Kaum ist bekannt, dass Nadia Murad aus Baden-Württemberg den Friedensnobelpreis erhält, mahnt die 25-jährige Jesidin, ihre Landsleute in Deutschland besser zu unterstützen. In Washington ist sie erstmals in der neuen Rolle aufgetreten.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Washington/Stuttgart - Die aktuelle politische Debatte in Deutschland mit eigenen Botschaften zu befeuern, ist eigentlich nicht die Sache der jesidischen Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad. Doch nachdem ihr am vergangenen Freitag vom norwegischen Nobelkomitee der diesjährige Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, hat ihre Stimme noch mehr Gewicht erhalten. Dies gibt der 25-Jährigen offenbar den Mut zur politischen Offensive.

 

Weil sie sich in ihrer Funktion als UN-Sonderbotschafterin für Opfer von Menschenhandel derzeit ohnehin in den USA aufhält, hat sie dort auch ihre erste Pressekonferenz als Nobelpreisträgerin gegeben. Dort ermahnte sie die Bundesregierung, den verfolgten Landsleuten mehr Schutz zu gewähren. „Sie fliehen vor Verfolgung, ihr Zuhause ist zerstört. Deshalb verlassen sie ihre Heimat und kommen nach Europa.“ Sie bräuchten dringend Hilfe, aber bei vielen werde der Asylantrag abgelehnt.

Angela Merkel auf ihre Sorgen hingewiesen

Bei den bisher zwei Treffen mit der Kanzlerin habe sie Angela Merkel (CDU) auf dieses Problem hingewiesen. Sie hoffe, dass sich im Umgang mit jesidischen Asylbewerbern etwas ändern werde. In dem Zusammenhang bedauerte Murad auch, dass es Niedersachsen nicht geschafft hätte, ein ähnliches Hilfsprogramm aufzulegen wie ihre Wahlheimat Baden-Württemberg. Das von der Stuttgarter Landesregierung auf den Weg gebrachte Sonderkontingent kommt mehr als 1000 jesidischen Frauen, die eine Sklaverei durch den „Islamischen Staat“ erleiden mussten, mitsamt Familienangehören zugute.

Aus Murads Worten lässt sich ableiten: Es reicht nicht aus deutscher Sicht, sich mit dem Friedensnobelpreis zu schmücken – daraus muss auch ein aktives Handeln abgeleitet werden. Nach Angaben des Zentralrats der Jesiden sind noch immer etwa 1000 Frauen in den Händen der IS-Milizen, werden versklavt und missbraucht. Der IS sei keineswegs besiegt, warnt der Zentralratsvorsitzende Irfan Ortac.

Anerkennungsquote für jesidische Flüchtlinge gesunken

Die Anerkennungsquote für jesidische Flüchtlinge ist dennoch gesunken. Lag sie 2015 bei 97,4 Prozent und 2016 noch bei 95 Prozent, waren es 2017 lediglich 83 Prozent, wie das Auswärtige Amt Mitte des Jahres bekannt gab. Demnach erhielten 23 059 Jesiden Schutz in Deutschland. Der Rückgang hat vor allem damit zu tun, dass mehr Jesiden aus vergleichsweise sicheren Ländern wie Russland, Georgien und der Türkei kommen. Zudem suchen weniger Jesiden aus dem Nordirak Schutz, weil diese Gruppe in der Region Kurdistan nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfolgt wird. Insgesamt haben laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im vorigen Jahr fast genau 13 000 Personen als Religionszugehörigkeit „Jesidisch“ angegeben. Weltweit wird die Zahl der Jesiden auf 800 000 geschätzt. Etwa 210 000 leben in Deutschland, davon jeder Zweite in Nordrhein-Westfalen.

Auch privat hat der Friedensnobelpreis, der am 10. Dezember in Oslo verliehen wird, schon vieles durcheinander gewirbelt im Leben von Nadia Murad. So war die 25-Jährige gerade dabei, ihre Hochzeit mit dem Verlobten Abid Shamdeen zu planen, wie sie der Presse-Agentur dpa sagte. Dieses Vorhaben musste das Paar verschieben.

Ihr Verlobter lebt in den USA

Der Jeside Shamdeen ist mittlerweile der Koordinator ihrer Termine. Zuvor hat er in seiner Heimat als Übersetzer für das US-Militär gearbeitet. Er hat die amerikanischen Staatsbürgerschaft und lebt seit mehreren Jahren in den USA. Murad ist zu ihm gezogen und sieht einen Lebensmittelpunkt in den Vereinigten Staaten. Ganz will sie Baden-Württemberg aber nicht den Rücken kehren, das ihr auch so etwas wie Heimat geworden sei: „Ich werde auch in Deutschland leben“, sagte Murad, die bei ihrer Pressekonferenz wie in der jüngeren Vergangenheit verhalten, aber inhaltlich bestimmt auftrat. Im Dezember will sie wieder in den Südwesten kommen.