Europäische Milch für die USA? Das Freihandelsabkommen TTIP könnte den Export von Milchprodukten erleichtern, meint der Bauernverband. Die TTIP-Kritiker unter den Bauern befürchten allerdings unter dem Strich mehr Nachteile als Vorteile.

Stuttgart - Bei Befragungen geben viele Verbraucher an, dass sie Lebensmittel aus regionaler Produktion bevorzugen, die nicht um die halbe Welt gekarrt wurden und frisch auf den Tisch kommen. Doch allein von der Belieferung der Märkte vor Ort kann die hiesige Landwirtschaft schon lange nicht mehr leben. Deutschland ist weltweit der drittgrößte Agrarexporteur, die EU als Ganzes steht auf Platz eins. 2014 kamen 39 Prozent der weltweit ausgeführten Agrarprodukte aus den 28 EU-Ländern.

 

Wie wichtig ausländische Märkte für die hiesigen Bauern sind, wird immer deutlich, wenn es im Export Probleme gibt. Ein Beispiel ist der Importstopp für viele EU-Nahrungsmittel, den Russland verhängt hat – als Antwort auf die Sanktionen, mit denen der Westen auf die Annexion der Krim geantwortet hat. Das Russland-Embargo ist nach Ansicht des Deutschen Bauernverbands einer der Hauptgründe für den aus Sicht vieler Landwirte existenzbedrohenden Preiseinbruch bei Milch, Schweinefleisch und Obst. Hinzu kommt eine schwächere Nachfrage aus Asien, wo die EU-Exporteure zuletzt hohe Zuwächse erzielt haben. Die Mengen, um die es dabei geht, sind zwar nicht riesig, sie reichen aber, um Druck vom hiesigen Markt zu nehmen – etwa bei Milchprodukten, wo die EU-weit erzeugte Menge rund zehn Prozent über dem Verbrauch liegt.

Bei der Suche nach neuen Exportzielen geraten schnell die USA ins Blickfeld – ein riesiger Markt mit 320 Millionen Verbrauchern, der bis jetzt für die deutschen und europäischen Bauern keine große Rolle spielt. Gerade mal drei Prozent der deutschen Agrarexporte gingen 2014 in die Vereinigten Staaten. Das könnte sich durch das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ändern, hofft der Deutsche Bauernverband. „Wenn die Verhandlungen zu einem fairen Abkommen führen, das die hohen Standards der EU berücksichtigt, sehen wir mehr Chancen als Risiken“, sagt der Vertreter des Verbands in Brüssel, Willi Kampmann.

Chancen bei Milchprodukten

Besonders stark könnte nach Ansicht des Verbandsvertreters die europäische Milchwirtschaft von einer weiteren Öffnung des US-Marktes profitieren. Immerhin ist die EU weltweit der größte Milchproduzent. Für Molkereiprodukte gebe es jedoch auf der anderen Seite des Atlantiks hohe Zutrittshürden – etwa aufgrund besonderer Hygienevorschriften. Zudem dürften die Produkte nicht über alle Häfen verschifft werden. Zusätzlich erschwert werde das Geschäft durch unterschiedliche Regelungen in einzelnen US-Bundesstaaten. „Einheitliche Standards für die USA wären aus unserer Sicht ein großer Fortschritt“, sagt Kampmann.

Grundsätzlich sei die EU-Milchwirtschaft gut aufgestellt für eine Marktöffnung in Richtung USA. „Fast drei Viertel unserer Exporte entfallen auf verarbeitete Produkte mit hoher Wertschöpfung – zum Beispiel auf Käse“. Hier könnten die Amerikaner wenig vorweisen: „Schauen Sie doch dort mal in eine Käsetheke rein! Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn wir da nicht landen könnten“, sagt Kampmann. Auch bei anderen Produkten sei der Anteil verarbeiteter und damit teurerer Nahrungsmittel an den EU-Agrarexporten relativ hoch. Die USA exportierten dagegen vor allem austauschbare Rohstoffe wie Getreide, Soja oder Fleisch. Weil Betriebe und Äcker in den USA deutlich größer sind als in Europa, liegen die Produktionskosten in vielen Bereichen der Landwirtschaft unter dem EU-Niveau. Auch Energie ist in den USA viel billiger.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die die Interessen der kleineren Bauern vertritt, befürchtet, das diese Betriebe durch TTIP weiter unter Druck geraten und noch mehr „dem Zwang des Wachsens oder Weichens“ ausgesetzt sein werden als ohnehin. Die AbL hält die starke Exportorientierung, die vom Bauernverband sowie weiten Teilen der Agrar- und Lebensmittelindustrie propagiert wird, generell für falsch.

Auch der Bundesverband der Milchviehhalter (BDM) sieht eher Nachteile. Der BDM befürchtet, dass durch TTIP und andere Freihandelsabkommen „die Grundstoffe für die Nahrungsmittelproduktion beliebig austauschbar werden.“ Das gelte auch für Milch. „Der billigste Anbieter bekommt den Zuschlag, egal wo und wie er produziert“, heißt es beim BDM. „Durch die starke Industrialisierung, aber auch durch billigeres Futter ist die Produktion von Milch und Fleisch in den USA günstiger“, gibt auch die Grünen-Europaabgeordnete Maria Heubuch zu bedenken. Zudem würden Hormone zur Ankurbelung der Milch- und Fleischleistung eingesetzt, die in der EU verboten sind. Das müsse auch so bleiben, findet Bauernfunktionär Kampmann. Allerdings tue sich die EU bis heute schwer, gesundheitliche Risiken durch den Verzehr von Hormonfleisch nachzuweisen.

Bei Rindfleisch droht schärfere Konkurrenz aus den USA

Die Rindfleischproduktion gehört laut einer Studie des Ifo-Instituts im Auftrag des Europäischen Parlaments zu den Bereichen, in denen Europas Bauern durch TTIP schärfere Konkurrenz aus den USA droht – wie auch bei Bioethanol, Geflügel und Getreide. Höhere Exporte in Richtung Amerika seien dagegen nicht nur bei Molkereiprodukten, sondern auch bei Wein, Spirituosen sowie Zucker und Biodiesel zu erwarten. Unter dem Strich sehen die Ifo-Wissenschaftler jedoch für die europäische Landwirtschaft mehr Nachteile als Vorteile. Wenn alle Zölle und zumindest ein Teil der sogenannten nicht tarifären Handelshemmnisse – das sind zum Beispiel unterschiedliche Vorschriften oder Qualitätsanforderungen – gestrichen würden, könnten die Exporte der EU in Richtung USA um 60 Prozent steigen. Die Amerikaner hätten dagegen ein Plus von 120 Prozent bei den Ausfuhren in die EU zu erwarten.

Das US-Landwirtschaftsministerium kommt in seinen Modellrechnungen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Beim Abbau aller Zölle und Mengenbeschränkungen, die den Warenaustausch bis jetzt behindern, könnten die US-Erzeuger ihre jährlichen Exporte in die EU demnach um 5,5 Milliarden Dollar gegenüber 2011 steigern. Die EU käme in umgekehrter Richtung nur auf ein Exportplus von 0,8 Milliarden Dollar. Würden zusätzlich die teilweise deutlich strengeren EU-Vorgaben – etwa beim Einsatz von Wachstumshormonen oder der grünen Gentechnik – abgeschafft, könnten die Amerikaner ihre Agrarausfuhren um weitere 4,1 Milliarden Dollar steigern, die EU dagegen nur um 1,2 Milliarden Dollar.

Standards sollen nicht in Frage gestellt werden

Ein solches Szenario hält Willi Kampmann vom Bauernverband nicht für sehr realistisch. Sein Argument: die EU habe ihre hohen Standards gegenüber den eigenen Landwirten durchgesetzt – die darüber längst nicht immer erfreut gewesen seien. „Da wäre es doch völlig unlogisch, wenn die Verhandlungsführer der EU jetzt nach Washington fahren würden, um das dort alles in Frage zu stellen“, findet der Funktionär.

Die AbL ist da skeptischer. Die Organisation führt als Beispiel dafür an, dass die EU die Behandlung geschlachteter Hühner mit Essigsäure zulassen will – eine Methode, die in den USA üblich ist. Die TTIP-Kritiker sehen darin einen weiteren Schritt zum „Chlorhuhn“, also der Desinfektion mit Chlordioxid. Gesundheitsschädlich ist diese Praxis nach Ansicht des Bundesinstituts für Risikobewertung nicht. Doch die TTIP-Gegner befürchten, dass damit hygienische Probleme im Stall oder bei der Schlachtung kaschiert werden könnten. „Die Prozessqualität in Europa vom Hühnchen im Stall bis zur Ladentheke soll ausgetauscht werden durch eine chemisch herbeigeführte Produktqualität“, sagt die AbL-Bundesvorsitzende Gertraud Gafus.

Zwischen Abschottung und Freihandel

Gemessen an den gesamten deutschen Ausfuhren ist der Anteil des Agrarsektors mit knapp sechs Prozent relativ klein. Angeführt wird die Statistik von den Schlüsselbranchen Autoindustrie und Maschinenbau, die TTIP klar befürworten, weil sie sich bessere Absatzchancen in Übersee erhoffen. Vielen Landwirten ist dagegen der Abbau von Handelsschranken suspekt. Die Märkte für Agrarprodukte wurden nicht so schnell geöffnet wie jene für andere Waren. Die Politik setzt in vielen Ländern bis heute auf Zölle oder Importquoten, um heimische Bauern zu schützen. Zur Marktabschottung tragen zudem spezielle Anforderungen an Qualität und Produktionsweisen bei – ein Beispiel dafür sind Importverbote für Fleisch hormonbehandelter Tiere. Durch TTIP könnte ein Teil dieser nicht tarifären Handelsschranken wegfallen, was sowohl Verbraucherschützern als auch Bauern in der EU Sorgen bereitet.

Zölle und Quoten sind nicht der einzige Weg, um heimischen Bauern Vorteile zu verschaffen. Mindestens ebenso wichtig sind die Agrarsubventionen in EU und USA. Zwar wurden die Exportbeihilfen, mit denen die reichen Länder lange Zeit ihre Überschüsse in den Weltmarkt drückten, weitgehend abgeschafft, aber trotzdem erhält jeder Landwirt in der EU pro Hektar knapp 300 Euro aus Brüssel – und kann seine Produkte deshalb billiger anbieten als ohne staatliche Zahlungen. Die US-Regierung bietet ihren Landwirten wiederum günstige Kredite zur Exportfinanzierung an. Beide Maßnahmen bringen EU und USA Wettbewerbsvorteile – und drängen Bauern in ärmeren Ländern aus dem Markt. Das gefährdet die Ernährungssicherheit und hat bisweilen absurde Folgen. So berichtete „Die Zeit“ jüngst über Tomatenbauern in Ghana, die nicht mit Billigimporten aus Südeuropas Großplantagen mithalten können – auf denen ausgewanderte ghanaische Bauern als Pflücker schuften.

Gemäß der herrschenden Wirtschaftstheorie soll der Abbau von Handelsschranken eigentlich allen Beteiligten wirtschaftliche Vorteile bringen. Bei ähnlich starken Wirtschaftsmächten wie den USA und der EU ist das leicht nachvollziehbar. Wenn es um den Handel zwischen sehr unterschiedlich starken Partnern geht, sind zumindest Zweifel an dieser Theorie angebracht. Was in den meisten Modellen auch nicht berücksichtigt wird, ist die wachsende Umweltbelastung durch Transporte, zu denen auch der globale Agrarhandel beiträgt.