Für Samstag kündigen AfD und Pegida einen Schweigemarsch durch die Stadt an. Derweil rückt die Arbeit von Polizei und Justiz in den Fokus.

Chemnitz - Chemnitz kommt nicht zur Ruhe. Nachdem am Sonntag ein rund 800 Personen zählender Mob durch die Straßen gezogen war und Jagd nach Menschen mit fremdländischem Aussehen gemacht hatte und es auch am Dienstag zu Ausschreitungen gekommen war, haben nun die AfD und das Pegida-Bündnis für Samstag zu einem Schweigemarsch durch Chemnitz aufgerufen. Auslöser der Übergriffe war eine Messerstecherei, bei der ein 35-jähriger Deutscher getötet wurde. Gegen einen Syrer und einen Iraker wurden Haftbefehle erlassen. Für kommenden Montag hat ein breites Kulturbündnis in der Stadt zu einem Gratiskonzert unter dem Motto „Wir sind mehr“ aufgerufen.

 

Am Mittwoch rückte die Arbeit der Polizei und der Justiz zur Aufklärung der Geschehnisse in den Vordergrund. Wie der Sprecher der Dresdner Oberstaatsanwaltschaft, Wolfgang Klein, unserer Zeitung erklärte, wird der Komplex in drei Staatsanwaltschaften behandelt: Während in Chemnitz das Tötungsdelikt untersucht wird, hat die Oberstaatsanwaltschaft Dresden die Straftaten rund um die Demonstrationen übernommen. Dazu zählen unter anderem das vielfache Zeigen des Hitler-Grußes und Übergriffe gegen Polizisten. Die Staatsanwaltschaft Dresden, eine untergeordnete Behörde, beschäftigt sich mit einem Vorgang, der am Mittwoch für Empörung in der Politik gesorgt hat: Der Haftbefehl gegen den tatverdächtigen Iraker wurde unter anderem von der rechtspopulistischen Organisation „Pro Chemnitz“, einem AfD-Abgeordneten und Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann im Internet veröffentlicht.

Haftbefehl mit Namen von Zeugen und Richterin im Internet

In dem Dokument werden die Namen des Opfers, der Richterin und Einzelheiten zu den mutmaßlichen Tätern genannt. Auch Zeugennamen sind im Dokument benannt, so dass die Staatsanwaltschaft Chemnitz angekündigt hat, Maßnahmen zum Schutz der Zeugen zu treffen. Lorenz Haase, Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft, sagte unserer Zeitung, es werde wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses ermittelt. Der Vorgang solle schnell aufgeklärt werden. „Noch aber ist die Akte nicht bei uns“, sagte Haase.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nannte die Veröffentlichung des Haftbefehls „vollkommen inakzeptabel“. Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) befürchtet einen weiteren Schaden für die Ermittlungen. Auch Johannes Fechner, der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, forderte rasche Aufklärung darüber, „wie der Haftbefehl als internes Behördendokument Rechtsradikalen zugänglich gemacht wurde“.

Trotz Warnungen des Verfassungsschutzes

Fechner nannte es zudem „unverantwortlich gegenüber den eingesetzten Polizisten und der Bevölkerung“, dass die Polizeiführung in Chemnitz „trotz ausdrücklicher Hinweise des sächsischen Verfassungsschutzes auf gewaltbereite Rechtsradikale zu wenig Polizeikräfte eingesetzt hat“. Der FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae verlangte „Fortbildungsmaßnahmen“, um die „Sensibilität der Polizeibeamten zu schärfen“. Thomae sagte unserer Zeitung: „Wenn in einem Bundesland überdurchschnittliche extreme Gesinnungen in der Bevölkerung existieren, wie dies in Sachsen der Fall zu sein scheint, dann bedarf es einer erhöhten Sensibilität in der Politik und bei den obersten Polizeibehörden, dass nicht auch die Polizei von dieser Gesinnung erfasst und infiltriert wird.“

Integrationsbeauftragte lädt ins Kanzleramt

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), hat als Reaktion auf die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz die ostdeutschen Integrationsbeauftragten für den 24. September ins Kanzleramt eingeladen. Dabei soll über den wachsenden Rechtspopulismus und Maßnahmen gegen Rassismus und Fremdenhass beraten werden. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass Rassismus „salonfähig“ werde, sagte Widmann-Mauz.

Dagegen hält AfD-Chef Alexander Gauland die ausländerfeindlichen Übergriffe nicht für skandalös. „Wenn eine solche Tötungstat passiert, ist es normal, dass Menschen ausrasten“, sagte er.