Friends of Gas skizzieren in Schorndorf ihr musikalisches Bild einer deprimierten Provinzjugend. Das erinnert an die klaustrophoben Achtzigerjahre - und ist Teil einer Szene, die auch in Stuttgart ihre Wurzeln hat.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Schorndorf - So wie Heisskalt ist auch die zweite Stuttgarter Gitarrenband, Die Nerven, Teil einer und Inspiration für eine auf den ganzen deutschsprachigen Raum verteilte "Szene". Einer dieser musikalischen Brüder im Geiste ist die bayerische Band Friends of Gas, die mit trist-monotonen Texten auf düster-dystopischen Gitarrentracks das Gefühl der deprimierten Vorstadtjugend gerade so gut einfängt wie Die Nerven, die ja genau genommen nicht aus Stuttgart stammen, sondern aus verschiedenen Käffern drumherum.

 

Es ist somit auch kein Wunder, dass Friends of Gas einige Zeit vor ihrem Gig in der Manufaktur Schorndorf am Freitag bereits einen am Nordbahnhof hatten, wo ja auch Julian Knoth und Co. ihre ersten noise-rockigen Gehversuche unternahmen. Dass der Die-Nerven-Gitarrist Max Rieger ihre Musik produziert. Oder dass besagter Julian Knoth alias Peter Muffin am Freitag als Erster die Bühne betritt.

Peter Muffin spielt Songs aus dem Album, das in diesem Jahr auf dem Nordbahnhof-Hauslabel Treibender Teppich erscheinen soll. Man darf sich drauf freuen: die Songs sind stellenweise elektronischer, leicht schräger Pop, teilweise klingen sie wie Die-Nerven-Demos; dazu akklamiert Knoth im Stile der Goldenen Zitronen oder von Aerea Negrot. Zum Ende seines Auftritts gibt's, obwohl nur einer "Zugabe" ruft, ein herrlich No-Wave-James-Chance-mäßiges Cover von Blümchens Neunzigerjahre-Hit "Bumerang". 

Peter Muffin zeigt sich in seiner Musik und seiner Performance pophistorisch sehr informiert, auch wenn er auf der Bühne schon sehr allein steht und manches Mal bemüht wirkt. Was in der am Freitag für kommende Gigs angekündigten Bandformation aber gewiss kein Thema mehr sein wird.

Berlin, Achtzigerjahre

Zum anschließenden Auftritt der Hauptband Friends of Gas herrscht dann große Einigkeit unter den zahlreich anwesenden Neo-Noise-Rock-Experten Einigkeit: große Klasse, wahnsinnig stilbewusst, hervorragende Arrangements und Texte. Was natürlich alles stimmt: die fünf jungen Bayern machen konsistent klaustrophobische Gitarrenmusik, textlich und klanglich stets an der Grenze zum Wahnsinn und ebenfalls popgeschichtlich gebildet: "Geschichte wird gemacht / Doch nicht von dir und nicht von mir".

Das gefällt natürlich jedem, der zu Zeiten des Fehlfarben-Hits ähnlich jung waren wie Friends of Gas es jetzt sind und / oder die Gelegenheit genutzt hat und den kürzlich wieder in der Arte-Mediathek verfügbaren "B-Movie" angeschaut hat, der im Berlin der Achtziger dieses Lebensgefühl im Original eingefangen hat. Schon Die Nerven haben mit dieser Spielart von Nostalgie und Aktualisierung der grauen Achtzigerjahre-Tristesse alle rumgekriegt.

Friends of Gas sind so etwas wie die anarchischen Co-Genies der drei Stuttgarter. Ihr Schlagzeuger Erol Dizdar drischt nicht nur auf sein geschundenes (und dabei genial trocken klingendes) Schlagzeug ein, sondern wirbelt dazu noch mit den Armen und setzt immer mal wieder aus dem Nichts einen Schrei ab. Der Gitarrist Thomas Westner wedelt beim Solo mit den Haaren und repariert seine Gitarre mit den Zähnen. Das Bassspiel von Martin Tagar ist sichtlich körperliche Arbeit. Dazu die für den Sound wichtige Gitarre von Veronica Burnuthian.

Death Disco

Bitte nicht ärgern: über diesem vielschichtigen, stoisch und Death-Disco-artig dahingroovenden Post-Punk fällt es kaum negativ auf, dass der unvorbereitete Hörer die Texte der mit einer bemerkenswerten Singstimme ausgestattete Nina Walser kaum versteht. Letztlich kommt eher eine atmosphärisch aufgekratzte Reibestimme zum wahrlich stimmungsverdunkelnden Gesamtsound. Das übrigens in erträglicher Lautstärke und hervorragendem Gesamtsound; ein Lob an den Tontechniker.

Diese Band kann viel und ihr ist noch mehr zuzutrauen, von noch viel ausschweifenderer Klangsuche über sprachkünstlerische Rezitative bis hin zu wirklich tanzbaren Konzerten. In Schorndorf gibt es von allem etwas. Das wirkt in der Summe weniger unentschieden als die konsequente Weigerung, eine Zugabe zu spielen. Die gibt es beim nächsten Konzert. Lange wird's nach dieser eindrucksvollen Schau nicht dauern.


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