Fritzi Haberlandt ist eine der besten Schauspielerinnen, die wir in Deutschland haben. In Stuttgart ist sie bereits in Dürrenmatts „Versprechen“ zu sehen, jetzt legt sie sogar ihre erste Premiere seit Jahren nach: ein Comeback mit Kleist.

Stuttgart - Es könnte die Eröffnungsszene eines Films sein, der das Porträt einer jungen, attraktiven, stolzen Frau im Nachkriegsdeutschland zeigt. Rainer Werner Fassbinder hat solche Zeitgemälde auf die Leinwand geworfen, mit Irm Hermann und Margit Carstensen, Hanna Schygulla und Barbara Sukowa. Jetzt aber ist es Fritzi Haberlandt, die an diesem Frühlingstag durch den Park schreitet, als spiele sie die Hauptrolle in einem Fünfziger-Jahre-Melodram. Das Setting: perfekt. Hellblauer Himmel, rosa blühende Magnolien, ein Tag, der es gut mit den Menschen meint. Doch dann erscheint in dieser leuchtenden Szenerie eine trotz aller Zartheit robuste Frau, die einen stahlblauen Mantel, eine schwarze Sonnenbrille und einen dunkel lockenden Retro-Schick trägt: ein Rätselwesen aus einer anderen Zeit, sichtlich aufgeladen mit enormen Selbstbewusstsein, aber doch zugleich umfangen von einem Geheimnis, das tief und verderblich sein könnte. Wäre der große Rainer Werner Fassbinder noch unter uns, Fritzi Haberlandt wäre seine Protagonistin.

 

Fassbinder ist tot, ein anderer Bursche aber ist lebendiger denn je: Armin Petras. „Mein Lieblingsregisseur“, sagt die 39-jährige Schauspielerin, die ihren Mantel jetzt abgelegt hat und uns in einem grauen Hängekleid mit großen Zierknöpfen in der Kantine des Stuttgarter Staatstheaters gegenüber sitzt. Seit sechs Jahren hat die aus Berlin stammenden Künstlerin in keiner neuen Bühnen-Inszenierung mehr mitgewirkt. Jahre, die sie als „Auszeit vom Betrieb“ beschreibt und in denen sie nur noch alte Repertoire-Vorstellungen spielte, um endlich mehr Zeit für Filme, Hörbücher und Lesungen zu haben. Und obwohl sie auf diesen Feldern noch immer eine Menge zu tun hat, ist ihrem Lieblingsregisseur jetzt ein Besetzungscoup gelungen. Im Mai bringt Petras „Die Marquise von O. / Drachenblut“ heraus, einen Doppelabend nach den Novellen von Heinrich von Kleist und Christoph Hein – und Haberlandt gibt darin ihr Theater-Comeback!

Auf der Bühne muss der Text sitzen, um arbeiten zu können

Nach Jahren der Abstinenz probt sie also wieder. Sie schlüpft dabei in die Rolle der Kleist’schen Titelheldin und spielt jene berühmte Marquise, die während einer Ohmacht geschwängert wird und nun – Skandal! – per Annonce den Vater ihres Kindes sucht: „Es ist die Geschichte einer Emanzipation. Die von ihren Eltern verstoßene Frau zieht sich aufs Land zurück und findet dort ihre innere Freiheit: Öffentlich fahndet sie nach dem Vater ihre Kindes.“ Aber weil die Frau ihren Vergewaltiger am Ende sogar noch heiratet, sei es auch eine Geschichte über die Familie an und für sich. „Welche Opfer müssen erbracht werden, um als Ausgestoßene wieder in dieses Zwangssystem aufgenommen zu werden?“ fragt Haberlandt, die freilich weiß, dass gerade bei Kleist jenseits des Inhalts auch die Form von eminenter Bedeutung ist: „Wir bleiben eng an Kleists Sprache. Sie ist so komplex, dass ich mich in jeder freien Minute mit dem Text beschäftige“ – und das ist eine Büffelei, deren Härte sie als Filmschauspielerin nicht mehr gewohnt ist.

Vor der Kamera arbeitet man anders, kleinteiliger, mit Satzhappen von Einstellung zu Einstellung. Auf der Bühne aber muss der Text sitzen, um arbeiten zu können – und just darin sieht die in Brandenburg glücklich auf dem Land lebende Bühnenheimkehrerin nun die neue, altbekannte Herausforderung: „Ich muss zu Kleist eine Haltung entwickeln. Wenn ich ihn spreche, sollte er heutig klingen, ganz selbstverständlich, ganz unaufgeregt. Sonst ist die Gefahr groß, seine Prosa steif wie ein Gedicht aufzusagen.“ Und um die drohende Sterilität zu verhindern, stürzt sie sich in diesen Tagen also mit heller Mädchenstimme auf Kleists vertrackte Prosa – und eben in die Arbeit mit Petras, ohne dessen Lockungen es in Stuttgart keine Haberlandt gäbe.

Wie oft sie mit ihm als Regisseur schon zusammengearbeitet hat, kann die 1975 im Ostteil Berlins geborene Haberlandt nicht sagen. Acht mal? Zehn mal? Die erste Begegnung jedenfalls fand im Hamburger Thalia-Theater statt, wo sie 2001 auf Petras traf – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die sich später am Gorki-Theater fortsetzte. Petras wurde dort 2006 Intendant, Haberlandt seine Protagonistin – und obwohl sie bald wieder aus dem Ensemble schied, ist ihre Wertschätzung für den umtriebigen Theatermann über all die Jahre geblieben. „Ich mag das kindlich Verspielte von Armin Petras, das assoziative Herangehen an Stücke und Sprache, dieses mit großer Spielfreude verbundenen Herantasten an den Kern der Sache“, schwärmt sie und rutscht dabei – wa! ey! – sprachlich ins Berlinerische.

Die Perfektion einer Ausnahmekünstlerin

Was aber szenisch rauskommt, wenn Haberlandt die Assoziationen ihres Regisseurs mit proletarischem Charme umsetzt, kann auch das Stuttgarter Publikum seit geraumer Zeit bewundern. Im Herbst ist im Schauspielhaus das noch aus Hamburger Zeiten stammende „Versprechen“ aufgenommen worden, eine Dürrenmatt-Bearbeitung mit Haberlandt in einer Doppelrolle. Sie spielt ihre Chrissi mal als heranwachsendes Mädchen, mal als erwachsene Frau, aber immer so vielfältig schillernd, als wohnten nicht zwei, sondern zwanzig Seelen in ihrer Brust. Wie sie als Kellnerin ihre kettenrauchende Verhärmtheit ablegt, um zur unbekümmerten Göre zu werden, wie sie also in rote Strumpfhosen schlüpft und sich dann von einem gleichfalls roten Kirmes-Luftballon in die Höhe ziehen lässt, als schwebe sie im nächsten Unschuldsaugenblick tatsächlich gen Himmel – das ist große Verwandlungskunst als kleines Kinderspiel, voll federleicht schräger Poesie und mit Leib und Seele beglaubigt von einer Darstellerin, die sich in diesem Dürrenmatt-Krimi jedem Alter, jedem Klischee entzieht. Eine Meisterleistung.

Dass hinter der wunderbaren Metamorphose die Perfektion einer Ausnahmekünstlerin steckt, erkennt auch das Stuttgarter Publikum. Nach jedem „Versprechen“ wird Haberlandts Chrissi mit Applausstürmen gefeiert, als gäbe es kein Morgen mehr. „Bei den ersten Aufführungen musste ich vor Glück weinen. Die Zuschauer sind so freundlich, so begeisterungsfähig, das kenne ich aus anderen Städten nicht. Ich bin so froh, dass Armin nach Stuttgart gegangen ist“, sagt die Spielerin, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht. Im Gespräch in der Theaterkantine ist sie unvergleichlich offen und unverbogen, zugewandt, humorvoll und verschmitzt – und doch bleibt sie, Widersprüche alchemistisch miteinander verschmelzend, das schmalknochig fremde Rätselwesen aus dem Schlosspark, das auf Regisseure eine ungeheure Faszination ausübt. Kleists Marquise, die Petras ins Kammertheater holt, gehört ja auch zu dieser Sorte Frau: Wenn sie den Mann, der sie geschändet hat, höflich bittet, sich bei ihr zu melden, dürfte sie bei der ganz eigenen Fritzi Haberlandt bestens aufgehoben sein.