Novak Djokovic hat sich nach seinem Sieg in Rom sportlich wieder rehabilitiert und zählt bei den French Open zu den Favoriten auf den Turniersieg. Doch wird es wohl noch dauern, bis sein kurioser Auftritt zu Jahresbeginn in Australien vergessen sein wird.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Kürzlich befand sich Novak Djokovic derart im Glück wie selten zuvor in diesem turbulenten Jahr. Sein Sohn Stefan gewann im zarten Alter von sieben Jahren sein erstes Kinderturnier, und nachdem ihm das der Sohnemann per Video-Call berichtet hatte, erzählte Djokovic senior von dem Gespräch und schilderte seine Einrücke so: „Er hat mir mit Schattentennis Vorhände und Rückhände gezeigt und wie er sich bewegt – er schwebt auf Wolke sieben.“

 

Dem stolzen Vater selbst ging es in diesem Moment nicht anders. Fast zeitgleich hatte er das Masters in Rom gewonnen, selten hat einer seiner Erfolge etwas so Befreiendes gehabt. Nach dem Zweisatzerfolg im Finale gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas hatte Djokovic den ersten Turniersieg des Jahres eingefahren – endlich! Ausgerechnet in Rom, dieser wunderbaren Stadt, diesem unglaublichen Freiluft-Museum, den Vatikan inklusive, wendete sich für den Weltranglistenersten in diesem Jahr erstmals die Situation zum Guten. Und dann zeigte der Sohnemann auch noch, dass er wohl beste Gene vererbt bekommen hat und schon früh auf den Spuren des Vaters wandelt.

Balsam für die Seele

Dieser familiäre Doppelerfolg im Hause Djokovic war Balsam für die geschundene Seele des Serben. Den riesigen Wirbel um seinen Impfverzicht, der ihn um die Teilnahme an den Australian Open brachte und auch die Starts bei anderen Turnieren verhinderte, diesen ganzen Zirkus hatte sich der Tennisspieler selbst eingebrockt. Klar ist aber auch, dass die verrückte Geschichte mit dem ewigen Hin und Her um seine Australien-Einreise auch Spuren hinterlassen hat an Djokovics seelischem Befinden.

Irgendwie waren doch fast alle gegen ihn, er muss sich vorgekommen sein wie ein Hassobjekt, wie ein Tennisprofi, dem man obendrein den Anspruch auf eine Vorbildfunktion entrissen hatte.

Der Blick nach vorn

Dann endlich kam Rom. Djokovic steigerte sich, zeigte ansatzweise wieder sein bestes Tennis und rehabilitierte sich fürs Erste – zumindest wieder sportlich.

Der Sieg in Italien ließ Djokovic aufatmen. „Ich fühle mich großartig auf dem Platz, und mental bin ich auch frisch“, sagte der Sieger nach seinem Triumph. Die schwierigen Zeiten liegen inzwischen ein paar Wochen zurück, von jetzt an zählt für ihn nur noch, wieder nach vorne zu blicken. „Ich denke, dass ich es hinter mir gelassen habe“, meinte Djokovic auch im Hinblick auf seine guten Leistungen auf dem Sandplatz in Rom.

„Antrieb für die nächsten Herausforderungen“

Der Kopf scheint wieder frei zu sein, der ganze negative Stress ist wohl überwunden. „Ich versuche immer, diese Situationen und Widrigkeiten als Antrieb für die nächsten Herausforderungen zu nutzen“ – auch diesen Satz ließ er vernehmen.

Soll heißen: Niederlagen machen ihn stärker.

Novak Djokovic ist beileibe nicht der erste Sportler, der solche Bezüge herstellt. Doch mit Blick auf die zeitliche Abfolge war der Rom-Sieg ein Erfolgserlebnis zum richtigen Zeitpunkt. An diesem Sonntag starten bei den French Open in Paris, dem zweiten Grand-Slam-Turnier des Jahres, die Hauptfeldspiele. Das erste große Turnier in Melbourne war für Djokovic zum persönlichen Horrortrip geworden – nun bietet sich in der französischen Metropole eine neue Chance für den Tennisspieler. Der Weg führt ihn zurück zu seiner Mission.

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Die lautet, den Rekord von 21 Grand-Slam-Turnier-Titeln seines Dauerwidersachers Rafael Nadal zu egalisieren und in ferner Zukunft noch zu übertrumpfen. Djokovic kommt auf 20 Major-Erfolge. Nadal zu toppen ist allein deshalb Pflicht, weil (Groß-) Vater Srdjan Djokovic seinen Sohn in überheblicher Manier offenbar für einen Übermenschen hält und in irrer Weise einen Vergleich mit Jesus zog. „Jesus wurde gekreuzigt, ihm wurde alles angetan, und er ertrug es und lebt immer noch unter uns“, sagte Srdjan Djokovic und vervollständigte seinen irritierenden Auftritt mit dem Zusatz: „Jetzt versuchen sie Novak auf die gleiche Weise zu kreuzigen und ihm alles anzutun.“

Gegen den Rest der Welt

Dann hob der Vater seinen Sohn auch noch auf das Podest eines serbischen Freiheitskämpfers. „Novak ist Serbien, und Serbien ist Novak“, sagte der Vater, der das ohnehin nicht blendende Image seines Sohnes mit derlei Äußerungen zusätzlich belastete. Flankiert wurde der Vater während seines martialischen Gehabes von Djokovics jüngerem Bruder Djordje. Das Gebaren erschien wie der Kampf eines Familienclans gegen den Rest der Welt – nur weil Novak Djokovic glaubte, sich während der Hochphase der Corona-Krise nicht an die Einreise-Bestimmungen in Australien halten zu müssen.

Sportlich will Novak Djokovic das angeknackste Image wieder aufpolieren. Nur ist es so, dass er bereits 34 Jahre alt ist und deshalb nicht mehr allzu viele Chancen hat, den Rekord zu holen. Auch sein spanischer Tennisrivale Rafael Nadal, ein Jahr älter und der zweifelsfrei beste Sandplatzspieler aller Zeiten, könnte seine eigene Sammlung noch um die eine oder andere große Trophäe erweitern.

Und dennoch: Auf zu neuen Ufern, die Vergangenheit ruhen lassen – so sieht jetzt der Plan von Novak Djokovic aus. Solch ein Theater wie das in Australien hatte er zuvor nie erlebt und möchte er auch nie mehr erleben. „So oft wie ich Druck in meinen Leben und in meiner Karriere gespürt habe“, sagt er, „war dies ein ganz anderes Niveau.“