Der Böblinger Maler Fritz Steisslinger porträtierte den ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Am Tag der deutschen Einheit steht das Bildnis im Mittelpunkt einer Matinee – und offenbart vielsagende Erinnerungen.

Welch ein Tag, an dem die Limousine des Bundespräsidenten auf dem Böblinger Tannenberg vorfuhr! Theodor Heuss kam, um ein Bild zu betrachten, das Porträt, das der Böblinger Maler Fritz Steisslinger von ihm angefertigt hatte. Seit fünf Jahren befindet sich dieses besondere Bild wieder in Böblingen, wird in der Galerie der Stadt gezeigt – am Donnerstag, dem Tag der Deutschen Einheit, steht es im Mittelpunkt einer Matinee in der Zehntscheuer der Stadt.

 

Dort endet die lange Nacht der Demokratie in Böblingen, die am Vortag begonnen hat. Das Publikum ist groß, als dort nun einer der Männer in den Mittelpunkt rückt, der vor 75 Jahren das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mitgestaltet hat.

Von den künstlerischen Ambitionen des Präsidenten

Theodor Heuss (1884-1963) war der erste Bundespräsident Deutschlands und zeitlebens der Kunst sehr verbunden. Er pflegte Freundschaften zu vielen Künstlern, wurde von vielen Künstlern porträtiert. Unter ihnen Fritz Steisslinger, der seit 1922 mit Unterbrechungen in einem Haus auf dem Böblinger Tannenberg lebte.

Fritz Steisslinger im Selbstporträt Foto: Nachlassverwaltung Fritz Steisslinger/Winfried Heyland

Heute wird dieses Haus bewohnt von Frederica Steisslinger, der Schwiegertochter des Künstlers, seiner Nachlassverwalterin auch. Sie ist bei der Matinee zugegen, um ihre Erinnerungen an den Maler und den Präsidenten zu teilen. Zuvor spricht die Kunsthistorikerin Carla Heussler über Theodor Heuss und die Kunst, beleuchtet die künstlerischen Ambitionen, die der Präsident selbst hegte.

Interessante Verbindung zwischen Kunst und Politik

Eva Maria Walle, die Schwiegertochter von Frederica Steisslinger, umrahmt die Veranstaltung als Cellistin, und Stefan Belz, amtierender OB der Stadt, eröffnet den Vormittag. Seit 2019 ist Fritz Steisslingers Porträt des Präsidenten und als Dauerleihgabe des Landes in der Städtischen Galerie zu sehen. Mit den Figuren von Theodor Heuss und Fritz Steisslinger, ihren sich mehrfach kreuzenden Lebenswegen, begegneten sich, so Stefan Belz, die Kunst der Porträtmalerei und die Kunst der Politik.

Wie sehr Theodor Heuss in frühen Jahren schon von einem Interesse an der Bildenden Kunst geprägt war, das beleuchtet Carla Heussler, Kunsthistorikerin und Mitarbeiterin der Stiftung des Theodor-Heuss-Hauses in Stuttgart, in ihrem kurzen Vortrag. Der spätere Bundespräsident zeichnete selbst gerne, viel und nicht ohne Talent. Ein Blatt zeigt Heuss und seinen Jugendfreund Gustav Stotz im gegenseitigen Porträt. Zu sehen sind in der Zehntscheuer, als Lichtbildprojektionen, auch Zeichnungen in Bleistift und Tusche, die Heuss von seinen Eltern anfertigte. 1902 schließlich ging Theodor Heuss als Student nach München. „Für einen Schwaben, der nicht Maler werden wolle, eher ungewöhnlich“, so Carla Heussler.

Allergrößtes Aufsehen

Heuss wurde Chefredakteur der „Neckarzeitung“ in Heilbronn, wandte sich schon stärker der Politik zu, pflegte aber auch Kontakte zu Hans Otto Schaller in Stuttgart. Im Stuttgarter Kunsthaus Schaller war es, als Theodor Heuss und Fritz Steisslinger sich 1926 zum ersten Mal begegneten. Im Porträt des Präsidenten, an dem Steisslinger bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1957 arbeitete, sieht Carla Heussler eine tiefere Vertrautheit zwischen Maler und Modell, als sie sich in Oskar Kokoschkas Porträt des Präsidenten von 1950 abzeichnet. „Dort gibt es nicht die gleiche Nähe, der Funke springt nicht über.“

Oskar Kokoschka, berichtet Carla Heussler, soll eher die Absicht gehabt haben, Theodor Heuss als Gelehrten abzubilden. bei Fitz Steisslinger wirkt der Staatsmann präsenter, vitaler. Als Frederica Steisslinger, Schwiegertochter und Nachlassverwalterin, in der Böblinger Zehntscheuer dann im Gespräch mit Corinna Steimel, der Leiterin der Städtischen Galerie Böblingen, über ihre Erinnerungen an Fritz Steisslinger spricht, spricht sie auch von der Konkurrenz, die Steisslinger in Kokoschka sah: „Seine Frau warnte ihn davor, das Bild nicht zu zermalen, aber er wollte es immer noch besser machen, er sagte: Es muss unbedingt besser werden als das von Kokoschka. Und das ist ihm dann ja wohl auch gelungen.“

Frederica Steisslinger: Schwiegertochter und Nachlassverwalterin des Künstlers Foto: Galerie

Fritz Steisslinger erhielt von seinen Zeitgenossen auch Kritik für seine Darstellung von Theodor Heuss. Die scharfe Zeichnung des Gesichtes des Präsidenten beispielsweise, berichtet Frederica Steisslinger, habe manch einem Kritiker missfallen. Der Maler nahm die Kritik schwer, wünschte sich, der Porträtierte möge das Werk selbst in Augenschein nehmen. So kam es, dass der Bundespräsident samt Standarte 1962 auf dem Tannenberg erschien, ein Ereignis, das in Böblingen für allergrößtes Aufstehen sorgte.

Theodor Heuss soll sein Porträt lange betrachtet haben. Dann – so berichtet es Frederica Steisslinger – wandte er sich um, sah den Maler an, und sagte: „Herr Steissligner, wisset Sie, des bin i.“