Friedhofskultur in Stuttgart 23 Ehrengräber, doch keines davon für eine Frau

Eine von 23 männlichen Persönlichkeiten, die in Stuttgart ein Ehrengrab hat. Heuss ist auf dem Waldfriedhof begraben. Foto: dpa/Marijan Murat

Der Stadt Stuttgart muss die Pflege erhaltenswerter Gräber mehr wert sein, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

In Stuttgart, das dürfte auch an diesem Wochenende augenscheinlich werden, steppt das Rössle wie anderswo der Bär! Auch nach Abschluss der großen Festivals und des Fischmarkts wird im heißen Kessel allerlei serviert – vom Bohnenviertelfest bis zum Bollywood-Filmfestival. Unübersehbar wird die Street-Art sein, unüberhörbar die mutige Kollaboration von Staats- und Skatertheater vor der Oper. Hochkultur und Subkultur, die sonst wie Fremde nebeneinanderher existieren, kommen sich bewusst in die Quere. Wer Erlebnishunger hat, dürfte allein schon davon satt werden.

 

Das ist die eine, die pulsierende Seite der Stadt. Zum Leben gehört aber auch eine extrem leise Form von Kultur bis hin zur Grabesstille: die Friedhofskultur. Sie ist nicht Gegenstand lauter Ankündigungen. Bürgerinnen und Bürger machen sie jedoch immer wieder zum Thema. Von einer Leserin stammt beispielsweise der Hinweis, dass die Gräber zweier bedeutender Stuttgarter Persönlichkeiten, des Philosophen Max Bense und des Malers Oskar Schlemmer, auf dem Dornhalden- und dem benachbarten Waldfriedhof, kaum noch zu erkennen sind. Andere äußern ganz allgemein Zweifel daran, ob die Friedhofskultur in Stuttgart den Stellenwert hat, der ihr gebührt.

Die meisten Ehrengräber befinden sich auf dem Wald- und dem Pragfriedhof

Grabpflege hat etwas mit Würde zu tun. Auch mit dem Langzeitgedächtnis einer Stadt – unabhängig davon, dass viele Menschen für sich selbst heute andere letzte Ruheorte wählen würden.

Wie verhält es sich also mit diesem Gedächtnis, mit der Würde und mit dem Erhalt besonderer Grabmale? Eine Nachfrage beim Garten-, Friedhofs- und Forstamt der Stadt fördert interessante Fakten zutage. Das beginnt mit der Zahl von 23 sogenannten Ehrengräbern mit unbegrenzter Laufzeit, die herausragenden Stuttgarter Persönlichkeiten gewidmet sind; sie befinden sich überwiegend auf dem Pragfriedhof und dem Waldfriedhof. Die Reihe der von der Stadt Geehrten reicht von Eduard Mörike und Graf Zeppelin über Gottlieb Daimler und Robert Bosch bis zu Manfred Rommel und Lothar Späth. Bemerkenswert und vielsagend ist: Unter den 23 ist keine einzige Frau! An fehlenden Verdiensten von Frauen in Stuttgart kann es nicht liegen. Man denke nur an Anna Haag, die in Birkach bestattete Schriftstellerin, Pazifistin und Frauenrechtlerin. Mit ihren „hellsichtigen Notizen zum Leben im Dritten Reich“, die später unter dem Titel „Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode“ veröffentlicht wurden, hat sie ihrerseits nachhaltig das Langzeitgedächtnis der Stadt bereichert.

Für die Restaurierung von Grabmalen ist kein Geld da

Die Zahlen und Daten des Friedhofsamts geben Anlass zu weiteren Fragen. Sie betreffen den Erhalt der 799 Gräber auf den 33 Friedhöfen im Stadtgebiet, die in den Augen des Kulturamts und des Gemeinderats erhaltenswert sind – sei es aus gestalterischen oder aus personengeschichtlichen Gründen, wie etwa das Grab des erwähnten Max Bense. Dieser Status gilt zunächst für eine Dauer von 30 Jahren. Dazu kommen weitere 92 sogenannte vorläufige erhaltenswerte Gräber, über die der Gemeinderat nächstes Jahr entscheidet.

Das Problem ist: „Erhaltenswert“ bedeutet keineswegs, dass die Stadt diesen Gräbern besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt. Für mehr als für Sicherungsmaßnahmen und eine „einfache Pflege“ reicht der 90 000-Euro-Etat des Friedhofsamts nicht aus. Die Restaurierung von erhaltenswerten Gräbern scheitert am Geld, weil an höherer Stelle offenbar kein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass man sich um stadtgeschichtliche Zeugnisse kümmern muss, wenn sie nicht verloren gehen sollen. Der Kulturstadt Stuttgart ist das nicht würdig. Und damit zurück ins pralle Leben!

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