Die Freien Wähler sind uneins, ob sie sich bundesweit engagieren sollen. Bei den Abgesandten unterm Fernsehturm regiert das Nein.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Warum in die Ferne schweifen, wenn die Aufgaben doch vor der Haustür liegen. „Es geht um die örtlichen Belange“, sagt Gerhard Reißer. „Das hat sich bewährt.“ Der Heumadener ist seit vier Jahren bei den Freien Wählern und fast ebenso lang im Sillenbucher Bezirksbeirat. Dass es in Deutschland Freie Wähler gibt, die nächstes Jahr bei der Bundestagswahl mitmachen wollen, „halte ich für falsch“, sagt Reißer. Das widerspricht seiner Meinung nach der Philosophie.

 

Diese Philosophie ist jedoch umstritten. Es gibt jene, die reden wie Reißer. Und es gibt jene, die die Freien Wähler in den Bundestag und Landtag bringen möchten. Die Freien Wähler, ein Zusammenschluss von Wählergruppen, sind gespalten.

In Baden-Württemberg indes herrscht große Einigkeit. Bei einer Jahreshauptversammlung des Landesverbands haben sich 96 Prozent der ungefähr 150 Delegierten gegen ein landespolitisches Engagement der Freien Wähler ausgesprochen. Im Jahr 2009 hat der baden-württembergische Landesverband den Bundesverband aus Protest verlassen. Der Bundesverband hatte damals beschlossen, an den Europawahlen teilzunehmen.

„Wir sind keine Partei! Wir wollen auch keine werden!“ Mit diesen in Rot geschriebenen Worten begrüßt einen der Landesverband Baden-Württemberg auf seiner Startseite im Internet. „Man kann nicht sagen: Auf kommunalpolitischer Ebene sind wir parteilos und auf Bundesebene nicht“, sagt der Vorsitzende Heinz Kälberer. „Das ist unglaubwürdig.“

Baden-Württemberg ist eine Hochburg

Uli Demeter gehört eher nicht zu den erwähnten 96 Prozent der Nein-Sager. Landtag würde ihm gefallen, „in Baden-Württemberg hätten die Freien Wähler Potenzial, um mitzumischen“, sagt der Mann aus Hoffeld, der für die Freien Wähler im Degerlocher Bezirksbeirat sitzt.

Und tatsächlich ist Baden-Württemberg im Bundesvergleich eine Hochburg der Freien Wähler. Die Freien Wähler stellen die meisten Stadt- und Gemeinderäte. Ein gutes Beispiel ist auch Bayern. Dort sind die Freien Wähler im Jahr 2008 mit 21 Abgeordneten in den Landtag eingezogen.

In Stuttgart ist das anders. Die Freien Wähler haben im hiesigen Gemeinderat sieben Sitze, sie sind die viertstärkste Kraft vor FDP und SÖS/Linke. In den Bezirksbeiräten unterm Fernsehturm sitzt jeweils ein Abgesandter, außer in Birkach, da fehlt sogar der. Sie gehören zu den Letzten, die sich in Meinungsrunden äußern dürfen. Und deshalb bleiben ihnen oft nur Sätze wie „dem ist nichts hinzuzufügen“ oder „ich schließe mich meinen Vorrednern an“. Den Heumadener Reißer stört das überhaupt nicht. „Ich hasse reden um des Redens willen“, sagt er. „Das zieht das Ganze nur in die Länge.“

Warum die Freien Wähler in Stuttgart in der Minderheit sind, kann Heinz Kälberer, der Vorsitzende des Landesverbands, erklären. „In Großstädten spielen Personenwahlen keine große Rolle“, sagt er. In den Dörfern hingegen schon. „Da kennt jeder jeden“, sagt Kälberer. Mitreden funktioniert auf dem Land auch ohne Parteibuch, vielleicht sogar besser.

Der typische Freie Wähler kommt von nebenan

Müsste man den typischen Freien Wähler beschreiben, wäre er bestimmt ein männlicher Gewerbetreibender von nebenan, der auf dem Land lebt, bodenständig und meist kein Studierter ist. „Freunde unter Freunden“, sagt Uli Demeter aus Hoffeld dazu. „Die Schicht der Freien Wähler ist sehr ähnlich.“

Zur Philosophie der Freien Wähler gehört neben der Nähe die Unabhängigkeit. Demeter sagt, „ich will auf gar keinen Fall einem politischen Kalkül unterliegen“. Gerhard Reißer aus Heumaden fühlt sich wohl „ohne Parteienzwang“, wie er es nennt. „Die Hackordnung entfällt“, sagt Rüdiger Herrmann aus Plieningen.

Und trotzdem gilt es in vielen Fällen als ausgemacht, dass die Freien Wähler die Hand mit der CDU und der FDP heben und nicht mit den Grünen, der SPD und SÖS/Linke. Das räumen Reißer, Demeter und Herrmann zwar ein, betonen aber, dass sie anders können, wenn sie wollen. „Wir sind nirgends ein Anhängsel“, sagt Herrmann, „deshalb sind wir Freie Wähler“.