Als die Stadt noch eine wichtige Industriehochburg war: Radler erkunden die lokale Wirtschaftsgeschichte.

Leonberg - An das Kaufhaus Erka in der Eltinger Straße mögen sich nur noch die Älteren erinnern. Da, wo heute die Commerzbank steht, fanden Bürger, die etwas auf sich hielten, eine große Auswahl an Bekleidung und Haushaltswaren vor.

 

Bei den Kleinen stand das Kaufhaus aus einem anderen Grund hoch im Kurs: „Als Kind bin ich nur rein, um auf der Rolltreppe zu fahren!“, erzählt Monika Grau. Zudem gab es dort das erste Softeis in der Stadt. Da kann sich auch Gatte Bernd nicht mehr bremsen. „Für Softeis habe ich mein Zehnerle von der Kinderkirche ausgegeben!“, gesteht er und tritt in die Pedale.

Im entspannten Tempo geht es durch viele Jahrzehnte der lokalen Wirtschaftsgeschichte. Rund 30 Interessierte radeln bei der Tour „Wo hot mr friar en Leonberg gschafft?“ zu früheren Arbeitsstätten, veranstaltet von Stadtmarketing, Stadtarchiv und von der RadL-Gruppe. Monika und Bernd Grau sind Experten, sie haben Leonberg als Industriehochburg erlebt. „Ich erinnere mich gut, wie die Massen vom Bahnhof ins Geschäft liefen“, erzählt Bernd Grau. Früher habe es etliche metallverarbeitende Betriebe gegeben.

Mit dem Rad vom Laster ziehen lassen

Vieles war damals anders, das liegt nicht nur daran, dass es die meisten Betriebe heute nicht mehr gibt. „Wir sind als Kinder zu den Schuhmachern in den Keller, um zu schauen, was sie da machen“, erzählt Grau. „Das ist heute nicht mehr möglich.“

Der Leonberger erinnert sich an den alten Güterbahnhof, der viel größer war als heute. Nicht nur wegen der Zuckerrübenverladestelle. Überhaupt sah das Gebiet rund um den Bahnhof mit dem Dampfsägewerk und einem Bahnübergang ganz anders aus. „Als im Tal gebaut wurde, hängten wir uns mit den Rädern immer an die Laster und ließen uns mitziehen!“, erzählt er.

Auch an Stohrer in der Römerstraße erinnert heute nichts mehr. „Dort wurden zuerst landwirtschaftliche Geräte hergestellt, später alles für den Schlachthofbau“, weiß Grau, der selbst dort gearbeitet hat. Die schweren Maschinen wurden über einen Schrägaufzug zum Bahnhof verladen.

Der eigene Park als Statussymbol

Die Wertarbeit war bis nach Venezuela gefragt. Weil die Geschäfte gut liefen, stellte sich der Chef den „Stohrerpark“ aufs Gelände. „Damals hatte jeder große Arbeitgeber einen eigenen Park, das war ein Statussymbol“, sagt Grau, der von einem regen Kontakt zwischen den Firmen berichtet.

Man habe praktisch jeden Tag in einer anderen Betriebskantine gegessen – nicht zuletzt wegen der „netten Mädels“. Und wer im Gummiwerk geschafft hat, war in der Mittagspause nicht zu übersehen. „Das waren die gepuderten Kerle!“, sagt er und meint das weiße Trennmittel im Gesicht.

Wie „gepudert“ war auch die im Garten aufgehängte Wäsche in der Schellingstraße nach den Sprengarbeiten im Stadtpark. „Irgendwann beschwerten sich die Frauen beim Gipswerk Eppinger, und man vereinbarte ein lautes Hupsignal eine halbe Stunde vor der Sprengung“, erzählt Monika Grau: „Dann sind die Frauen raus und haben schnell die Wäsche reingebracht“.

Arbeiter gründen eigene Schuhfabrik

Die beiden erinnern an die Schuhfabrik Leona an der Steinturnhalle, die von Arbeitern gegründet wurde, nachdem sich diese mit ihrem alten Chef überworfen hatten, vom Opel Höschele, bei dem die „tollsten Schlitten“ standen, sowie vom Margarethenheim für die „bösen Mädle“ auf dem Post-Areal und von den Ursprüngen der Bausparkasse an der Ecke Steinstraße/Elsässerstraße. Damals wollte eine christliche Organisation einfachen Bürgern den Hausbau günstig ermöglichen.

Auch das alte Kreiskrankenhaus in der Bahnhofstraße und das erste Altenheim „Abendfrieden“ im Ramtel sind Thema. Oder eine Volksbank-Filiale mit Autoschalter. „Das war Amerika!“, schwärmt er.

Der Marktplatz hatte damals eine ganz andere Bedeutung. „Ob Amt oder Einkaufen – wenn du etwas gebraucht hast, dann bist du auf den Marktplatz“, sagt Grau. Dass die Leute früher hier herumgesessen seien, daran könne er sich nicht erinnern. „Das ging gar nicht!“, meint auch eine Radlerin und witzelt: „Den hätten wir gleich „a faule Sau“ gerufen!“ Wohl auch deswegen traute man sich erst bei Einbruch der Dunkelheit in die Wirtschaft, meint Grau lachend.