Eine heilige Messe, eine Audienz für Helmut Kohl, Begegnungen mit Pilgern: Benedikt hat ein Mammutprogramm gemeistert. Manche hätten sich mehr gewünscht.

Freiburg - Der Mann ist frustriert. Und er schimpft wie ein Rohrspatz. "Zwei Tage Papst in unserer Stadt. Das ist wirklich zu viel", poltert der Taxifahrer, dem man seine südländische Herkunft anhört. "Alle Straßen sind dicht, das Wochenendgeschäft ist kaputt." So redet er sich den Ärger von der Seele.

 

Es ist Sonntag früh. Die Sonne schiebt ihren ersten zarten Strahlen über die Schwarzwaldgipfel. Der Nebel der Nacht liegt auf den Wiesen - und in Freiburg herrscht der Ausnahmezustand. Da sind die Absperrungen der Straßen, die zahlreichen Helfer und vor allem die Massen. Kind und Kegel, Gott und die Welt pilgern in den Norden der Stadt. Zum City-Airport, dorthin, wo laut vatikanischem Drehbuch in wenigen Stunden der nächste Höhepunkt der Reise Benedikts über die Bühne gehen soll. Der komplette katholische Kosmos scheint auf den Beinen zu sein: Dominikanerinnen aus der Bretagne eilen ebenso dem kurzzeitig in eine Freiluftkirche verwandelten Freiburger Flughafen entgegen wie Mönche aus Übersee, die Pfadfinder aus Überlingen oder die katholische Studentenverbindung Unitas Freiburg.

Viele sind an ihren Trachten, Fahnen oder anderen Accessoires zu erkennen. Die 70 Leute der Gemeindegruppe Much-Wachtberg tragen rote Schirmmützen, die Bayern Lederhosen und die Urloffer Ministranten haben ihre Fahne dabei. Ein Paar mit mächtigen Rucksäcken, Wanderstiefeln und -stöcken fällt ein wenig aus dem Rahmen. "Wir sind 100 Kilometer von Döckingen bis hierher gewandert. Der Papst ist der Höhepunkt unserer Tour", erzählt die Frau, die als Managerin arbeitet. Ihr Mann sekundiert: "Ich finde Benedikt toll, bewundere seine Intellektualität und seine bayerisch gefärbte Sprechweise." Er sei kein Mensch wie jeder andere, sagt der Speditionsgeschäftsführer und hebt den Pontifex damit in höhere Sphären. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so enthusiastisch, denken die meisten der Pilger. 100.000 Gläubige sind an diesem Sonntagmorgen gekommen, um eine Heilige Messe mit dem Kirchenoberhaupt zu feiern. Sie möchten Kraft im Gebet tanken, die Gemeinschaft der Mitchristen erleben, für den Glauben, die Kirche und ein wenig auch für den Papst demonstrieren. "Solidarität zu zeigen wird immer wichtiger", sagt ein Mann aus der Oberpfalz, der nicht nur die vielen Kirchenaustritte, sondern auch eine antiklerikale Hetze beklagt.

Ministranten wünschen sich Reformen

"Wo Gott ist, da ist Zukunft", lautet das Motto der viertägigen Papstvisite in Deutschland. Die Zukunft der Kirche ist schon zu besichtigen: auf dem Flugfeld in Abschnitt C 3 warten 53 Ministranten aus dem Dekanat Rems-Murr auf den Kirchenführer. Sie blicken nach einer kurzen Nacht in der Jugendherberge Todtnauberg aus kleinen Augen, bringen sich aber durch das Absingen von Liedern in Schwung. Die Lethargie ist abgeschüttelt, als das Papamobil auffährt. Die Jugendlichen stehen auf den Bänken, jubeln, lächeln in Richtung Papst, der sich schüchtern hinter Panzerglas winkend ihrem Abschnitt nähert. Handykameras schießen in die Höhe und können kaum mehr als Fahnen auf die Speicherkarte bannen. "Ich bin zufrieden. Ich habe Benedikt gesehen", sagt hinterher Melanie Weber. Das ist für sie in der Tat ein Erfolg. Die 17-Jährige mit den feuerroten Haaren hat letztes Jahr bei der Ministrantenwallfahrt in Rom lediglich einen kurzen Blick auf den Strohhut des Pontifexes erhascht. Dieses mal hat sie mehr gesehen.

Die Pilger aus dem Rems-Murr-Kreis schätzen Benedikts Zugewandtheit zur Jugend, bleiben aber gleichzeitig zu manchen seiner Lehren auf Distanz. "Ich finde, dass die Frauen in der Kirche unterdrückt werden", sagt Melanie. Ihre Freundin aus der Gruppe hält nichts davon, dass Protestanten von der Eucharistie ausgeschlossen sind. "Wir sind Papstfans, aber wir finden nicht alles gut, was er macht", bringt es der 19-jährige Markus Schildknecht auf den Punkt. Die Ministranten wünschen sich Reformen, aber diese erwarten sie nicht vom Pontifex. "In seinem Alter wäre des unrealistisch", sagt Schildknecht.

So kann der 84-Jährige sie eigentlich nicht enttäuschen. Trotzdem nehmen sie sich seine Worte zu Herzen - wenn er ihnen auf der Jugendmesse Mut zuspricht und Fehler verzeiht. Aber auch, wenn er wie am Sonntag fast eine Gardinenpredigt hält, zur Treue im Glauben mahnt und dabei alles andere als jugendgemäß spricht. Die Christen sollten die "Fackel des unverfälschten Glaubens in Einheit mit dem Bischof hochhalten", sagt der Papst in die Menge. "Priester, Gottgeweihte und christliche Laien" sollten "in Treue zur jeweils spezifischen Berufung in Einheit zusammenarbeiten". Das klingt spröde und taugt kaum, den Funken der Begeisterung zu zünden. Besser kommt an, dass er den Ehrenamtlichen dankt und am Samstag bei der Abendvigil die Seele des jungen Publikums streichelt: "Ich habe mich den ganzen Tag auf euch gefreut".

Der letzte Papst, der nach Freiburg kam, war kein richtiger

Ganz Freiburg steht ein Wochenende lang Kopf, das Programm, das sich der Papst vorgenommen hat, ist ambitioniert. Am Samstagmittag wird er am Flughafen Lahr vom grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann begrüßt, später rollt das Papamobil in der Freiburger Innenstadt recht flott an 24.000 Gläubigen vorbei - mit an Bord der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch und Papstsekretär Georg Gänswein. Ihr Ziel: das Münster. Dort, rund um den "schönsten Turm der Christenheit", wie die Freiburger sagen, darf sich nur aufhalten, wer einen speziellen Ausweis um den Hals oder eine Einladung in der Tasche trägt. 3000 geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Unterhaltung, kirchliche Würdenträger, Trachtenträger, ausgewählte Ministrantengruppen - sie kommen dem Papst am Samstag ziemlich nahe.

Die in der Kirche erleben den Moment, als Benedikt das Angelus-Gebet im Münster spricht, die auf dem Platz die Begrüßung des hohen Gastes durch Erzbischof Zollitsch vor dem Renaissanceportal. "Lange mussten wir auf diesen Moment warten", sagt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Denn der letzte Papst, der nach Freiburg kam, war kein richtiger und zudem auf der Flucht, einer dem das Konstanzer Konzil die Legitimation entzogen hatte: Johannes XXIII. Nun also, rund 600 Jahre später ist es Zollitsch, der "nach 1600 Jahren Christenheit am Oberrhein" einen Papst empfangen darf.

Im Eiltempo läuft der Rest der Begrüßung ab. Zollitsch gönnt den beiden weltlichen Gastgebern entgegen dem Protokoll kein Wort. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon haben alle Mühe, dem Papst einigermaßen anständig ihre Geschenke zu übergeben. Kretschmann hat eine Junghans-Uhr dabei, Salomon ein Gebilde, das wie ein überdimensionierter Aschenbecher aussieht, aber eine geschmiedete Silberschale mit Solarzelle ist. Der Papst hat auch etwas dabei, einen Messkelch für das Münster.

Helmut Kohl in einer misslichen Lage

Am frühen Nachmittag sind die Lieder verklungen, die Fotos gemacht und der Papst hat sich in das nahe gelegene Priesterseminar Collegium Borromaeum zum Mittagsschlaf zurückgezogen. Die Sperrgitter sind fast alle abgeräumt, die Ehrentribüne auf dem Münsterplatz ist leer, die VIPs werden vom ersten Hotelier am Platz bewirtet. Der Ministerpräsident sitzt oben im schmucken Historischen Kaufhaus, der CDU-Fraktionschef Peter Hauk steht draußen vor der Tür im Kreise der lokalen Parteifreunde, drinnen ist Rauchverbot. Die Stimmung ist gelöst, die Schnittchen und Pasteten sind so zahlreich, dass Ober mit Tabletts hinaus zu den Pilgern schreiten.

Das Volk greift überrascht zu und bummelt unschlüssig über den Platz. Uhrenträger Albrecht Seng aus Simonswald tritt mit seinem Tragegestell für zwei Dutzend Schwarzwälder Uhren den Rückmarsch zum Bus an. Die Ministranten aus der Nähe von Sinsheim und andere halten ihre Fähnchen immer noch winkbereit. Einige von ihnen sind bereits zum dritten Mal als Papstfans unterwegs. Die Mitglieder des Missionarischen Motorradclubs Schönstatt aus der Nähe von Koblenz gehen zufrieden zu ihren Mopeds zurück, sie haben eine fünftägige Wallfahrt auf zwei Rädern hinter sich, Freiburg war der Höhepunkt.

Langsam leert sich der Münsterplatz. In der Herrenstraße, die hinter dem Münster am Erzbischöflichen Ordinarität vorbeiführt, kurz vor der Kreuzung zum Priesterseminar, hängt ein Mercedes mit zwei Rädern in einem der tückischen Freiburger Bächle, einer tiefen Wasserrinne. Der Mann auf dem Beifahrersitz muss fast eine Stunde warten, bis schweres Spezialgerät den Wagen aus seiner misslichen Lage befreit. Sichtblenden schirmen das Fahrzeug ab. Es soll niemand sehen, dass Exkanzler Helmut Kohl in peinlicher Unfreiheit ausharren muss, bevor er , noch pünktlich, zu einer Spezialaudienz ins Priesterseminar kommt. Mit seiner Frau Maike, die am Steuer des Fahrzeuges saß und wohl aus Versehen in den Graben gefahren ist.

Und die Papstkritiker? Auch sie waren da. Das Bündnis "Freiburg ohne Papst" wollte nicht, dass Benedikt sich in das Goldene Buch der Stadt eintragen darf. Doch sie hatten keine Chance, Oberbürgermeister Salomon ließ sie abblitzen. Oder ein paar Männer mit bedruckten T-Shirts, die zum Kirchenaustritt ermunterten. Und die "Kirche von unten" veranstaltete einen Gegengottesdienst. Aber auch sie verursachten keine große Aufregung. Es war so, wie es der Kabarettist Matthias Deutschmann vorausgesagt hatte: "Wenn der Papst kommt, ist Widerstand zwecklos."