Neulich hatten Becker und seine Kollegen den Autor Günter Wallraff in Mügeln zu Gast. Beinahe hätte die Lesung gar nicht stattgefunden. Der Bürgermeister brachte Bedenken vor. Erst als die angesehene Apothekerin des Ortes mehrfach bei ihm vorsprach, stellte Deuse den Ratssaal zur Verfügung. Der war rasch ausverkauft. Mügeln erlebte einen denkwürdigen Abend.

Wallraff zeigte Ausschnitte aus seinem Film "Schwarz auf Weiß", in dem er als Schwarzer maskiert durch Deutschland reist und Rassismus am eigenen Leib erfährt. Seine Erfahrung zeigte, dass Rassismus keine ostdeutsche Spezialität ist. Dann sagte Wallraff: "Vielleicht können wir ja doch über die speziellen Mügelner Probleme sprechen." Ein Besucher meldete sich zu Wort: "Ich vermisse hier Herrn Deuse. Unser lieber Bürgermeister hat bei dem Fußballspiel ja wieder nichts gehört. Die Leute wissen, wer hier Ärger macht, aber die haben Angst, dass sie auf die Augen kriegen. Der Bürgermeister weiß das, aber er zieht das ins Lächerliche."

Günter Wallraff redete den Mügelnern ins Gewissen


Dann meldeten sich andere: Ein Mann, der mit seiner Familie vor Jahren aus dem Rheinland hergezogen war, erzählte, was seine amerikanische Austauschschülerin in Mügeln erlebt hatte. Das Mädchen hat die dunkle Haut indianischer und mexikanischer Vorfahren: "Es gab vier radikale Übergriffe gegen das Mädchen und viele, viele Sticheleien", erzählte der Gastvater, "wir haben darum gebeten, beim nächsten Mal ein weißes Kind zu bekommen." Resigniert fügte er hinzu: "Man passt sich seiner Umgebung an." Plötzlich war der Rassismus im Ratssaal angekommen. Und Mügelner trauten sich, das Problem offen anzusprechen. Keiner, der es bestritt. Im Publikum saßen die üblichen des Rassismus Unverdächtigen: junge Leute mit langen Haaren und alternativer Kleidung. Aber auch ganz normale Bürger waren gekommen: Paare, Eltern, Rentner. Nach dem Stadtfest wurden Themen wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit tabuisiert. An diesem Abend wurde ein Tor aufgestoßen.

Wallraff redete den Mügelnern ins Gewissen. Er wechselte vom Sie zum Du, beschwor sie wie ein Pastor auf der Kanzel: "Sie können das nicht den Jugendlichen überlassen. Die alteingesessenen Mügelner müssen sich zusammentun. Werdet Mitglieder in den Parteien, sammelt Unterschriften. Ihr könnt das ändern hier. So wie das in Mügeln ist, kann das nicht weitergehen." Es sei Schlimmes passiert damals, antwortete eine Frau. Ihre Stimme bebte. Es kostete sie sichtlich Überwindung zu sprechen. Doch nachdem die Täter jenes Gewaltexzesses gegen die Inder mit Bewährungsstrafen davongekommen seien, "ham die Leute einfach Angst".

Günter Wallraff reiste noch am Abend wieder aus Mügeln ab. Zurück blieben Martina Schwerdtner, Roman Becker und die Probleme. Jetzt müssen sie wieder Akten sichten, Nutzungspläne schreiben, auf Behördenfragen antworten. Roman Becker erzählt, dass ein Besucher der Lesung angeboten habe, dem Verein ein Übergangsquartier zur Verfügung zu stellen, bis das Problem mit dem Vereinsheim gelöst ist. Es könnte ein Anfang sein in Mügeln.