Der Frost der vergangenen Tage hat große Teile der Obsternte am Bodensee vernichtet. Hubter Bernhard ist „wie gelähmt“. Wie soll es nun weitergehen?

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Kressbronn - Wieder ein Morgen in Kressbronn, wo der Himmel nicht weiß, ob er Regen oder Schnee schicken soll. Die zweite Kältewelle überzieht den Bodenseeort mit dem Sonnenzeichen im Schriftzug, aber es scheint, als würde das unter all denen, die ihr Geld mit der Produktion von Nahrungsmitteln verdienen, nur noch apathisch hingenommen werden. Schlimmer als die beiden Frostnächte in der Zeit vom 19. bis 21. April kann es wohl nicht mehr werden. Unter minus fünf Grad sanken die Temperaturen. „Wir sind schockiert“, sagt der Obstbauer Hubert Bernhard. „Solche Schäden haben wir in Kressbronn noch nie erlebt.“ Zwei Tage lang sei er „wie gelähmt“ gewesen.

 

Jährlich werden rund 80 000 Tonnen Äpfel geerntet

Das Telefon im Wohnzimmer des 54-jährigen Familienvaters läutet jetzt öfter als sonst. Er ist Vorsitzender des Obstbaurings Tettnang, ein stolzer Erzeugerverbund mit 488 Mitgliedern, die jährlich rund 80 000 Tonnen Äpfel produzieren. Seit Kurzem ist das Ehrenamt eine Qual. Bernhard soll Krisenmanager sein, wo er doch selber nicht weiß, wie er die Katastrophe am eigenen Hof in den Griff kriegen soll. „Jeden Tag rufen mich die Leute an. Wir wissen nicht, wie es weitergeht.“ In den Frostnächten hätten einige Berufskollegen verzweifelt Sägespäne in Kisten gepackt, sie zwischen Baumreihen gestellt und angezündet. Aber dann seien die Stempel der Apfelblüten doch schwarz geworden. „Das hat so gut wie keinen Effekt gehabt, weil wir Windfrost gehabt haben.“

Nach Bernhards vorläufiger Schätzung hat er 90 Prozent der Apfelernte verloren. Genau wisse man das erst in etwa vier Wochen. Vielleicht hätten ja doch noch einige Blüten überlebt, vielleicht bei den Apfelsorten Braeburn und Gala, deren Blüten Ende April noch nicht so weit ausgebildet waren. Aber selbst wenn: Der zu erwartende Verlust werde Hunderttausende Euro betragen, befürchtet Bernhard.

181 waren die Folgen des Frostes nicht so schlimm

Im Jahr 1981, als es im Südwesten schon einmal ähnlich verheerende Frostnächte während der Blütezeit gab, war der 54-Jährige ein junger Bursche, der Vater, so erinnert er sich, ließ ihn in Urlaub fahren, obwohl am Hof alles auf Hochtouren lief. Die Folgen waren dann auch schlimm, aber doch nicht vergleichbar mit heute. „Da hat jeder noch was anderes gehabt, zwanzig Kühe oder so. Wir bei uns haben damals vielleicht zwei Hektar Äpfel gehabt.“ Jetzt sind es 50 Hektar Apfelplantagen, dazu ein großer Hofladen, gebaut zusammen mit einem neuen Wohnhaus im Jahr 2005. Die Kreditraten laufen noch.

Die Erdbeeren, immerhin, scheinen es geschafft zu haben, sagt Bernhard. Seine Felder liegen am Fluss Argen, aus dem er während der Frostnächte Wasser für eine „Frostberegnung“ ziehen konnte. Über den Pflanzen wird ein Wassersprühnebel erzeugt; im Moment, in dem das Wasser zu Eis erstarrt, entsteht zugleich Wärmeenergie, sogenannte Kristallisationswärme. Die meisten seiner Kollegen hätten solche Anlagen nicht, bedauert Bernhard. Und wo doch, habe oft das Wasser gefehlt, weil die Brunnen im Kressbronner Umland nach langer Trockenheit nichts mehr hergaben.

Kampf für eine staatliche Frostschutzversicherung

Zusammen wollen die Landwirte im Obstbauring Tettnang dafür kämpfen, dass ihnen wenigstens die verlorenen Investitionen in die Pflanzenaufzucht ersetzt werden, und dafür, dass es doch einmal eine staatlich besicherte Frostschutzversicherung für den Apfelanbau gibt. Das sind die politischen Ideen im Moment.

Im Privaten hat Hubert Bernhard noch ganz andere Gedanken. Eine seiner zwei Töchter macht eine Ausbildung zur Gärtnerin, Fachrichtung Obstbau. Er überlege nun oft, ob es richtig war, „dass ich das Mädle das lernen lasse“. Der Klimawandel wirke sich „ immer weiter aus“. Und es quälen die Gedanken, wie das nächste Jahr finanziert werden kann. Fest steht der Fuß auf der Kostenbremse. Die sonst übliche Ausdünnung der Apfelbäume zu dieser Zeit unterbleibt. Alle Pläne für Umpflanzungen auf den Plantagen sind verworfen. Den 40 Erntehelfern aus Osteuropa hat Bernhard zum ersten Mal abgesagt. Er hofft, dass sie 2018 trotzdem wiederkommen, zusammen mit einer milden Frühjahrssonne.

Äpfel vom Bodensee sind ein deutsches Markenprodukt

Kerngebiet

Der klimatisch begünstigte Bodensee zählt mit dem „Alten Land“ in Hamburg und Niedersachsen zu den wichtigsten deutschen Anbaugebieten für Äpfel. Rund 1200 Landwirte bauen auf rund 10 000 Hektar Äpfel an. Im vergangenen Jahr wurden laut der Marketinggesellschaft Obst vom Bodensee 260 000 Tonnen geerntet, im Jahr 2015 sogar rund 300 000 Tonnen.

Sorten

Äpfel unterliegen wechselnden Geschmacksvorlieben; ihr Anbau gleich oft einer Marktwette. Die beliebtesten Sorten hießen in den vergangenen Jahren Elstar, Jonagold, Gala, Braeburn, Kanzi und Kiku. Golden Delicious, Idared oder Rubinette verkaufen sich nicht mehr so gut.

Forderung
Der Landesbauernverband im Südwesten fordert zurzeit vom Land die Einführung einer steuerlichen Risikoausgleichsrücklage. Betriebe sollen so ihre Eigenkapitalbasis stärken können.