Es gibt keine Hoffnung mehr auf eine glimpfliche Frostbilanz: Sieben Wochen nach der Jahrhundertkälte bestätigen sich die schlimmsten Prognosen der Obstbauern im Südwesten. Jetzt wird nach technischen Lösungen für die Zukunft gesucht.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - In den Nächten zwischen dem 19. und 21. April hat Windfrost große Teile der landwirtschaftlichen Erntemengen in Baden-Württemberg zerstört. 90 bis 100 Prozent Ernteausfall – das war auf Anhieb die Prognose vieler betroffener Betriebe, vor allem im Apfel- und Steinobstanbau. Sieben Wochen später hat sich diese Einschätzung bestätigt. „Es ist wirklich eine Naturkatastrophe“, sagt ein Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums. Aktuell sind die Obst- und Weinbauberater der Landratsämter in Plantagen und Rebhängen unterwegs. Ihre Rückmeldungen sind überwiegend deprimierend. „Für die Bauern ist es ein Drama“, heißt es im Ressort von Minister Peter Hauk (CDU).

 

Äpfel werden einen braunen Rand haben

„Frostfolgen zu schätzen, ist sehr schwierig“, sagt Kathrin Walter, die Geschäftsführerin des Landesverbandes Erwerbsobstbau Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart. Ende April hätten viele Obstlandwirte noch gehofft. „Man hat gedacht, es gibt noch Fruchtansätze.“ Als dann die Obstblüte der vergangenen Tage und Wochen beendet war, habe sich Ernüchterung breit gemacht. „Entweder es gab gar keinen Fruchtansatz oder die Fruchtknospen waren kaputt“. Schon jetzt sei klar, dass zum Beispiel viele Äpfel, die doch noch wachsen, einen braunen Frostrand haben werden. Damit tauge die Ernte nurmehr als Mostobst für die Saftindustrie. Im besten Fall kämen hier und da noch Äpfel der Güteklasse II heraus. Solche Früchte seien kleiner als üblich, wiesen oft „Macken“ auf und könnten nur schwer verkauft werden. Beim Steinobst – also bei Kirschen, Zwetschgen oder Mirabellen – sei die Bilanz vollends verheerend. Bei Birnen, heißt es, sei bisher „jede Zufallsprobe braun“ gewesen.

Verhalten optimistischer fällt der Sachstandsbericht seitens der Weinbauern aus. Die meisten Betriebe hätten sich von der „Schockstarre“ erholt, sagt der Präsident des Weinbauverbandes Württemberg, Hermann Hohl. Derzeit stehen die Weinreben überwiegend noch in Blüte, eine endgültige Ernteprognose ist damit noch mit vielen Unsicherheiten behaftet. Doch es bleibe dabei, dass vor allem in den Anbauregionen Stuttgart, Remstal, Taubertal oder Hohenlohe die Schäden beträchtlich seien, heißt es. Bei vielen Pflanzen hätten nach Lage der Dinge lediglich die so genannten „Beiaugen“ getrieben, während die Hauptaugen erfroren seien. „Beiaugen bringen später nur ganz vereinzelt Trauben, so der Präsident des Verbandes mit Sitz in Weinsberg. Glimpflich davongekommen seien die Anbauregionen Zabergäu und Stromberg zwischen Ludwigsburg und Heilbronn, wo doch „relativ wenig erfroren“ sei.

Immerhin: Die Reben haben überlebt

Eine große Befürchtung der Weinbauern ist laut Hohl nicht eingetreten. Die Rebpflanzen selber haben wohl flächendeckend überlebt. Überall seien frische Stammtriebe zu beobachten. „Das heißt, es gibt Holz fürs nächste Jahr. Wir müssen die Anlagen nicht roden“, so der Präsident.

Unklar ist, in welcher Weise und nach welchem Schlüssel geschädigte Landwirte Hilfen aus Steuermitteln bekommen. Auf Grundlage von Prognosen werde es aber keine Zahlungen geben, stellt die Sprecherin des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz gegenüber unserer Zeitung klar. Nach Abschluss der Erntesaison zählten die Tonnage- oder Zentnerangaben im Vergleich zu den Vorjahren. Erst auf dieser Basis könnten Anträge auf Entschädigungen gestellt werden. Wohl erst im Oktober werde es so weit sein.

Diskutiert wird aktuell, wie die Betriebe zukünftig mit den Risiken des Klimawandels umgehen sollen. Mögliche Modelle sind ein staatlich gestützter Notfallfond oder auch neue Versicherungsmodelle. Bisher gibt es keine Frostschutzversicherung für Erwerbsobst- und Weinbauern. Vor diesem Hintergrund liefen Gespräche mit den Versicherungsgesellschaften, eine „Mehrgefahrenversicherung“ werde diskutiert, so die Ministeriumssprecherin.

Nun wird nach Schutzmöglichkeiten gesucht

Zudem loten Experten mit Nachdruck technische Möglichkeiten aus, tiefen Frost künftig besser abzuwettern. Als eine Möglichkeit werden Hubschrauberüberflüge genannt. Die Rotoren sollen warme Luft aus höheren Schichten Richtung Boden wirbeln. Versuche in Hohenlohe oder im Main-Tauber-Kreis zeigten, dass so die Lufttemperatur am Grund um bis zu zwei Grad gesteigert werden kann. Immer mehr Betriebe sind offenbar auch bereit, in Frostberegnungsanlagen zu investieren. Dabei werden Sprühnebel über den Früchten erzeugt. Im Moment, in dem das Wasser zu Eis erstarrt, entsteht Wärmeenergie. Dazu müssten in großem Umfang Wasserleitungen durch Plantagen verlegt werden. Laut dem Weinbauverbandspräsidenten Hohl müsse das aufgrund der immer längeren Heißperioden im Sommer aber ohnehin geschehen. Auch Windräder hält der Verband für eine Option gegen starken Frost. Hohl kann sich zudem vorstellen, „dass man Heizdrähte einzieht“ – eine Lösung womöglich auch für Obstplantagen.

Supermärkte halten Obstpreise stabil

Weniger Erdbeeren gleich höhere Preise – diese Formel stimmt nach Angaben der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) in Bonn nicht. Die Gesellschaft erhebt fortwährend einen Verbraucherpreisspiegel für Lebensmittel. Laut dem Mai-Index kostete das Kilo Erdbeeren (deutsche Produktion) bundesweit im Schnitt 5,82 Euro, im Vorjahr 5,80 Euro. Kirschen wurden sogar billiger und kosteten im Mai 7,21 Euro. 2016 mussten noch 8,33 Euro fürs Kilo bezahlt werden.

Der Bereichsleiter Gartenbau bei der AMI, Hans-Christoph Behr, hat eine einfache Erklärung für die Preisstabilität. Von der deutschen Erdbeerproduktion sei lediglich die Frühernte durch Frost geschädigt worden. Ersatz sei aus Spanien, Italien oder der Türkei gekommen. Im Lauf des Juni seien durchaus wieder große Mengen deutscher Erdbeeren zu erwarten. Der Preis für Kirschen werde wiederum durch die türkische Produktion bestimmt. Der deutsche Anteil sei da schon immer gering.

So sieht die Prognose aus

Preisexperte Behr glaubt, dass im Sommer und Herbst zumindest die Preise für Steinobst und Zwetschgen etwas steigen dürften. Das sei „einhellige Meinung“ innerhalb seiner Gesellschaft. Das Gros der Obstwaren bestehe jedoch aus Nektarinen, und da gebe es „null deutschen Anteil“, ähnlich wie bei Pfirsichen. Zum großen Preisanstieg diesen Sommer komme es auch deshalb nicht, weil deutsche Waren bei den Discountern weiterhin überwiegend nicht vertreten seien.