Preise und Auszeichnungen erhält er reihenweise. Die Landesregierung aber weigert sich, dem Freiburger Rüstungskritiker Grässlin einen Orden zu verleihen. Begründet wird dies mit einem seiner großen Erfolge: dem Prozess gegen eine Waffenfirma.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Seinem Namen stellt Jürgen Grässlin (59) neuerdings zuweilen ein „Dr. h.c.“ voran. Als Redner, der gegen Rüstungsexporte wettert, lässt er sich schon mal mit Titel ankündigen. Die Ehrendoktorwürde hat ihm im vorigen Oktober die Universita del bene Comune bei Verona verliehen, für sein langjähriges Friedensengagement.

 

Es war nur eine von drei Auszeichnungen, die der Freiburger 2016 erhielt. Im April wurde er in einem Filmemacherteam mit dem Grimme-Fernsehpreis geehrt. Eine „besondere journalistische Leistung“, hieß es, sei der Film „Tödliche Exporte“ über illegale Waffenlieferungen der Oberndorfer Firma Heckler & Koch nach Mexiko. Grässlin hatte mit detaillierten Strafanzeigen die Ermittlungen gegen verantwortliche Manager in Gang gebracht, die voriges Jahr in eine Anklage mündeten. Dieser Erfolg wurde auch gewürdigt, als er im Dezember den Stuttgarter Friedenspreis der Anstifter-Initiative bekam. Grässlin zerre „die Machenschaften der Rüstungskonzerne ans Tageslicht“, hieß es in der Laudatio.

Viele Auszeichnungen - aber keine vom Staat

Schon in den Vorjahren hatte der Sprecher mehrerer Initiativen diverse Ehrungen erhalten. Die Liste ist eindrucksvoll: Preis für Zivilcourage der Solbach-Freise-Stiftung (2009), Aachener Friedenspreis (2011), Stuttgarter Friedenspreis (2012), Kirchheimbolandener Friedenstagepreis (2014), Amos-Preis für Zivilcourage, Helga-und-Werner-Sprenger-Friedenspreis (beide 2015). Staatliche Auszeichnungen aber wurden Grässlin nicht zuteil, weder von der Bundesrepublik noch von seinem Heimatland. Als Winfried Kretschmann unlängst mal wieder Verdienstorden verlieh, war sein Ex-Parteifreund Grässlin erneut nicht dabei – dafür zwei Mundartschauspieler, ein Ex-Fußballer und ein Filmfest-Organisator.

Kretschmanns Lobesworte hätten freilich gut auch auf Grässlin gepasst. Geehrt würden Menschen, die „ihre Stimme erheben und sich für andere stark machen“. Auch die Anforderungen für das Bundesverdienstkreuz sollte er allemal erfüllen: Die ehrenamtliche Tätigkeit, heißt es, müsse „mit großem persönlichen Einsatz unter Zurückstellung eigener Interessen längere Zeit ausgeübt worden sein“. Seit 30 Jahren widmet der Realschullehrer und Familienvater praktisch seine gesamte Freizeit der Recherche und Publikation zu Rüstungsthemen. Tausende Auftritte und etliche Bücher zeugen von seinem Engagement.

Regierung macht keine Anstalten für eine Ehrung

Doch die seit 2011 Grünen-geführte Landesregierung machte bisher keine Anstalten, ihn mit einem Orden zu würdigen. Weder schlug sie Grässlin für das Bundesverdienstkreuz vor, noch bedachte sie ihn mit einer eigenen Ehrung. Mehr noch: Als jetzt von Bürgerseite eine staatliche Auszeichnung als „überfällig“ angeregt wurde, lehnte die Regierungszentrale das rundweg ab: Die Voraussetzungen könnten „nicht als gegeben angesehen werden“. Man könne dem Ministerpräsidenten eine solche Initiative daher „nicht mit Aussicht auf Erfolg empfehlen“. Eine Begründung gab es nicht, wegen der „gebotenen Vertraulichkeit“.

Im Umfeld Grässlins, der sich selbst nicht äußert, stößt das auf Kopfschütteln. Es könne nicht sein, dass jemand wie er „durch das politische Raster staatlicher Ehrungen fällt“. Offenbar habe der Aktivist zu oft Spitzenpolitiker (auch der Grünen) oder Konzerne wie Daimler attackiert. Derlei sei offenkundig „nicht preisfördernd“.

Dabei wäre Grässlin absolut preiswürdig, wie der Freiburger SPD-Politiker Gernot Erler meint. Er sei „unbestritten Deutschlands profiliertester Rüstungsgegner, ein beeindruckender Redner und Debattierer, der besonders bei jungen Zuhörern gut ankommt“. Als Mann der Tat gehe er immer wieder erhebliche Risiken ein und scheue nicht die direkte Auseinandersetzung mit der Rüstungsindustrie. Bemerkenswert sei seine „Fairness im Umgang mit Politik und Politikern“, lobt Erler: Er bemühe sich stets, „gemeinsam zu besseren Lösungen zu kommen“.

Auch der Landesverband der Grünen findet den Kampf gegen Rüstungsexporte allemal ehrungswürdig. Es sei seit Langem Ziel der Partei, Lieferungen in Kriegs- und Krisengebiete zu stoppen, sagt eine Sprecherin. Der Verkauf von Waffen sei eben „kein Geschäft wie jedes andere“. Staatliche Auszeichnungen seien eine gute Möglichkeit, ein Engagement wie das Grässlins „beispielhaft zu würdigen“.

Öffentliche Akzeptanz der Ehrung spielt auch eine Rolle

Warum die Landesregierung das nicht tut, erklärt ein Sprecher Kretschmanns nur zum Teil. Wegen der „schutzwürdigen privaten Persönlichkeitsrechte“ könne man über die Gründe keine Auskunft geben. Grundsätzlich werde politisches Engagement durchaus gewürdigt: 2013 etwa hätten ein Befürworter und eine Gegnerin von Stuttgart 21 den Landesorden erhalten. Neben den Verdiensten und der Person spiele auch der „Aspekt der öffentlichen Akzeptanz der möglichen Ehrung“ eine Rolle; diese solle „weder Konflikte in die Gesellschaft hineintragen noch Konflikte vertiefen“.

Einen Grund für die Ablehnung nennt der Sprecher aber doch: den ausstehenden Prozess um Heckler & Koch. Schon um „den Anschein einer Einflussnahme auf ein laufendes Gerichtsverfahren zu vermeiden“, sei dem Staatsministerium „aus formalen Gründen eine andere Entscheidung nicht möglich gewesen“. Wie man mit einer späteren neuen Anregung umgehe, sei aber offen. Wenn irgendwann ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, kann Jürgen Grässlin also doch noch auf einen Orden hoffen.