Angst kennen Sie nicht, wenn sie durch die Luft jagen und wilde Kunststücke vollführen: Die Absolventen der Berliner Schule für Artistik sind derzeit in Stuttgart. Ihr buntes Programm ist genauso fromm wie lasziv.

Stuttgart - Robert, ein alter Freund aus Schulzeiten, hatte jedes Mal die Lateinhausaufgaben parat und legte im Religionsunterricht einen fast schon anbiedernden Eifer an den Tag.

 

Doch immer, wenn im Sportunterricht Schwimmen anstand, ereilte Robert eine mysteriöse Entzündung im Kniegelenk, der Arzt musste ihn krankschreiben und er hinkte mit seinen schlauen Büchern unterm Arm in die Schulbibliothek, während wir anderen zur Schwimmhalle aufbrachen.

Fast immer war dieses böse Leiden so hartnäckig, dass er auch den kompletten Turnunterricht verpasste. So ist aus dem armen Robert nie einer geworden, der mit der halsbrecherischen Einlagen am Reck oder an den Ringen die Mädchen beeindrucken konnte.

Körperkünstler auf bundesweiter Tournee

Zum Glück bescherte der liebe Gott den Absolventen der Staatlichen Schule für Artistik in Berlin eine robustere körperliche Konstitution; denn man mag sich gar nicht ausmalen, wie viel Gewalt die Akrobaten in unzähligen Übungsstunden ihren Knochen und Muskeln angetan haben, ehe sie ihr Diplom in der Tasche hatten.

Ein Glück ist es vor allem für die Zuschauer im Friedrichsbau Varieté, wo die Körperkünstler auf ihrer bundesweiten Tournee für die nächsten zwei Wochen Station machen, um mit Kunststückchen zu bezaubern. So jagt etwa der Jongleur Sascha die Diablos mit einer Energie durch die Luft, dass einem Bange um die Zähne der Besucher in der ersten Reihe wird. Oscar eiert schwindelerrgend in einem großen Reifen über die Bühne, während Max ohne Rücksicht auf Verluste den chinesischen Mast erklimmt.

„Darum frei, Turnerei stets gepriesen sei.“

Das alles hat der Regisseur Marc Bogaerts modern inszeniert – statt Zirkusmusik dröhnt etwa cooler Dubstep aus den Boxen – und unter das Motto „S. P. O. R. T. - Moving People“ gestellt; in einigen Gesangspassagen wird dementsprechend fast schon penetrant der Körperertüchtigung gehuldigt, etwa wenn ein Volkslied angestimmt wird, in dem es heißt: „Darum frei, Turnerei stets gepriesen sei.“

In anderen Nummern geht es weniger fromm zu: Die Luftakrobatin Sarah turnt an Ketten herum und strahlt dabei mit ihren schwarzen Handschuhen die Aura einer Domina aus. Die Ballerina Polina räkelt sich später lasziv auf der Bühne, verkleidet als sexy Boxerin. Das hätte selbst Sportmuffel Robert gefallen.

Vorstellungen 12. bis 15., 17. bis 19., 21. und 22. Juli