John Lennon und Yoko Ono haben im Bett für Frieden demonstriert. Später ist diese Mission des Pop aus der Mode gekommen.

Stuttgart - Anfang Dezember hat der Mannheimer Soulsänger Xavier Naidoo ein neues Lied namens „Nie mehr Krieg“ im Internet veröffentlicht und dafür jede Menge Häme geerntet, mitunter auch Hass. Diese Reaktion muss mit seiner umstrittenen Persönlichkeit zu tun haben, mit seinen zuweilen bizarr anmutenden Theorien bezüglich des Weltuntergangs und des Zusammenlebens zuvor. Aber in diesem Lied gurrt Xavier Naidoo mit viel Engagement in seiner außergewöhnlich emotionsgeladenen Stimme einen Refrain, gegen den es eigentlich nicht viele Argumente gibt: „Nie mehr Krieg, nie mehr Krieg. Wenn wir das nicht sagen dürfen, dann läuft doch etwas schief.“

 

Naidoos Lied beschwört eine Utopie, welche die Popmusik moderner Prägung in den sechziger Jahren befeuert hat und die bis heute nachhallt. Sein Lied ist nicht simpler als – beispielsweise – John Lennons „Give Peace a Chance“. Aber es reicht in seiner Konsequenz natürlich weit über den braven Bittsteller-Gesang hinaus, mit dem die damals 17-jährige Nicole anno 1982 „Ein bisschen Frieden“ erflehte und damit prompt den Eurovision Song Contest gewann.

„Nie mehr Krieg“, also Frieden ohne „bisschen“, aber mit Ausrufezeichen, ist eine radikale Forderung, gerade ihrer Einfachheit wegen. John Lennon hat aus ihr – Haar an Haar mit seiner damals frisch angetrauten Ehefrau Yoko Ono ein Happening gemacht: Am letzten Tag der Monate währenden „Bed-ins“ des friedensbewegten Promipaares schaffte jemand ein Vierspur-Aufnahmegerät in sein Hotelzimmer in Montreal. John Lennon spielte Gitarre, Reporter guckten zu, und ein gemischter Chor aus der US-Künstlerszene sang einen Refrain, der an einfacher Deutlichkeit kaum zu überbieten ist: „Alles, was wir sagen, ist, gebt dem Frieden eine Chance.“

Friedensdemonstration als Flitterwochen

John Lennon und Yoko Ono haben 1969 ihre Flitterwochen zu täglichen, zwölf Stunden währenden Pressekonferenzen über „Bett-Frieden“ und „Haar-Frieden“ unter einer großen Decke umfunktioniert. Sie markierten mit ihren „Bed-ins“ den dramaturgischen Höhepunkt einer Popmusik in Sachen Friedensbewegung, die andere schon Anfang der Sechziger implementierten. Bob Dylan dürfte, als er am Anfang seiner Karriere kurzzeitig Protestsongs über explizit politische Themen schrieb, der wirkmächtigste Antikriegssänger gewesen sein: Im August 1963 sang er gegen den Krieg in „Blowin’ in the Wind“. Bereits drei Monate zuvor hatte er in seinem Song „Masters of War“ der Rüstungsindustrie und ihren Anhängern seine zornige Seite gezeigt: „ Ich hoffe, dass ihr sterbt und dass euer Tod bald eintritt“, schmetterte er zur roh gerupften Gitarre denen entgegen, die an Kriegen verdienen.

Als sechs Jahre später die Blumenkinder mit Richie Havens, Joe Cocker und den Grateful Dead in Woodstock „3 Days of Peace and Music“ feierten, war Bob Dylan Bewegungen jeder Art längst enteilt. Kurz zuvor hatte er ein schönes Country-Album aufgenommen und Johnny Cash zum Mitsingen eingeladen, einen Mann, der aus dem Blickwinkel der Hippies damals auf der anderen Seite stand.

Der Geist von Woodstock jedenfalls, der Gedanke, dass ein Musikfestival auf die eine oder andere Weise den Planeten friedlicher machen könnte, war spätestens seit 1969, dem Jahr von John Lennons und Yoko Onos „Bed-ins“, in der Welt und verflog auch nicht so schnell. Von George Harrisons „Concert for Bangladesh“ (1971) im New Yorker Madison Square Garden über das transatlantische Monumentalunternehmen „Live Aid“ (1985) bis zu dessen Fortsetzungsfestival „Live 8“ (2005) – die Idee, dass Musik das Bewusstsein verändert und dieses Bewusstsein friedensstiftend wirken könnte, ist geblieben. Und sie ist nicht ganz abwegig: Welcher Popfan wusste denn vor „Live Aid“ zumindest der Richtung nach, wo Äthiopien auf der Landkarte liegt?

Mercedes Sosa gelang das Kunststück

Doch das Popkonzert als weltliche Friedensmesse ist passé. Die Zeiten, in denen Joan Baez mit bebender Stimme und engagierter Publikumsbegleitung „We shall overcome“ deklamierte und die coolen Jungen mitsangen, sind vorbei. Der argentinischen Sängerin Mercedes Sosa gelang dieses Kunststück einst ebenfalls, aber sie ist tot. Und der Mainstream hat hochemotionaler Friedenssehnsucht musikalischer Art längst das Peinlichkeitsetikett angeheftet. Musikalisches Massenwünschen Richtung Frieden wurde hinweggefegt vom Punk, vereinnahmt von der Werbung, filetiert von einer Industrie, die als logische Fortsetzung der Bescherung Helene Fischers Weihnachtsshow im Fernsehen empfiehlt. Pop in den Sechzigern beschwor die Vision Frieden. Später feierte Pop, kommerziell erfolgreicher Pop zumal, eine Euphorie, die immer mehr ein Versprechen gewesen ist als Zustandsbeschreibung.

Und doch gibt es Ausnahmen, immer wieder: Vielleicht bleibt von „99 Luftballons“ (1983), einem der wenigen Welthits made in Germany, vor allem dieses zackige Keyboardriff in Erinnerung, vielleicht auch der rote Minirock der Sängerin Nena. Aber die Geschichte der 99 Luftballons, die nach einer Reihe von Fehlinterpretationen einen Weltkrieg auslösen, war in erster Linie eine handfeste Antikriegs- und damit Friedensgeschichte. „99 Luftballons“ war gewissermaßen das erste tanzbare Gute-Laune-Antikriegslied der Popgeschichte. „Seh die Welt in Trümmern liegen“, sang Nena. Knapp vierzig Jahre, nachdem der kanadische Sänger Donovan den „Universal Soldier“ als Werkzeug des Krieges beschrieben hatte, besang eine Mittzwanzigerin aus Hagen die Folgen.

Und John Lennon? Bekanntlich wurde er 1980 in New York auf offener Straße erschossen. Am 9. Oktober 2015 lud seine Witwe aus Anlass seines theoretischen 75. Geburtstags die Fans in den Central Park ein. Dort sollte unter Yoko Onos Regie die größte zum Peace-Zeichen arrangierte Menschenkette aller Zeiten entstehen. Für den Weltrekord wären fünftausend Teilnehmer nötig gewesen. Es kamen dann aber nur zweitausend. „Mach weiter, John“, sang Bob Dylan vor ein paar Jahren über seinen toten Freund: „Du branntest so hell“, heißt es in dem Lied „Roll on John“.