Amanda Knox, "der Engel mit den Eisaugen", hat nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht gemordet - und auch ihr Ex-Freund kommt frei.
Rom - Zehn Monate Prozess, zehn Stunden Beratung. Montagabend gegen 22 Uhr schließlich hatten sich die Richter des Berufungsgerichts in Perugia - zwei Berufsrichter, sechs Schöffen - ihr Urteil gebildet. Und während Amanda Knox, die in erster Instanz zu 26 Jahren Haft verurteilte amerikanische Studentin, vor Weinen fast zusammenbrach, verkündete der Vorsitzende Richter Claudio Pratillo Hellmann: Die Angeklagten sind frei. Nicht nur aus Mangel an Beweisen, wie es zuletzt als Möglichkeit kolportiert worden war, sondern weil sie "die Tat nicht begangen" hätten. Und im 530 Jahre alten, freskengeschmückten Gerichtssaal von Perugia entlud sich die lange aufgestaute Spannung in kopfschüttelndem Erstaunen, in "Wow"-Rufen, in Umarmungen und in vielen Tränen solcher und solcher Beweggründe.
Den ganzen Tag über hatten Fernsehteams aus aller Welt den Gerichtspalast förmlich belagert. Der Platz davor, in der historischen Altstadt von Perugia, war dabei zu einem Riesenparkplatz für Übertragungswagen geworden. Taghell hatten die Scheinwerfer das Gebäude beleuchtet - und die Statue der "Gerechtigkeit" über ihrem Eingangstor.
Die gesamten USA auf ihrer Seite
Eingeflogen war die Familie des Mordopfers vom 1. November 2007, der englischen Studentin Meredith Kercher. Eingeflogen war aus dem amerikanischen Seattle auch die Familie von Amanda Knox, die mit einer angeblich einer Million Dollar teuren PR-Propaganda das öffentliche Bild ihrer Tochter im Lauf der beiden zusammen dreijährigen Prozesse bestimmt hatte.
Diese Eltern wussten praktisch die gesamten USA auf ihrer Seite: In allen amerikanischen Fernsehanstalten war die "ungerechte Behandlung" der Amanda Knox gerade in den letzten Tagen das Aufmacherthema. Und die italienische Justiz musste sich "Barbarei" vorhalten lassen - was die italienischen Staatsanwälte nicht ruhen ließ. Sie beantragten "die Höchststrafe" für Amanda Knox und ihren damaligen Freund Raffaele Sollecito, "und zum Glück ist das in Italien nicht die Todesstrafe."
Nur ein Schuldiger
Freispruch also für die 24-jährige Knox und den 27-jährigen Sollecito. Nach vier Jahren Haft können sie nun ihrer Wege gehen. Und für den grausamen, sexuell motivierten Mord an Meredith Kercher gibt es nur einen Schuldigen: Rudy Guede von der Elfenbeinküste. Zwar hatte das oberste Gericht Italiens, als es den heute 27-jährigen in einem gesonderten Prozess zu 16 Jahren Haft verurteilte, die Beteiligung mehrerer Täter letztinstanzlich festgehalten. Wer diese Mittäter aber waren, wird wohl ungeklärt bleiben. Außer - unklaren - Spuren von Knox und Sollecito fanden sich am Tatort keine Hinweise auf weitere Personen.
"Gerechtigkeit" sei hergestellt, sagte der Anwalt von Amanda Knox nach dem Urteil. Wie dieses wurde sein Triumph live von den Fernsehkameras in alle Welt übertragen. Und auf dem Platz vor dem Gericht kam es zu einem Volksauflauf. Die Missfallensbekundungen hatten gegenüber den Jubelrufen freilich die Oberhand. "Schande, Schande", riefen einige.