Die Entscheidung für den Friedensnobelpreis ist brilliant, kommentiert Politik-Redakteur Christian Gottschalk und erklärt auch warum.

Stuttgart -

 

Vielleicht muss man den Blick zuerst in die Vergangenheit wenden, um die Entscheidung der Gegenwart richtig zu würdigen. Damals, man schrieb das Jahr 2009, hat ein noch jung im Amt befindlicher US-Präsident den Friedensnobelpreis bekommen. Barack Obama erhielt die Auszeichnung unter anderem dafür, dass er sich für eine Welt ohne Atomwaffen einsetzte. Das Nobelkomitee hat danach einiges an Kritik erfahren. Noch nicht einmal ein Jahr war der US-Präsident im Amt, er solle den Worten doch erst Taten folgen lassen, monierten zahlreiche Kritiker.

Keine zehn Jahre später geht der Preis an eine Organisation, deren Arbeit ebenfalls noch am Anfang steht. Gerade einmal eine Dekade alt ist Ican, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen. Das ist nicht viel. Doch gegen die aktuelle Entscheidung des Komitees kann sich dieses Mal nicht ernstlich eine kritische Stimme erheben. Denn die Welt hat sich seit 2009 verändert. Barack Obama ist im Ruhestand, sein Nachfolger Donald Trump prahlt nicht nur mit der Qualität von US-Atomwaffen, er droht auch damit, diese einzusetzen. So etwas wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen.

Die Welt hat sich geändert

Die Entscheidung aus Oslo ist daher eine hoch politische Stellungnahme, mindestens so stark wie die Verleihung des Friedensnobelpreises an den – inzwischen verstorbenen – chinesischen Menschenrechtler Liu Xiaobo im Jahr 2010. Die Würdigung von Ican ist eine gute Entscheidung, die einerseits all jene lobt, die sich gegen die atomare Rüstung stellen, und zugleich all denen, die leichtfertig mit dem Einsatz dieses Massenvernichtungsmittels spielen, einen Denkzettel verpasst. Ganz nebenbei nimmt das Komitee nachträglich noch den Kritikern der Preisverleihung an Obama den Wind aus den Segeln.

Aus der Welt voller Hoffnung ist binnen kurzer Zeit eine Welt voller Angst geworden. Es ist die Macht der Worte, die den Unterschied zwischen Obama und Trump verdeutlicht. Der Friedensnobelpreisträger Obama hat im Kampf gegen den Terror so viele Drohnenangriffe fliegen lassen wie kein Präsident vor ihm. Doch seine Rhetorik war geprägt von Verständnis und Friedfertigkeit. Donald Trump hat zwar noch keine seiner wahnwitzigen Drohungen gegenüber dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un wahr gemacht, strotzt aber vor martialischer Kraftmeierei – und heizt damit den Konflikt immer weiter an. Seit 70 Jahren ist kein Mensch mehr durch den aktiven Einsatz von Atomwaffen ums Leben gekommen. Doch noch nie seit dem Ende des Kalten Krieges war die Wahrscheinlichkeit, dass sich dies ändern könnte, so hoch wie heute.

Es gibt keinen Anti-Friedensnobelpreis, den hätten sich Kim Jong-un und Donald Trump mit Bravour verdient. Diejenigen auszuzeichnen, die sich mit ihrer Arbeit gegen die beiden weltpolitisch bekanntesten Gefährder stellen, ist da ein geschicktes Vorgehen. Doch die beiden Staatenlenker dürfen den Blick nicht auf andere Orte der Gefahr verstellen. Indien und Pakistan stehen sich, beide atomar bewaffnet, feindselig gegenüber. Die Atommacht Israel sieht sich, nicht ganz zu Unrecht, von allen Seiten bedroht und ist bereit, sich zu wehren. Die Aktivisten von Ican fordern auch hier ein Abrüsten, so wie in Russland, Frankreich oder Großbritannien.

Das ist aller Ehren wert, auch wenn die Atomwaffengegner bei realistischer Betrachtung ihr Wunschziel, eine atomwaffenfreie Welt, nicht erleben werden. Der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen, der in diesem Sommer unter Mitwirkung der Nobelpreisträger verabschiedet wurde, ist ein Prestigeerfolg, mehr nicht. Keine der Atomnationen macht dabei mit, Deutschland im Übrigen auch nicht. Das weiß auch das Nobelpreiskomitee. Doch dies spricht noch mehr dafür, dass der Preis nicht nur Ansporn, sondern auch Denkzettel ist.