Friedenskirche in Ludwigsburg Diskussion über Geflüchtete – (fast) ohne Tabus

Viele Interessierte haben die Diskussion in der Kirche verfolgt. Foto:  

Die Friedenskirche wird zum Verständigungsort – Bürger reden über die Frage „Ist das Boot voll? Ludwigsburg und seine Flüchtlinge“.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Raus aus der Filterblase! Das ist das Motto an diesem Abend in der Friedenskirche Ludwigsburg. Die Veranstalter wollen den Menschen Raum geben für „einen ehrlichen Austausch“. Fast alles darf, soll, muss gesagt werden – tabu sind einzig Beleidigungen, menschenverachtende und verfassungsfeindliche Worte. Stark zwei Stunden lang geht es in dem gut besuchten Gotteshaus um die rund 2350 Flüchtlinge, die in der Barockstadt leben, um die geplante Landeserstaufnahmeeinrichtung (Lea) und um diese durchaus brisante, für manche provokative Frage: „Ist das Boot voll?“

 

Nach einer Gesprächsrunde mit der Bürgermeisterin Renate Schmetz, der Regisseurin und Autorin Mo Asumang aus Berlin und der EU-Abgeordneten Andrea Wechsler (CDU) sind die Besucher gefragt.

„Wir können nicht jeden reinlassen“

An einem der Tische erzählen fünf Männer und zwei Frauen von sich und den eigenen Erlebnissen mit Flüchtlingen. „Wir können nicht alle aufnehmen, die kommen wollen“, sagt ein Mann. Flüchtlinge, die aus einem sicheren Drittland kommen, etwa aus der Schweiz, hätten ohnehin kein Recht einzureisen. „Wir können nicht jeden reinlassen, der rein will“ – sonst sei das Boot „irgendwann voll“. Ihm sei es unangenehm, wenn er am Bahnhof unterwegs sei, denn „gefühlt spricht dort kaum noch jemand deutsch“.

Die meisten anderen in der Runde teilen diese Meinung ganz offenkundig nicht. Ein junger Mann sagt, „der Westen“ sei mitverantwortlich dafür, dass viele Menschen aus Afrika nach Europa fliehen, dass sie fliehen müssten. Aus seiner Sicht ist es „schön, dass so viele Menschen zu uns kommen, das ist eine Chance für Deutschland“. Konträren Meinungen prallen aufeinander – allerdings nicht hart, sondern eher verbindlich. Ganz anders als bei vielen Veranstaltungen mit den Themen Migration, Zuwanderung und Lea. Man hört unaufgeregt zu, lässt die anderen ausreden – und nimmt bestenfalls einen neuen Eindruck mit, etwa diesen: Wer eine andere Meinung hat, ist deshalb noch lange kein Ignorant, kein blinder Idealist und auch kein Nazi. „Es geht nicht um richtig oder falsch“, ist auf den Blättern zu lesen, die auf den Tischen ausliegen, sondern darum, zu erläutern, „was Sie dazu gebracht hat, dass Sie dieser Meinung sind“.

Bei der Veranstaltungsreihe „Verständigungsorte“, die in diesem Jahr bundesweit in mehreren Städten stattfindet, sollen die Akteure nicht über andere reden, sondern jeder nur von sich selbst erzählen. Das machen auch die drei Promis auf dem Podium: Renate Schmetz berichtet im Gespräch mit dem Ludwigsburger Hochschulpfarrer Stephan Seiler-Thies, dass sie als Grundschülerin vietnamesische Kinder – sogenannte Boatpeople – kennengelernt habe. „Das war halt so, das habe ich nicht hinterfragt.“

„Die Flüchtlinge besser integrieren“

Mo Asumang – sie hat einen Vater aus Ghana und eine deutsche Mutter – erzählt, dass sie oft Rassismus erlebt habe. Und Andrea Wechsler erzählt, dass sie nach der Schule länger im Ausland gelebt habe, unter anderem ein Jahr in China, dort sei sie die Ausländerin gewesen, „die aufgefallen ist“.

Ein Anfang ist gemacht, ein Abend im konstruktiven Dialog mit fremden Menschen, mit konträren Meinungen und ohne großes Geschrei. Der Pfarrer der Friedenskirche, Martin Wendte, kündigt an, dass die Reihe fortgeführt werden soll: mit Bürgergesprächen, bei denen es längst nicht nur um das Thema Migration gehen wird.

Zu vorgerückter Stunde zeigt die Frau Bürgermeister in der Friedenskirche dann noch ungeahnte Fähigkeiten. Sie tritt in einem Improvisationstheater auf. In dem kleinen Stück müssen die Akteure kurze Texte, die die Bürgern vorher auf Kärtchen geschrieben haben, zitieren. Renate Schmetz ganz zum Schluss: „Wir müssen die Flüchtlinge, die schon da sind, besser integrieren.“

Verständigungsorte

Akteure
Die Reihe Verständigungsorte ist eine Aktion der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Diakone und von Midi, der evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung.

Themen
Bei den weiteren Veranstaltungen der Reihe in verschiednen Städten in Deutschland geht es unter anderem um diese Themen: Corona, Klimawandel sowie Krieg und Frieden.

Weitere Themen