Das einstige Stuttgarter Hip-Hop-Kollektiv Freundeskreis hat auf dem neuen Konzertsommer-Areal vor dem Mercedesmuseum sein Zwanzig-Jahr-Jubiläum mit einer Wiedervereinigung gefeiert. Der Veranstaltungsort offenbart dabei seine Tücken.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Vor dem Hauptbahnhof, am späten Mittwochnachmittag. Seltsam fremdartige Musik, perkussiv, mit Glöckchenklang und mantrahaftem Gesang. Ein Grüppchen Hare-Krishna-Sänger lebt sich tanzend aus; anrührend fast schon, dieses längst ausgestorben gewähnte Relikt aus den siebziger Jahren. Aber so schnell ist offenbar eine Haltung, eine Überzeugung, ein Lebenswandelweg, ein Bewusstsein nicht kleinzukriegen.

 

Doch für Kontemplation ist keine Zeit, geeilt muss werden zum Mercedesmuseum, dortselbst soll es nämlich zu überaus zeitiger Stunde, schon um sieben Uhr, vorprogrammlos mit dem ersten der beiden Auftritte des Freundeskreises losgehen. Und Ehre, wem Ehre gebührt: Hier gilt es immerhin ein ganz besonderes Jubiläum zu feiern. Vor gut zwanzig Jahren gründete sich das Stuttgarter Hip-Hop-Trio von Max Herre, DJ Friction und Don Philippe. Vor genau zwanzig Jahren legte es sein Debütalbum „Quadratur des Kreises“ vor, das längst zu einem Klassiker des Genres geworden ist. Vor exakt zehn Jahren wiederum kam es zu den letzten Auftritten des Freundeskreises, mit dem Tourfinale im September 2007 im Kickers-Stadion. Nebst dem Farewell.

Fehlender Durchblick

Tja, und nun sind sie plötzlich und auch ein bisschen unvermutet (wir berichteten) wieder da. Nachdem der wiedervereinigte Freundeskreis in Berlin und München aufgetreten ist, stehen – wegen der immensen Nachfrage – jetzt gleich auch zwei Konzerte in Stuttgart auf dem Programm. Die Bühne bietet der neu ins Leben gerufene Konzertsommer, eine kleine Veranstaltungsreihe vor dem Mercedesmuseum. Genauer gesagt dehnt sich das Areal auf einer versiegelten Fläche zwischen der Mercedes-Niederlassung und der Bundesstraße 14 aus.

Das hat – davon abgesehen, dass auf dem nicht sonderlich anmutigen Veranstaltungsgelände weit und breit nur Beton zu sehen ist und keinerlei Sitzgelegenheiten vorhanden sind – zwei Nachteile. Einen akustischen, der Klang wirkt sehr hallig. Und, viel gravierender, einen praktischen: Das Terrain dehnt sich nicht in die Breite, sondern in die Länge aus. Sehr weit entfernt müssen viele Besucher stehen (Einlass in die vorderen Bereiche gibt es nur mit einem entsprechenden Armbändchen), und in der kompletten hinteren Hälfte des Publikumsbereichs gibt es gar keine Sicht mehr auf die Bühne – lediglich auf einer aufgestellten Videowand kann man hier die Musiker sehen, was natürlich den Sinn eines Konzertbesuchs konterkariert. Denn dann kann man sich genausogut ja auch gleich eine Live-DVD kaufen.

Der Freundeskreis hat sich für die beiden Konzerte zu den FK Allstars konstituiert, seiner um eine Band und Gäste erweiterten Konstellation. Auf der Bühne stehen hinten DJ Friction und Don Philippe an Turntables und Knöpfchen sowie die Band rund um den Arrangeur Lillo Scrimali, vorne sprechen und singen Max Herre, Afrob, Sékou und Megaloh sowie die Sängerin Rachel. Und schließlich Joy Denalane, Herres Frau. Sie gehört bekanntlich schon lange zu den Freundeskreis Allstars, umgekehrt hat sie sich ja auch als Solokünstlerin einen Namen gemacht. Unter anderem stand sie so erst vor ein paar Wochen auf der Bühne des Stuttgarter Wizemanns, weswegen ein wenig irritiert, dass sie es – wie sie auf der Bühne erzählt – „unglaublich“ findet, dass sie nach zwanzig Jahren jetzt wieder hier stehe. Aber das sei geschenkt, wie es ja auch Geschmackssache ist, dass sie frisch umgezogen ausführlich Gelegenheit bekommt, in einem Solomittelteil des Konzerts ihr neues Album „Gleisdreieck“ vorzustellen.

Auffällig ist jedoch, wie sehr sie von Beginn an mit im Zentrum des Geschehens agiert. Schon beim Auftaktstück, dem Klassiker „Esperanto“, ist sie mit dabei, durchgehend bis zum Ende des mit zweieinhalb Stunden sehr ausufernden Abends steht sie sehr im Vordergrund. So sehr, dass man zeitweise fast den Eindruck gewinnt, hier handele es sich eher um eine öffentliche Demonstration des Verliebtseins des Duos Joy & Max als das Revival des Kollektivs Freundeskreis.

Tausende Triebfedern

Neben der Freude an den Segnungen der Eventgesellschaft und einer tüchtigen Prise Lokalpatriotismus dürfte Nostalgie die größte Triebfeder bei den meisten der jeweils 7300 Besucher an den beiden ausverkauften Abenden gewesen sein. Und sie wird erhört. Eine Zeitreise durch zwanzig Jahre Bandgeschichte und mithin die Stuttgarter Hip-Hop-Geschichte unternimmt der Freundeskreis, viele Selbstvergewisserungen (manifestiert etwa im gerappten Zweizeiler „Zwanzigster Geburtstag, immer noch Kolchose-Pulsschlag“) inklusive. Souverän allerdings führt Herre als Moderator durch den Abend, dem Publikum werden die Hymnen „1ste Liebe“, „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“, „Mit dir“ und „A-N-N-A“ allesamt geboten, Freunde des Hip-Hop der alten (Stuttgarter) Schule kommen ebenso auf ihre Kosten wie die Liebhaber der etwas verträumteren Nummern. So gesehen alles gut und schön.

Bemerkenswert, und da wären wir wieder bei den Krishna-Jüngern, ist allenfalls, wie wenig bei all den Reminiszenzen an die Vergangenheit von der Atittüde des sogenannten Conscious-Rap geblieben ist. Eine Haltung, ein Bewusstsein, einen Lebenswandelweg und ein Bewusstsein – alles das gilt bei der Band gewiss noch immer, das spricht allein aus den alten Texten. Aber an diesem ganzen, langen und allzu sehr auf Harmonie bedachten Abend kein einziges Wort über die aktuelle Lage in Deutschland und anderswo zu verlieren: Das muss man als selbsternannte politische Band erst einmal hinkriegen.

Über das Pech mit den Witterungsbedingungen am ersten Abend – just zum Konzertende ging ein Gewitter von orgiastischen Ausmaßen nieder – decken wir ebenso den Mantel des Schweigens wie über den viel zu basslastigen Sound. Erwähnt werden muss jedoch die katastrophale Verpflegungssituation, die zu teils zwanzig Meter langen Schlangen vor den viel zu wenigen Getränkeständen geführt hat. Das sollte der Veranstalter für den Fall einer Neuauflage dieses Festivals nochmals gründlich überarbeiten. Ob dieser Veranstaltungsort an sich für ein solches Festival geeignet ist, scheint ohnehin sehr fraglich.