Früher alkoholabhängig „Es gibt viel mehr Menschen, die ein problematisches Trinkverhalten haben“

Heute ist Vlada Mättig Unternehmerin – und unterstützt andere dabei, nüchtern zu werden. Foto: privat/Jenna Dallwitz

Zehn Jahre lang war Vlada Mättig alkoholabhängig, an manchen Arbeitstagen hat sie schon morgens eine Flasche Wein getrunken. Inzwischen ist sie trocken – und setzt sich für einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol ein.

Stuttgart - Frau Mättig, Sie waren einige Jahre lang selbst alkoholabhängig. Wann oder wie ist Ihnen bewusst geworden, dass das so ist?

 

Abhängigkeit ist ein schleichender Prozess. Ich habe lange so konsumiert, wie viele andere das auch tun. Abends eine halbe oder ganze Flasche Wein, am Wochenende mehr, aber tagsüber habe ich lange Zeit nicht getrunken. Mit Mitte 20 dachte ich ab und an, dass es zu viel ist – aber ich konnte mir nicht vorstellen aufzuhören. Das war ein Alarmsignal. Am Ende, nach zehn Jahren psychischer Abhängigkeit, habe ich dann schon morgens eine Flasche Wein getrunken und mittags bei der Arbeit Sekt. Da war es dann auch eine körperliche Abhängigkeit, es ging letztlich um Leben und Tod. Mein Vater war der Erste, der es angesprochen hat.

Ist das bei der Arbeit nicht aufgefallen?

Ich habe meine Kolleginnen gefragt, tatsächlich hat das niemand bemerkt. Wenn ich die Vermutung hatte, dass man den Alkohol riechen könnte, habe ich Strategien entwickelt, damit es nicht auffällt. Ich entspreche auch nicht dem Bild, das unsere Gesellschaft von einer abhängigen Person hat. Ich habe in einer Agentur gearbeitet, da wurde es eher abgefeiert, wenn man noch im Rausch zur Arbeit kam. In vielen Branchen ist Alkohol nichts Verrufenes, im Gegenteil. Bis auffällt, dass jemand wirklich ein Problem hat, dauert es lange.

Welche Rolle spielte Alkohol in Ihrer Familie?

Ich bin ganz normal aufgewachsen. Alkohol hat immer dazugehört und wurde auch nicht infrage gestellt. Mein Vater hat jeden Abend sein Feierabendbier getrunken, ich habe mein erstes Glas Sekt zur Jugendweihe getrunken und mit 15, 16 den ersten Rausch gehabt. Anders als Zigaretten haben meine Eltern mir Alkohol nie verboten. Ich wurde auch nie über die Folgen aufgeklärt, die das Trinken haben kann.

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Halten Sie es für ein Problem, dass der Konsum von Alkohol etwas so Normales ist?

Ich sehe sehr kritisch, wie wir gesellschaftlich mit Alkohol umgehen. Das liegt auch daran, dass die Alkohollobby in Deutschland so mächtig ist. Es gibt viel mehr Menschen, die ein problematisches Trinkverhalten haben, als die, die am Ende in den Suchtstellen landen. Der Graubereich ist größer, als wir denken. Ich setze mich mit meiner Arbeit dafür ein, dass es für ein gesundes Leben steht, nicht zu trinken. Und dass die Leute merken: Es muss nicht erst schlimm sein, um mit dem Trinken aufzuhören – man kann einfach so aufhören.

Müssen Sie sich gegenüber Bekannten erklären, wenn Sie bei einer Feier keinen Alkohol trinken?

Mein direktes Umfeld hat mitbekommen, wie schlecht es mir mit der Abhängigkeit ging – die stellen das nicht infrage. Mein Weg hat eher viele dazu motiviert, ihr eigenes Trinkverhalten zu hinterfragen – auch, wenn ich da nicht missioniere, sondern einfach vorlebe. Ich kenne das aber von anderen, dass Menschen sich für ihre Nüchternheit erklären müssen. Eigentlich müsste es ja genau andersherum sein.

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Was löst es bei Ihnen aus, wenn andere trinken?

Ich verurteile das nicht. Ich war ja selbst mal in der Position, damals dachte ich auch, dass Nüchternheit langweilig ist. Egal ist es mir auch nicht – aber es bringt nichts, nur zu sagen: Du trinkst zu viel, hör auf damit. Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass die Menschen aus meinem Umfeld mir sagen, dass sie sich Sorgen machen – und dass sie mir Unterstützung anbieten. Wenn man das so anspricht, regt es Betroffene vielleicht an, über die eigene Situation nachzudenken.

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