Querelen, Prozesse Rauswürfe: im Rathaus sorgt man sich um die Freie Kunstschule. Deren Rektor findet das unnötig: man sei auf bestem Wege. Nun soll ihm ein Beirat zur Seite gestellt werden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es geht Schlag auf Schlag mit den Jubiläen bei der Freien Kunstschule Stuttgart. Gleich drei Anlässe bieten Gelegenheit, die große Tradition der ältesten nicht staatlichen Akademie für Kunst und Design in Deutschland herauszustellen. Aktuell wird der Wiederaufnahme des Lehrbetriebs nach dem Zweiten Weltkrieg vor siebzig Jahren gedacht. Nächstes Jahr feiert man die Gründung der Schule vor neunzig Jahren durch Adolf Hölzel und dessen Schüler August Ludwig Schmitt. 2018 schließlich begeht der Trägerverein sein siebzigjähriges Bestehen. Mehr Blicke als sonst richten sich also auf die kleine, aber feine Einrichtung in der einstigen Cannstatter Zuckerfabrik.

 

Für die Festreden könnte es keinen Besseren geben als den seit vier Jahren amtierenden Rektor, Martin R. Handschuh. Historie und Zukunft der Freien Kunstschule beschwört der junge Rechtsanwalt aus Nürtingen, dessen Markenzeichen ein locker umgelegter Schal ist, mit geschliffener Eloquenz. „Mit Stolz erfüllt uns, dass wir nicht die Asche unseres (. . .) Gründungsvaters Hölzel bewahren, sondern dass wir sein Feuer an künftige Künstlergenerationen weitergeben dürfen“ – solche Sätze kommen ihm leicht von den Lippen. Zum Jubiläum hofft Handschuh auch auf praktische Verbesserungen: die für nächstes Jahr geplante Sanierung des Gebäudes und, vielleicht, höhere Zuschüsse. Mit knapp 160 000 Euro steuert die Stadt derzeit etwa die Hälfte des Etats bei, die andere kommt aus Gebühren der gut 100 Studierenden.

Gemeinderat beklagt fehlende Transparenz

An Handschuhs Einsatz für die Kunstschule besteht kein Zweifel. Als eine Art Minijobber begann der kunstsinnige Jurist und Musikwissenschaftler dort 2012, heute ist für ihn daraus fast eine Vollzeitaufgabe geworden. Mit 30 000 Euro im Jahr plus Spesen ist sie bescheiden dotiert, doch das Selbstbewusstsein des Rektors schmälert das nicht. Seit 2014 steht er auch an der Spitze des Trägervereins, zusammen mit einem Dozenten. Damit wurde er vollends zur zentralen Figur für die Schule.

An Handschuhs Wirken aber scheiden sich die Geister. Auf der einen Seite gibt es großes Lob dafür, wie er die Schule vorangebracht habe, auf der anderen teils massive Kritik an seinem Amtsverständnis und seinem Führungsstil. Interne Querelen beschäftigten Anwälte und Gerichte, wiederholt mussten Dozenten und Mitarbeiter gehen, immer wieder beklagten sich Studierende bei der Stadt oder dem Gemeinderat. Das Gremium hält sich zwar aus den Streitigkeiten heraus, bemängelte aber fehlende Transparenz; von wichtigen Dingen habe man erst im Nachhinein erfahren. Künftig soll der Kunstschule daher ein Beirat aus seinen Reihen zur Seite gestellt werden – zur Unterstützung, aber auch zur Kontrolle.

Studentenzahlen im Sinkflug

Mit Sorge wird im Rathaus zudem der Rückgang der Studierendenzahlen registriert. Sie sanken seit Handschuhs Amtsantritt 2012 kontinuierlich, von 172 auf 125 im vorigen Jahr. In der Vergangenheit habe sich gezeigt, „dass stark zurückgehende Studentenzahlen die Existenz der Schule gefährden“, kommentierte die Stadt dies; daher habe man den Gemeinderat bereits im Herbst über die Entwicklung informiert. Im Frühjahr wurde der Zuschuss für 2016 nur unter der Bedingung bewilligt, dass der Trägerverein Rücklagen für die Sanierung einsetze – und eine Rechtsgrundlage für den geplanten Beirat schaffe.

Zu den Fürsprechern des Rektors gehört der Vorsitzende des Fördervereins, der Architekt Klaus Waiblinger. Handschuh sei „ein Glücksfall“ für die Kunstschule, „ein hochbegabter junger Mann mit viel Erfahrung und Souveränität“, schwärmt er. Das Niveau habe sich unter ihm deutlich gesteigert. Früher habe man fast jeden Studenten aufgenommen, darunter auch viele ungeeignete, die „Kunst als Hobby“ betrieben hätten, „vor allem ältere Damen“. Heute gebe es eine strengere Auswahl und ein besseres Lehrangebot, der Rektor habe „eine klare Vorstellung“ von der Zukunft der Schule. Die Dozenten lobten die offenen Diskussionen mit ihm, bei den Studenten sei er beliebt wegen seiner „verbindlichen, aber auch humorvollen Art“. Nun könne der Förderverein wieder „verstärkt auf Sponsorensuche“ gehen, so Waiblinger.

Zerwürfnis mit dem Vorgänger

Andere sind weniger gut auf Handschuh zu sprechen – etwa der langjährige Vorsitzende des Trägervereins und Dozent Albrecht Leuteritz. Anfangs war der Professor aus Nürtingen angetan von dem jungen Juristen, inzwischen hat man sich gründlich entfremdet. „Ständige Eigenmächtigkeiten“ nennt Leuteritz als Hauptgrund, vieles sei „hinter meinem Rücken“ geschehen. Kritisch sah er auch die Bezahlung des Rektors und dessen wachsende Machtfülle. Nicht nur Studenten bedauerten es, als der beliebte Professor plötzlich nicht mehr unterrichtete. Auch die einstige Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann hielt in einer Ratsvorlage fest, Leuteritz habe „sowohl durch seine Vorlesungen wie auch durch das Anwerben kompetenter Lehrkräfte“ entscheidend zum Profil der Kunstschule beigetragen. Durch seine Kündigung und die weiterer Dozenten sei es unter Handschuh zu einer „Ausdünnung“ des Lehrangebots gekommen.

Abgänge gab es in der Tat etliche, bei künstlerischem und nicht künstlerischem Personal. Zwei Dozentinnen wurde der Lehrauftrag nicht verlängert mit der internen Begründung, dies sei „zur Hebung des Niveaus der Lehre unumgänglich“. Zufriedene Studenten wunderten sich, doch ihre Solidaritätsadresse kam zu spät. Eine der Geschassten meint, sie habe die erwartete „Unterwerfung“ verweigert. Gehen mussten auch diverse Mitarbeiter der Verwaltung – Sekretärin, Aushilfe, Reinigungskraft –, teils mit, teils ohne Rechtsstreit. Gekündigt wurde sogar einer aufmüpfigen älteren Studentin, wegen angeblicher Störung des „Schulfriedens“. Vor Gericht endete der Fall mit einem Vergleich: die Frau darf ihr Studium nun als Gasthörerin zu Ende bringen, unter genauen Auflagen.

„Arbeitsklima ist ausgezeichnet“

Heute sei das Arbeitsklima an der Kunstschule „ausgezeichnet und frei jedweder Störungen“, versichert der Rektor. Die vom Gemeinderat angemahnte Neukonzeption gebe es bereits, von einer Ausdünnung des Lehrangebots könne keine Rede sein; man habe profilierte neue Dozenten gewinnen können. Zum Wintersemester rechne man wieder mit einem Anstieg der Studentenzahlen, sagt Handschuh. Sorgen um die Existenz der Kunstschule seien gänzlich unangebracht.

Für das getrübte Verhältnis zu seinem Vorgänger Leuteritz sieht Handschuh einen anderen Grund als dieser: Als „Rechtsunkundigem“ sei ihm nicht nahezubringen gewesen, dass er auf gewissen Formalien bestehen musste. Gleichwohl pflege der neue Vorstand „einen schonenden Umgang mit seinen Amtsvorgängern“.

Vertrag mit sich selbst geschossen

Für unbegründet hält Handschuh auch Kritik an seiner Doppelfunktion als Vereinschef und Schulleiter. Diese führt schon mal zu kuriosen Formulierungen im Versammlungsprotokoll. „Herr Handschuh berichtet, dass im Juli 2014 ein Dienstvertrag mit dem Rektor abgeschlossen wurde“, hieß es da etwa – also ihm selbst. Dieser sei von den Bürgermeistern Eisenmann und Michael Föll abgesegnet worden, hieß es intern. Bei der Stadt wird immerhin bestätigt, dass das Rechtsamt den Vertrag geprüft und als rechtlich einwandfrei eingestuft habe; auch die Doppelrolle sei „rechtlich nicht zu beanstanden“.

Nun wartet man im Rathaus darauf, dass der Beirat an der Freien Kunstschule etabliert werden kann. Von außen, sagen Gemeinderäte, sei die Gemengelage schwer zu beurteilen. Vielleicht wird sie aus der Innensicht klarer – spätestens 2017, im Jubiläumsjahr.