In Heslach hat ein Training für Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit stattgefunden.
S-Süd - Erst nachdem er ihr aus der Hand gefressen hat, beginnt sie aus selbiger zu essen. Danach kauert sie vor ihm nieder und er drückt ihren Kopf mehrfach gegen den Boden. Die Rituale der Albatros-Kultur, die da vorgeführt werden, erstaunt einige der Frauen und Männer im Generationenhaus Heslach. An die 30 Frauen und Männer aller Altersgruppen, Ehrenamtliche Helfer in der Flüchtlingsarbeit und welche, die es noch werden wollen, sind zu dieser Veranstaltung des Integrationsprojekts „Lebendige Nachbarschaft“ gekommen, um etwas über „Interkulturelle Kommunikation & Interaktion“ zu erfahren.
Und zum Einstieg sollten die Teilnehmer die fiktiven Artgenossen der Albatrosse beobachten. „Wie Ethnologen“, erklärte Heike Göttlicher, interkulturelle Trainerin und Geschäftsführerin von Together Strong. Sie bekam viele Eindrücke. „Sie sprechen nicht“, hieß es da, oder „rollenspezifisches Verhalten“, „sie hat die Schuhe aus, er nicht“ und „die Frau ist unterwürfig“. Letzteres Wort sei nicht nur beobachtend, sondern bereits wertend, so Göttlicher, bevor sie die Eigenarten der Albatrosse beschrieb: „Die Frauen haben eine hohe Stellung, weil sie Leben geben, nur sie dürfen die Erde berühren, die Männer sind ihre Vorkoster.“ Fazit: Jeder filtere alles, durch Brille der eigenen Kultur, sie sei automatisch Maßstab.
Werte und Normen sind zunächst unsichtbar
Das Eisbergmodell aus der Kommunikationstheorie machte es deutlicher. Demnach ist nur ein kleiner Teil der Kultur eines Gegenübers sichtbar, unter anderem Kleidung, Sprache, Essen, Umgangsformen. Aber Prägendes wie Werte, Normen, Traditionen, Religion und mehr sind zunächst unsichtbar. „Das kann Missverständnisse auslösen.“ Deswegen sei es wichtig, sich zu informieren über eine andere Kultur – und den Menschen Fragen zu stellen.
Christa Niemeier, Grünen-Bezirksbeirätin im Stadtteil Süd, brachte einen weiteren Aspekt ins Spiel: „Um es komplexer zu machen: Jedes Individuum ist anders, hat unterschiedliche Erfahrungen, die ihn ebenso prägen. Die Menschen, die hierher kommen, haben verschiedene Traumatisierungen.“ Niemeier war es auch, die die Reihe initiierte, weil in den Gruppen des Integrationsprojekts ein solches Training gewünscht wurde. „In der Böblinger Straße, wo sich der Freundeskreis Flüchtlinge engagiert, soll sich eine gute Nachbarschaft mit den Gästen entwickeln“, so Niemeier. Da helfe es, die Kultur des anderen zu verstehen.
Jede Kultur hat ein anderes Zeitverständnis
Kulturell bedingte Verhaltensweisen nahm auch der zweite Coach des Nachmittags auf: Steffen Henkel, Geschäftsführer der „Cross Cultural Academy“, schilderte, dass außer den Deutschen nur noch die Israelis vor allem auf der Sachebene kommunizierten, während die meisten anderen Nationen die Beziehungsebene mit hineinbrächten. „Daher wirken wir international roboterartig“, so Henkel. Der Deutsche wolle die Dinge schnell geklärt bekommen – und in jeder Kultur gebe es ein anderes Zeitverständnis. „Wenn jemand zu spät kommt, weil er es so kennt, ist das für ihn OK. Hier fühlt man sich womöglich nicht wertgeschätzt, aber das hat nichts damit zu tun.“ Wie also beispielsweise Flüchtlinge mit zum Chor nehmen, wenn sie Aushänge nicht beachtet haben und man erst mit jedem – der Beziehungsebene wegen – eine Tasse Tee trinken muss und es zudem Sprachbarrieren gibt?
„Könnten wir das mal konkret mit Flüchtlingen bearbeiten?“, wünschte sich eine Teilnehmerin. „Heute ist ein Einstieg“, so Christa Niemeier. „Wir nehmen alles auf, vorstellbar wäre es, Workshops dazu zu machen.“