Der angeschlagene Agrarminister Hans-Peter Friedrich verliert das Vertrauen der Kanzlerin Angela Merkel. Eigentlich wollte er am Amt festhalten, aber dann geht alles ganz schnell.

Berlin - Als sich die Tür öffnet, erscheint ein Mann mit grimmiger Miene und entschlossenem Gang. Hans-Peter Friedrich läuft schnell auf die Kameras zu, die im Medienzentrum des Landwirtschaftsministeriums aufgebaut sind. Was gleich passiert, steht schon fest. Die Nachrichtenagenturen melden schon vor dem Auftritt des Ministers, dass ein Rücktritt bevorsteht. Wie schwer Friedrich dieser Schritt fällt, lässt sich nur ahnen. Der Franke, der im persönlichen Gespräch stets freundlich wirkt, hält sich mit beiden Händen am Stehpult fest. In den Stunden, in dem ihm die Kanzlerin und sein Parteivorsitzender das Vertrauen entziehen, sorgt er auf diese Weise wenigstens für einige Haltepunkte.

 

Die lediglich zweiminütige Erklärung des Landwirtschaftsministers mit der wohl kürzesten Amtszeit macht schnell deutlich, wo der Grund für den Rücktritt liegt. Friedrich ist bis zum Schluss davon überzeugt, dass es richtig war, den SPD-Chef Sigmar Gabriel im Oktober über Ermittlungen gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy zu informieren. „Ich habe politisch und rechtlich richtig gehandelt“, sagt er ein wenig trotzig. Dass viele Juristen in der Republik da ganz anderer Meinung sind, ignoriert er. Friedrich spricht von dem in den vergangenen Stunden gewachsenen Druck und sagt, die Aufgabe könne er ohne die notwendige politische Unterstützung nicht mehr auszuüben. „Auf Wiedersehen. Ich komme wieder“, sagte Friedrich zu Schluss seines Auftritts. In Berlin glaubt das allerdings niemand.

Es ist ein Drama, das sich innerhalb kürzester Zeit zugespitzt hat. Dass die Aufarbeitung des Skandals so schnell gehen wird, wie dieser Rücktritt, ist allerdings nicht anzunehmen. Das zeigen die Stunden vor dem Rücktritt an diesem Tag in Berlin. Mit Krisenkommunikation in brenzligen Situationen hat Regierungssprecher Steffen Seibert Erfahrung. Er musste sich stellvertretend für die Bundeskanzlerin von der Hauptstadtpresse grillen lassen, als sich die Krisen aufschaukelten, an deren Ende

Der Andrang ist groß. Foto: dpa
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Wissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) zurücktraten. Seibert weiß, wie man Normalität zelebriert, auch wenn Rücktritte in der Luft liegen. Er betet auch an diesem Freitag mit fester Stimme und äußerlich ungerührt die Termine der Kanzlerin in der nächsten Woche herunter – bis hin zum Empfang der Karnevalisten im Kanzleramt. Nur die Tatsache, dass seine Finger mit einem Kugelschreiber spielen, zeugt von einer gewissen Anspannung .

Dabei hat Seibert eine Regierungskrise dieses Ausmaßes auch noch nie erlebt. Dass gleich vier zentrale Figuren der Koalition in eine Affäre verstrickt sind, die die Grundlagen des Rechtsstaats berührt, hat es in Deutschland mindestens schon sehr lange nicht mehr gegeben. Neben Agrar- und Exinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der auf Regierungsebene derzeit im Zentrum des Falls Edathy steht, sehen sich auch Vizekanzler Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Fraktionschef Thomas Oppermann (alle SPD) des Verdachts ausgesetzt, Informationen über die Ermittlungen gegen ihren Parteifreund weitergegeben zu haben. Dass es solche Indiskretionen überhaupt gegeben hat, schockiert die zuständige Behörde. Der leitende Oberstaatsanwalt zeigt sich am Morgen in Hannover „fassungslos“. Jetzt hat sich die Behörde erstmals überhaupt zum Fall des SPD-Politikers Sebastian Edathy geäußert. Nun gibt es die Gewissheit, dass die Ermittler wegen des Verdachts auf Kinderpornografie tätig geworden sind. Erst am 28. Januar hatte die Behörde genügend Indizien gesammelt, um die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahren zu beschließen.

Unrecht will er nicht begangen haben. Foto: AP

Der Zeitpunkt ist wichtig. Denn, die Tatsache, wie es dazu kommen konnte, dass Edathy schon Monate zuvor in hohen Politikreisen in Berlin, in Ministerien und offenbar auch in den Polizeibehörden der Länder in diesen Zusammenhang gerückt wurde, steht im Zentrum dieser Affäre. Es ist eine Affäre, die die Regierung erschüttert und die Frage aufwirft, ob die Justizbehörden tatsächlich politisch unabhängig agieren können, wie es die Gewaltenteilung in Rechtsstaat und Demokratie vorsehen.

Es spricht Bände, dass Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin auf alle Fragen zu Friedrichs Rolle immer nur einen Satz in ziemlich eintönigen Variationen wiederholt: Friedrich und die Kanzlerin hätten an diesem Freitag telefoniert, es sei ein „intensives Gespräch“ gewesen. Außerdem zeige Friedrichs unmittelbar vor der Regierungspressekonferenz am Vormittag veröffentlichte Erklärung, dass dieser sich „der Dimension des Sachverhalts bewusst“ sei. Wäre Seibert nicht gerade in Krisenzeiten zum Diplomatensprech verpflichtet, hätte er sagen können, dass Merkel stinksauer ist und keinen Pfifferling mehr auf die Zukunft des Ministers verwettet.

Das sah Hans-Peter Friedrich selbst zunächst offenbar anders. Er sei überzeugt, „politisch und rechtlich richtig gehandelt“ zu haben, ließ er kurz vor Beginn der Regierungspressekonferenz in Berlin erklären. An Rücktritt denke er nur, falls er selbst Gegenstand eines juristischen Verfahrens werden sollte. „Sollte die Staatsanwaltschaft zu anderen Ergebnissen kommen und ein Ermittlungsverfahren aufnehmen, werde ich mein Amt zur Verfügung stellen.“ Dass diese Erklärung Bestand haben würde, war von Anfang an zweifelhaft. Denn das Schweigen in Unionskreisen zu Friedrichs Rolle in dem Verfahren ist ohrenbetäubend. Mit der Regierungspressekonferenz ist klar, dass der angeschlagene Minister auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht mehr überzeugen konnte. In der Regierungszentrale gab es niemanden mehr, der dem Minister Friedrich zur Seite springen wollte.

Oppermann hat Friedrich ans Messer geliefert. Foto: dpa

Nicht nur das Faktum, wonach Friedrich den SPD-Vorsitzenden Gabriel bereits im Oktober darüber informiert hatte, dass Sebastian Edathys Name im Zusammenhang mit Ermittlungen in Kanada aufgetaucht war, Angela Merkel aber erst am Dienstag aus der Presse davon erfahren hatte, dürfte die Kanzlerin erbost haben. Darüber hinaus stürzt der Fall die schwarz-rote Koalition in eine tiefe Krise, kaum dass sie die Geburtswehen der Regierungsbildung hinter sich hat.

Es bleibt CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt überlassen, dem in die Kritik geratenen Bundesagrarminister Hans-Peter Friedrich ihr „volles Vertrauen“ auszusprechen. Das ist nach dem Krisengespräch, das die Christsozialen wegen Friedrich schon am Vormittag einberufen hatten. „Es ist der richtige Weg, jetzt erst einmal abzuwarten, zu welcher Einschätzung die Staatsanwaltschaft kommt“, sagt die CSU-Frau. Doch auch diese Stellungnahme hat nur eine kurze Halbwertszeit. Wenig später lädt Friedrich zu einer Stellungnahme ins Agrarministerium ein.

Gabriel bleibt in der Schusslinie. Foto: dpa

Mit Friedrichs Rücktritt vom Amt des Agrarministers ist die Regierungskrise allerdings nicht beendet. Denn Friedrich auf der einen und Vizekanzler Sigmar Gabriel sowie SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann auf der andere Seite widersprechen sich an einem wichtigen Punkt. Friedrich sagt, er habe Gabriel seinerzeit im Oktober nur mitgeteilt, dass Edathys Name auf einer Liste über ein ausländisches Ermittlungsverfahren auftauche, aber keine strafbare Handlung begangen habe. Gabriel und Oppermann wollen hingegen von Friedrich auch erfahren haben, dass es möglicherweise noch zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen Edathy kommen könne. Gestern sieht Gabriel wegen der Weitergabe von Informationen in diesem Fall keinen Grund für persönliche Konsequenzen. „Das steht wirklich nicht zur Debatte“, sagt sein Sprecher.

Gabriel und Friedrich haben seit der Anbahnung der großen Koalition ein gutes Verhältnis zueinander aufgebaut. Erst vor ein paar Wochen hat Gabriel, der auch mit Seehofer gut kann, sich lobend über den Oberfranken Friedrich geäußert. Am Rande der Koalitionsverhandlungen hätten sie beide festgestellt, dass sie in der gleichen Bundeswehreinheit gedient und beide Obergefreite gewesen seien. Das habe sie sehr verbunden, so Gabriel damals.

Was Gabriel bei seinem Loblied über den Kabinettskollegen nicht erwähnte: Friedrichs informeller Hinweis auf Edathys mögliche Verstrickung in kriminelle Vorgänge sollte eine Vorwarnung sein, damit der SPD daraus nicht unnötig viele politische Probleme entstünden. Das gute schwarz-rote Einvernehmen mit Gabriel nutzte Friedrich am Ende nichts. Als der Fall Edathy hochkochte, zögerte die SPD in Gestalt ihres Fraktionschefs Thomas Oppermann nicht, Friedrichs Rolle als ihren ersten Informanten in dieser Sache öffentlich zu machen. Das war der Anfang vom Ende.

Merkel wickelt die Sache professionell ab. Foto: dpa-Zentralbild

Friedrich selbst stolpert nun in einem Regierungsamt, das er so nie angestrebt hat. Im Jahr 2011 war er vom CSU-Chef Seehofer überzeugt worden, das Innenministerium in der schwarz-gelben Koalition zu übernehmen. Friedrich zögerte erst, denn das Innenressort war nie sein Ziel. Früher war er in der CSU-Bundestagsfraktion ein gefragter Verkehrspolitiker, dann wurde er zum Chef der CSU-Landesgruppe gewählt. In dieser Aufgabe fühlte er sich wohl. Im Ministeramt wirkte er oft unsicher. Kritik brachte ihm sein Krisenmanagement während der NSA-Affäre ein. Lange Zeit war es offen, ob er in der neuen Regierung noch einmal Minister wird.

Dass die übrigen Regierungsmitglieder der großen Koalition die gerade erst ins Rollen kommende Affäre nach Friedrichs Abschied so schnell loswerden, ist unwahrscheinlich. Wie wichtig die Kanzlerin die Sache nimmt, lässt sich schon daran ablesen, dass sie nach Friedrichs Abgang nur eine halbe Stunde verstreichen lässt, bevor sie selbst die Öffentlichkeit sucht. Geschäftsmäßig zollt Angela Merkel Friedrich Respekt für den Schritt und bedankt sich für seine Arbeit. Sie habe stets gern mit Friedrich zusammengearbeitet und wünsche ihm alles Gute. Einen Nachfolger nennt Merkel noch nicht. Das Vorschlagsrecht hat nun Seehofer.