Vor über 600 Jahren zog Christine de Pizan mit der Feder gegen die spätmittelalterliche Männerwelt zu Felde. Ihr utopisches „Buch von der Stadt der Frauen“ gilt heute als erstes feministisches Werk Europas.

„Die Natur hat die Frauen mit ebenso vielen körperlichen und geistigen Gaben ausgestattet wie die weisesten und erfahrensten Männer.“ Was heute als selbstverständlich gilt, war zum Zeitpunkt, als diese Zeilen niedergeschrieben wurden, revolutionär. Verfasst hat sie um 1400 die Dichterin und Philosophin Christine de Pizan (1365–1430), die mit ihrem Engagement für die Belange der Frauen am patriarchalisch geprägten Rollenverständnis ihrer Zeit rüttelte. Die Frau tat etwas, was in ihrer Zeit höchst ungewöhnlich war: Sie begann unabhängig zu leben, stellte bohrende Fragen und wollte sich nicht damit abfinden, dass das weibliche Geschlecht weniger zählen sollte als das männliche.

 

Wer war diese Frau, die gegen das patriarchalische Weltbild anschrieb und als alleinstehende Frau für den Unterhalt ihrer Familie sorgte? 1365 als Tochter des Arztes und Astrologen Tommaso da Pizzano in Venedig geboren, kam Christine de Pizan als Mädchen an den französischen Königshof nach Paris, wo ihr Vater als Leibarzt Karls V. eine einflussreiche Position innehatte. Im intellektuellen Zentrum Europas tat Tommaso etwas Ungewöhnliches: Er teilte „die süße Lust des Wissens und Lernens“ mit seiner Tochter – wohl ein Grund, warum sich Christine später nachdrücklich für Frauenbildung einsetzte.

Alleinerziehende Mutter in einer Männerwelt

Als 15-Jährige wurde die gebildete Jugendliche mit dem zehn Jahre älteren königlichen Sekretär Étienne du Castel verheiratet. Es wurde eine glückliche Ehe, aus der drei Kinder hervorgingen. Doch schon bald begann sich das Schicksal zu wenden. 1380 starb Karl V., und mit dem Tod seines Gönners verlor der Vater seine Stellung. Als dieser 1387 starb und drei Jahre später auch ihr Ehemann, war die junge Witwe auf sich allein gestellt.

Christine bekam zu spüren, was es hieß, sich als alleinerziehende Mutter in der Welt der Männer durchzusetzen. Sie wurde angefeindet, musste sich mit Gläubigern herumschlagen und in zermürbenden Prozessen um ihre Rechte kämpfen. Die Not eröffnete der jungen Frau neue Möglichkeiten. Um den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern, begann sie, Handschriften zu kopieren und selbst als Autorin tätig zu werden. Sie verfasste Texte über Liebe, Erziehung, Politik, Kriegskunst und Waffenkunde. Vor allem aber brachte sie ihren Ärger aufs Pergament. Schließlich könnten Frauen alles genauso gut wie Männer.

Damit stach Christine de Pizan in ein Wespennest. Das Spätmittelalter war keine Epoche, in der man Frauen besonders hoch achtete. Sie galten als Menschen zweiter Klasse, mit geringeren Geistesgaben ausgestattet als die Männer. Vor allem die Kirche propagierte die Geschlechterordnung als gottgegeben und erging sich in Hass und Verachtung gegen alles Weibliche. Für den Theologen Albertus Magnus war die Frau eine sünd- und fehlerhafte Kreatur, nicht würdig, eine eigene Meinung zu haben und einen eigenen Beitrag zu leisten.

Da war Christine de Pizan ganz anderer Meinung. 1399 löste sie mit ihrer Kritik an der frauenfeindlichen Haltung vieler französischer Dichter und Intellektueller den ersten Pariser Literaturstreit, die „Querelle du roman de la rose“, aus. Der Streit entzündete sich an dem berühmten „Rosenroman“, ein um die Mitte des 13. Jahrhunderts in der Tradition höfischer Liebeslyrik verfasstes Werk, das 40 Jahre später von dem Pariser Theologen Jean de Meung ins Gegenteil verkehrt wurde. Seine frauenverachtende Äußerung, das Weibsvolk sollte den Männern dienen „wie Kühe den Stieren“, spiegelte auf drastische Weise das patriarchalische Geschlechterverständnis der Zeit, nicht aber Christines Vorstellung von der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Sie war empört darüber, wie dieser Gelehrte „ein ganzes Geschlecht verleumdete“ – und hielt dagegen.

Männliche Hasstiraden

Punkt für Punkt entlarvte sie dessen Anwürfe als „Lehre voller Lügen“. Mit solcher Courage hatten die Verfechter der Rollenmuster nicht gerechnet. Entsprechend gehässig waren ihre Reaktionen. Doch je öfter Christine de Pizan männliche Hasstiraden entgegenschlugen, desto größer wurde ihr Bedürfnis, dieses antiquierte Frauenbild zurechtzurücken.

Dies tat sie in ihrem 1404/05 entstandenen „Buch von der Stadt der Frauen“, ein utopisches Werk, ein Gegenentwurf zur patriarchalischen Ordnung. Geradezu empirisch ging sie darin vor, um Antworten über die Misogynie in der französischen Literatur zu finden. „Ich frage mich, welches die Ursache dafür sein könnte, dass so viele und so verschiedene Männer, ganz gleich welchen Bildungsgrades, dazu neigten und immer noch neigen, in ihren Reden, Traktaten und Schriften derartig viele teuflische Scheußlichkeiten über Frauen und deren Lebensumstände zu verbreiten.“

Christine de Pizan kam zu dem Schluss, dass die Argumente, die Männer anführten, um die weibliche Unterlegenheit zu beweisen, jeder Grundlage entbehrten. Frauen seien nicht weniger intelligent als Männer, hätten aber das Handicap, von der Bildung ausgeschlossen zu sein. „Wenn es aber üblich wäre, die kleinen Mädchen eine Schule besuchen und sie im Anschluss daran, genau wie die Söhne, die Wissenschaften erlernen zu lassen, dann würden sie genauso gut lernen und die letzten Feinheiten aller Wissenschaften ebenso mühelos begreifen wie jene.“

Dass sie trotz massiver Anfeindungen im 15. Jahrhundert Gehör fand, verdankt Christine de Pizan ihrem wachen Geist, aber auch dem Wohlwollen namhafter Unterstützer: Neben Jean Gerson, dem Kanzler der Pariser Universität, ergriff auch der Herzog von Orléans für sie Partei. Dieser gründete an seinem Hof den „Rosenorden“ zum Schutz der Frauen. Damit hatte sich Christine de Pizan endgültig als streitbare Kämpferin für die Würde der Frauen profiliert.

Tod im Kloster

Christine de Pizan starb 1430 zurückgezogen im Kloster der Dominikanerinnen von Saint-Louis in Poissy. Dass ihre Vision von einer Welt gleichberechtigter Geschlechter einmal Wirklichkeit werden würde, davon war sie überzeugt. „Künftig“, so schrieb sie, „wird mehr von dir die Rede sein als zu deinen Lebzeiten.“