dass man nicht mehr per Handzeichen kommunizieren kann. Das läuft dann über Funk. Außerdem muss man ganz genau ausmachen, welche Linie ich nehme. Sonst verliert mich der Kamermann. Und die zeitliche Koordination, sonst stimmt das Licht nicht. Im Powder hat man immer nur eine Chance. Wenn man die vermurkst, ist das schlecht.

Klingt nach harter Arbeit.

Ist es auch.

Was machen Sie, um sich von einem anstrengenden Dreh zu erholen?

Ich gehe Skifahren – ohne Kameramann. Lacht.

Der Filmtitel spielt auf das Gefühl an, den alle Freerider suchen: Das Einswerden mit dem Berg, dem Hang und dem Schnee. Wann und wie stellt sich dieses Gefühl bei Ihnen ein?

Was den ‚Flow State‘ betrifft, wird man bei zehn Fahrern zehn unterschiedliche Antworten bekommen. Ich komme in den Flow, wenn ich einen schönen, offenen Hang habe und beim ersten oder zweiten Turn bemerke: Schnee passt, Hangneigung passt und das Skifeeling auch. Für mich hat das mit Entspannung zu tun. Deswegen bekomme ich keinen Flow, wenn ich eine extreme Linie fahre und mich stark konzentrieren muss. Da kann man über Anspannung und Konzentration natürlich auch in eine Art Trance geraten, aber das hat für mich nichts mit Flow zu tun.

Skifilme sind immer mit wahnsinnig viel Musik unterlegt. Hören Sie beim Fahren Musik?

Es gibt Kollegen, die das machen. Aber für mich ist das gesamte Erlebnis beim Skifahren viel zu groß, als dass ich es mit Musik unterlegen oder dazu kiffen müsste. Lacht.

Die Totenkopfabfahrt vergisst man nicht

Verschwimmen die unzähligen Abfahrten, die Sie gemacht haben, zu einer einzigen, großen Idealabfahrt? Oder erinnern Sie sich genau an Abfahrten, auch wenn sie Jahre zurück liegen?

Es gibt manche, an die erinnert man sich noch Jahre danach, als wären sie vorgestern gewesen. Meine Abfahrt vom Eiger zum Beispiel. Oder am Schilthorn: Da gibt es die Totenkopfabfahrt. Das ist auch so ein Run, den man nie vergisst: Ein paar Hundert Höhenmeter mit gleichmäßiger Hangneigung. Wenn es frisch geschneit hat, die Verhältnisse passen und du hast das Glück, als erster deine 50 bis 60 Turns in den Hang legen zu dürfen, dann ist das einmalig.

Das Skifahren im Pulverschnee ist eine seltsame Mischung aus höchster Intensität und Vergänglichkeit. Im Film kann es festgehalten werden. Immer mehr Leute tun dies auch mit ihren Helmkameras. Schauen Sie sich eigentlich die Filme an, in denen Sie fahren, auch später noch an?

Immer wieder. Schon deshalb, weil meine Kinder immer mal sagen, dass sie jetzt einen Skifilm mit Papa sehen wollen. Am liebsten schau ich mir immer noch meinen ersten Film an, den wir auch selber produziert haben: ‚Natural High‘.

Bei ‚Flow State‘gewinnt man den Eindruck, dass sich in Nordamerika die Alpinszene und die der Freerider viel mehr überschneiden als in Europa.

Richtig. In den USA sind die Top-Alpinrennläufer das, was ich einen kompletten Skifahrer nenne. Das ist in Europa anders. Wenn europäische Skiteams nicht trainieren können, weil es stark schneit, bleiben sie im Hotel. Viele Nordamerikaner würden mit ihren Powderlatten zum Tree-Skiing gehen und sich den Stress aus dem Kopf fahren.

Also profitieren sie vom Freeriden für den Rennzirkus?

Ich glaube schon. Auch weil sie ein noch besseres Gespür für das Material entwickeln. Für’s Gleichgewichtstraining gibt es kaum etwas Besseres. Alpinfahrer müssen sehr viel Krafttraining und Gleichgewichtsübungen machen. Man kann das in stinkigen Sport- und Fitnesskellern machen. Oder ergänzend draußen im Tiefschnee.

Bei Ted Ligety sieht das Freeriden in ‚Flow State‘ allerdings nicht so elegant aus wie bei Daron Rahlves.

Rahlves ist ein absolutes Multitalent für viele Trendsportarten, die irgendwie mit Skifahren zu tun haben – egal ob es um Jetski, Motocross oder Skicross geht. Als er seine Karriere beendet hat, ist er gleich ins Freeriding eingestiegen.

Seit 15 Jahren dabei

Wie sind Sie zum Freeriden gekommen?

Ende der 90-er Jahre. Damals war ich in der Skilehrerausbildung. Mit einem Freund bin ich nach Utah gereist, um Englisch zu lernen. Wir dachten ganz naiv: So, jetzt kommen die tollen Schweizer und zeigen den Amerikanern, wie das Skifahren geht. Und dann haben die Amerikaner uns gezeigt, wie das Skifahren geht.

Mittlerweile sind Sie seit 15 Jahren dabei. Was hat sich in diesem Sport in dieser Zeit getan?

Fast alles, was ihn heute ausmacht. Angefangen von der Helmentwicklung – in den 90-er Jahren gab es noch Profis, die ohne Helm gefahren sind! – über die Skier bis zur Bedeutung des Sports, der unglaublich gewachsen ist.

Und skifahrerisch?

Als ich angefangen habe, konnte man noch nicht so breitspurig fahren. Da waren die Skier schmal und lang, viele fuhren noch den Arlbergbergschwung und sind im Tiefschnee herumgesprungen. Heute fahre ich im Tiefschnee eigentlich die gleichen Turns wie auf der Piste: Den Oberkörper zentral und sehr tief über dem Ski. So ähnlich wie beim Carven. Wenn man den vielen Schnee auf meinen Freeride-Fotos wegretuschiert, sieht das nicht anders aus, als wenn man mich auf der Piste fotografiert hätte. Wir fahren abseits der Piste immer dynamischer und sportlicher – natürlich auch wegen des immer besseren Materials. Eine wichtige Entwicklung sind auch die Sprünge, die vor allem die jungen Fahrer seit ein paar Jahren vom Park auf‘s Gelände übertragen.

Wovon hängt ab, wie riskant ein Freerider unterwegs ist?

Von der Selbsteinschätzung. Solange man sein Level kennt und sich daran hält, bleibt das Risiko überschaubar. Natürlich bleibt immer ein gewisses Restrisiko – vor allem wegen der Lawinengefahr. Aber was Stürze betrifft, hat man das Meiste selbst im Griff. Sobald jemand etwas riskiert, was er nicht drauf hat, wird es schnell gefährlich.

Risikobereitschaft und Selbsteinschätzung sind auch eine Frage des Alters. Haben Sie heute mit Ende 30 eine andere Selbsteinschätzung?

Ganz sicher. Erfahrung ist wahnsinnig wichtig. Deswegen können Fahrer wie Chris Davenport, Hugo Harrison und ich immer noch mithalten. Man braucht sich nur Glen Plake anschauen. Dem kann kein 20-Jähriger was vormachen. Gut, mit extremen Sprüngen vielleicht, aber von der Erfahrung her und vom Überblick über das Gelände, das er wie ein Buch liest, eigentlich niemand.

Wie alt ist Glenn Plake?

So Ende 40. Das weiß niemand genau. Vielleicht nicht mal er. Lacht.

Was war der gefährlichste Moment Ihrer Karriere?

Die gibt es immer wieder. Beim Dreh für ‚Flow State‘ sind wir einen fantastischen Rücken runtergefahren. Der ragt – was man im Film nicht so gut sieht – auf allen Seiten aus dem Gletscher heraus. Super Gelände. Aber völlig ab vom Schuss. Hugo und ich sind mit dem Hubschrauber hingeflogen und mit dem Bergführer ausgestiegen. Dann sind wir auf dem Rücken bis an den Abgrund einer knapp 70 Meter hohen Felsklippe gefahren. Schon während der Abfahrt hab‘ ich mir gedacht, dass das vielleicht kein so guter Fleck ist: Der Schnee war nicht optimal und die Lawinenlage auch nicht. Wir waren einfach zu weit gefahren, haben das aber erst gemerkt, als der Bergführer 80 Höhemeter weiter oben angehalten hat und uns zurief: ‚Hey, Jungs, hier oben müsst Ihr rechts rausqueren!‘ Ich war sehr froh, als wir von diesem Rücken endlich runter waren.

So etwas könnte man in einem Skifilm auch mal zeigen.

Das würde nicht schaden.

Gibt es Sponsoren, die ihre Fahrer – vor allem auch die jungen – pushen, Sachen zu machen, die vielleicht zu riskant sind?

Auf jeden Fall. Ich rede mich da natürlich leicht, weil das bei mir nicht der Fall ist.

Weshalb?

Mein Hauptsponsor hat von Anfang an auf ältere, erfahrenere Freerider gesetzt, weil sie besser zur Zielgruppe passen: Leute ungefähr in meinem Alter, die hochwertige, teurere Skier kaufen. Da bringt es nichts, sich junge, durchgeknallte Freerider ins Team zu holen.

Keine Ski geschrottet

Ist die wichtigste Eigenschaft eines Freeriders, auch mal Nein zu sagen?

Sicher. Und da haben es junge Athleten, die am Anfang ihrer Karriere stehen, viel schwerer. Weil sie gezwungen sind, auf sich aufmerksam zu machen – durch spektakuläre, riskante und manchmal eben auch zu riskante Sachen.

Wie viele Paar Ski haben Sie für ‚Flow State‘ geschrottet?

Keinen einzigen. Die letzte Saison war einfach super: Ich bin die ganze Zeit mit einem Paar Ski gefahren. Ganz anders als im Winter 2004: Da hatte ich einfach Pech und habe 13 Paar Ski kaputt gefahren oder im Tiefschnee verloren.

Sie sind auch in ganz anderen Filmen Ski gefahren - vom Werbeclip für Mineralwasser bis hin zu Bollywood.

Bei uns im Schweizer Oberland werden eben sehr viele Skiszenen gedreht. Und Interlaken ist in ganz Asien bekannt. Wegen des Jungfraujochs und weil man da mit der Bahn sehr weit hinauf fahren kann, in Regionen, wo das ganze Jahr über Schnee liegt. In Mürren gibt es das Inferno-Rennen, das größte Massenskirennen der Alpen.

Haben Sie da schon mal mitgemacht?

Nein. Lacht. Ich weiß auch nicht, ob ich das jemals machen werde.

Weshalb?

Ich glaube, das ist gefährlicher als mein Freeriden. Allein, weil so viele Leute teilnehmen. Viele davon mit Rennskiern, auf denen sie das allererste Mal stehen. Das ist alles ganz schön riskant und es passieren immer wieder schlimme Massenstürze. Wenn ich mal teilnehme, möchte ich auch nicht auf den Rängen 50 bis 200 landen, sondern vorne mit dabei sein. Dafür müsste ich ein Risiko eingehen, das mir bislang zu hoch war.

Infos zum Film

‘Flow State‘ ist am 9. Dezember (16.30 Uhr) im CinemaxX Bosch Areal in Stuttgart zu sehen. Bei dieser Vorführung ist Sascha Schmidt anwesend.

Weitere Termin in der Region:

Sonntag, 16. Dezember - Karlsruhe Filmtheater Schauburg, um 17 Uhr und um 20.30 Uhr.

Montag, 17. Dezember - Mannheim Capitol, um 20 Uhr.

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