Die Stadt Gerlingen reagiert auf den tiefgreifenden Wandel der Bestattungskultur mit einem Entwicklungskonzept für die beiden kommunalen Friedhöfe. Es ist auf Jahrzehnte angelegt.

Der Kulturwandel schließt auch den Tod mit ein. Dass ein Sarg in ein großes Erdloch hinabgelassen wird, ist auf deutschen Friedhöfen längst ein rares Bild. Inzwischen sind weit mehr als 70 Prozent aller Beerdigungen Urnenbestattungen. Das traditionelle Erdgrab wird dadurch zum Auslaufmodell.

 

Soziologen haben hierfür gleich mehrere Gründe ausgemacht: Von den hohen Kosten, die eine Sargbestattung verursacht, über den Rückgang der kirchlichen Bindung bis zur immensen Mobilität, die die moderne Dienstleistungsgesellschaft fast jedem abverlangt. Vor allem Letzteres scheint sich mit einer intensiven Grabpflege nicht recht zu vertragen.

Druck auf die Kommunen wächst

Gleichzeitig ist das Bedürfnis nach neuen Wegen in der Begräbniskultur rasant gestiegen: Ob Friedwald oder das Verstreuen der Asche im Meer – alternative Bestattungsformen boomen. Und weil diese Trends fast immer in Konkurrenz zur klassischen Bestattung auf dem Friedhof stehen, wird auch der Druck auf die Kommunen immer größer, dem entgegenzuwirken.

In Gerlingen reagiert man auf diesen tiefgreifenden Wandel der Bestattungskultur mit einem Entwicklungskonzept für die beiden kommunalen Friedhöfe, das auf Jahrzehnte angelegt ist. Denn klar ist: Eben mal umbauen lassen sich Friedhöfe nicht, schon allein durch die lang laufenden Ruhezeiten der Gräber. Für Gerlingens Bürgermeister Dirk Oestringer (parteilos) ist die kürzlich im Gemeinderat verabschiedete neue Entwicklungskonzeption für den Stadt- und den Waldfriedhof deshalb unumgänglich: Es gehe um eine „bedarfsgerechte und zukunftsfähige“ Entwicklung der Friedhöfe.

Gräberfelder ähneln zunehmend Flickenteppichen

Tatsächlich ist der Trend zur Urnenbestattung auch in Gerlingen unverkennbar und den Friedhöfen – mitunter unschön – anzusehen: Weil die traditionellen Sargbeerdigungen zurückgehen, so erklärt die Verwaltung, entstünden im Bereich der Erdgräber immer häufiger „inselartige und nicht vom Bestattungsbetrieb genutzte Freiflächen zwischen den Gräbern“. Die Gräberfelder ähneln zunehmend Flickenteppichen.

Umgekehrt geht es im Bereich der Urnengräber reichlich eng zu. Das belegen auch die Zahlen: So wurden auf dem Gerlinger Stadtfriedhof im vergangenen Jahr 69 Prozent Feuerbestattungen durchgeführt, aber nur noch 31 Prozent Erdbestattungen. Im Waldfriedhof ist der Trend noch deutlicher: Dort stehen 87 Prozent Feuer-, 13 Prozent Erdbestattungen gegenüber.

Stadtfriedhof als Friedpark

Konkret sieht die Konzeption des in Gerlingen beauftragten Landschaftsarchitekturbüros Hink deshalb vor, dass auf dem Stadtfriedhof in den kommenden Jahren und Jahrzehnten großflächig Erdgräber zu Urnenbestattungsflächen umgewandelt werden.

Insgesamt definieren die Planer für den Stadtfriedhof fünf Sanierungsbereiche. Neben neuen Urnengrabflächen sollen in diesem Zusammenhang auch weitere Kolumbarienwände entstehen. Im ersten Sanierungsbereich könnte die Umgestaltung bereits 2025 starten. Nach und nach soll auf dem Stadtfriedhof außerdem eine große Fläche mit altem Baumbestand zu einem Friedpark umgewandelt werden. Auch eine sogenannte Sternenkinderwiese, an die künftig die Kindergräber grenzen, wird demnach ausgewiesen. Insgesamt könnte die komplette Sanierung der beiden Gerlinger Friedhöfe nahezu 30 Jahre in Anspruch nehmen. Im Waldfriedhof wollen die Planer vor allem der steigenden Nachfrage nach Baumbestattungen Rechnung tragen. Auch der Eingangsbereich soll hier im Zuge der Neukonzeption eine neue Gestaltung erhalten.

Bestand bleibt bis zur Auflösung bestehen

Wie die Stadtverwaltung betont, bleiben während der Sanierung alle bestehenden Gräber jeweils bis zu ihrer Auflösung bestehen. Weil die Friedhöfe in der Stadt auch wertvolle Naturräume darstellen, umfassen die Planungen gleichzeitig Konzeptionen für die Grünflächen.

Nachfrage nach Feuerbestattungen steigt

Glaube
Die Erdbestattung ist im Christentum tief verwurzelt. Der Glaube an das „ewige Leben“ ging lange Zeit mit der Vorstellung einher, dass der Körper als Ganzes bestattet werden muss. Laut der Verbraucherinitiative für Bestattungskultur, Aeternitas e.V., existierten noch um 1900 nur drei Krematorien in Deutschland.

Trend
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Nachfrage nach Feuerbestattungen dann rasant gestiegen. Lag der Anteil der Urnenbegräbnisse 1960 noch bei 10 Prozent, waren 2020 schon 74 Prozent aller Bestattungen Feuerbestattungen.