In frostiger Atmosphäre haben die Kanzlerin und ihr Innenminister doch noch einen Kompromiss gefunden – ihr Verhältnis wird das aber nicht mehr kitten. Das zeigen manche Begebenheiten aus dem Verhandlungsmarathon.

Berlin - Kurz und schmerzlos. So schildern Unionsabgeordnete am Morgen nach einem denkwürdigen Tag in der Parteiengeschichte von CDU und CSU die gemeinsame Fraktionssitzung. Die Kanzlerin wirkt nach dem aufreibenden Verhandlungsmarathon zwar genervt, aber doch erleichtert, dass es weitergehen kann mit der christdemokratischen und christsozialen „Schicksalsgemeinschaft“, die Angela Merkel zuletzt beschworen hat. Sie spricht Teilnehmern zufolge von einem „sachgerechten Kompromiss“ und mahnt auf die ihr eigene Art, dass nun einmal Schluss sein muss mit den Attacken aus Bayern: „Ich glaube, es wäre gut, wenn wir in allen anderen Bereichen der Politik eine ruhigere Arbeitsmethodik an den Tag legen würden.“ Bei ihrem vom Rücktritt zurückgetretenen Innenminister, der die „sehr gute fachliche Grundlage“ rühmt, klingt der Appell noch viel euphemistischer: „Ich bin dafür, dass wir ruhig weiterarbeiten.“

 

Ruhig weiterarbeiten? Wirklich? Die Schilderungen von Teilnehmern, die am Montagabend an der entscheidenden 16er-Runde im Konrad-Adenauer-Haus teilnahmen, sprechen eine völlig andere Sprache. Und sie verdeutlichen, wie sehr Seehofer eine Einigung erschwert hat und wie zerrüttet das Verhältnis mit Merkel wirklich ist.

Seehofer würdigt Merkel oft keines Blickes

Fassungslos sind sie auch in der CSU-Delegation, als ihr Parteichef kurz vor Beginn der Alles-oder-nichts-Sitzung der „Süddeutschen Zeitung“ zwei Zitate freigibt, die eigentlich jede Tür zu einer Verständigung endgültig zuschlagen. „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist“, lautet eines davon. Bei allem harten inhaltlichen Streit mit Merkel, schäumen auch die Bayern in Berlin, dürfe man aus Anstand und Respekt vor dem Amt so nicht reden.

Die Sitzung im zweiten Stock der Parteizentrale verläuft deshalb „in harter, frostiger Gesprächsatmosphäre“, wie jemand sagt, der im „Deutschland-Zimmer“ dabei gewesen ist. „Wie ein beleidigtes kleines Kind“ habe Seehofer Merkel oft nicht einmal angeschaut, wenn sie mit ihm geredet habe, und ihr auch nicht geantwortet. Die Kanzlerin dagegen – so wird es selbst auf der CSU-Seite geschildert, die ihren Vorsitzenden auch schon nicht mehr zu verstehen scheint – habe angesichts der Frontalattacke auf ihre Person „zwar angefasst gewirkt, aber professionell um Sachlichkeit bemüht“. Einmal, so schildert es ein Christdemokrat, wischt Seehofer das von Merkel in Brüssel verabredete Rücküberstellungsabkommen mit Spanien als wertlos vom Tisch – und wird daran erinnert, dass einzig die Zahl der von dort kommenden Flüchtlinge gerade ansteigt. Daraufhin, so geht die Erzählung, steht Seehofer einfach auf und verlässt wortlos für mehr als eine halbe Stunde den Raum.

Merkel handelt auf CDU-Seite quasi im Alleingang

Unter Aufsicht von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist bei einem vorherigen Zweiertreffen ausgemacht worden, dass man eine Einigung zumindest versuchen will – und die ältere Idee von Transitzentren an der Grenze, die die Fachleute der Parteien in den vergangen Tagen schon aufgewärmt hatten, die Ausgangsbasis der Gespräche sein würde. Die CSU-Seite bespricht sich noch einmal und trifft mit halbstündiger Verspätung um 17.30 Uhr am Adenauerhaus ein. Es geht los.

Den harten Deal, der nun den Koalitionspartner SPD in Nöte bringt, fädelt Merkel quasi im Alleingang ein. Sie hat ihren außenpolitischen Berater Jan Hecker dabei, der zuvor im Kanzleramt den Stab zur Flüchtlingspolitik geleitet hat. Merkel ist es, die mit immer neuen Textentwürfen allein zur CSU-Delegation kommt, als man sich zu getrennten Beratungen zurückgezogen hat. In kleinen bayerischen Runden wird am Tag danach über Merkels in Koalitionen mit den Grünen „weichgespülte“ Stellvertreter gelästert, die Kanzlerin allein habe sich in zentralen Punkten bewegt. Dass zum Beispiel das Wort „Zurückweisungen“ gleich mehrfach auftaucht, deretwegen Seehofer den ganzen Zirkus veranstaltet hat – wenn natürlich auch nur mit der Einschränkung, dass weiterhin in Merkels Sinne bilaterale Abkommen mit den entsprechenden Staaten die Grundlage dafür sein müssen. Sie schluckt Teilnehmern zufolge, dass das Wortpaar „nicht einseitig“ aus der Erklärung verschwindet, was aus Sicht der CSU ein Verbot nationalen Handelns darstellt. „Dafür wollen wir nicht unabgestimmt handeln“, heißt es nun etwas weniger deutlich in Bezug auf die europäischen Partner. Und die Kanzlerin akzeptiert, dass es sich um einen Art „Bayernplan“ handelt, weil sich die gesamte Einigung nur auf die bayerisch-österreichische Grenze bezieht. Am Dienstag muss sie deshalb in der Fraktion klarstellen, dass die Ausweitung der Schleierfahndung, die sie am Wochenende zuvor angeboten hat, weiterhin für Deutschlands gesamten 3700 Kilometer langen Grenzverlauf gelten soll.

Merkel und Seehofer sollen sich Einverständnis Österreichs eingeholt haben

Zentral für die Einigung ist, dass der Problemfall Italien umschifft worden ist. Seehofer und die CSU hatten zuvor bemängelt, dass sich die Regierung in Rom im Zuge von Merkels europäischen Bemühungen nicht hat von der Rücknahme von Flüchtlingen überzeugen lassen – im Gegenteil verlangen die Italiener mehr Hilfe für sich. Falls das so bleibt, sollen dort registrierte Asylbewerber in das Transitland Österreich zurückgeschickt werden auf Grundlage eines Abkommens mit Wien. Sowohl Merkel wie Seehofer sollen in Telefonaten mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz dessen Einverständnis zu Verhandlungen über einen solchen Verwaltungspakt eingeholt haben – der Deal steht.

Angela Merkel lässt Horst Seehofer den Vortritt dabei, die Einigung zu verkünden. Das mag eine versöhnliche Geste sein, kitten lässt sich das Verhältnis angesichts der um eine tiefe Wunde angereicherten Verletzungsgeschichte jedoch nicht mehr. Da sind sich viele Beobachter in beiden Parteien einig. „Da gab es schon vorher null Vertrauen“, sagt ein CDU-Bundesvorstandsmitglied, „jetzt ist das Verhältnis endgültig zerstört.“ Die gängigste Version lautet nun, dass Seehofer nicht bis Ende der Legislaturperiode Innenminister bleiben, sondern das Feld dann räumen wird, wenn nach der Bayernwahl im Herbst Klarheit über seine Nachfolge als CSU-Chef herrscht – er favorisiert Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gegenüber Ministerpräsident Markus Söder. Welchen Einfluss seine Wünsche noch haben, steht nach diesen dramatischen Polittagen freilich auf einem ganz anderen Blatt. „Was sich da abgespielt hat, war eine Mischung aus Rosenkrieg und Komödienstadl“, resümiert Andreas Jung, der Vorsitzende der baden-württembergischen CDU-Landesgruppe im Bundestag: „Wir sind erleichtert, dass das Schlimmste vermieden wurde, Jubelstimmung kommt aber bei uns keine auf.“