Wolfgang Dietrich war gut vier Jahre lang Sprecher in Diensten der Deutschen Bahn und dabei so umstritten wie Stuttgart 21 selbst. Nun ist er Kandidat für den Präsidentenposten beim VfB Stuttgart.

Stuttgart - Ein Unbekannter ist der Kandidat für den Präsidentenposten beim VfB Stuttgart beileibe nicht. Denn seit Wolfgang Dietrich im Jahr 2010 dem Lockruf von Bahn-Chef Rüdiger Grube gefolgt war und bis Februar 2015 die Öffentlichkeitsarbeit für das Bahnprojekt Stuttgart 21 leitete, hat er sich in der Region und darüber hinaus einen Namen gemacht. Erst im Duo mit Ex-Regierungspräsident Udo Andriof, später allein, gab Dietrich den Prellbock. Während sich die Bahnverantwortlichen wegduckten, als der Gegenwind stärker wurde, stand der Sprecher aufrecht. „Er ist ein wahrer Kämpfer für das Projekt, scheute keine Diskussion, versuchte aufzuklären und nutzte jede Gelegenheit, die Bürger mit Fakten und guten Argumenten zu überzeugen“, lobte ihn Grube zum Abschied.

 

Dietrich trug das „Herz auf der Zunge“, er sah sich selbst als „Überzeugungstäter“. Für den Moderatorenjob war das nicht immer positiv. Doch es schien oft so, als würde ihm die ungewohnte (Un-)Popularität nicht missfallen, auch wenn er später über Beleidigungen und Bedrohungen klagte. Er unterschied sich deutlich von seinem Vorgänger Wolfgang Drexler – der SPD-Landtagsabgeordnete besaß mehr Distanz, politisches Gespür und wusste mit der veröffentlichten Meinung umzugehen. Wolfgang Dietrich dagegen teilte die Medien in Freund und Feind und vermutete in kritischen Fragen oft persönliche Angriffe.

Von Ingenieuren im Stich gelassen

Für die Stuttgart-21-Kritiker war er ein rotes Tuch. Es habe ihm am Verständnis für ihre Argumente gefehlt, etwa zum Erhalt der Bäume im Schlossgarten. Man könne nicht immer davon reden, wie schön 300 Jahre alte Bäume seien, es gebe „auch eine Schönheit von Bäumen, die wachsen“, sagte Dietrich. Witzig sollte zudem der Hinweis sein, es sei einfacher gewesen zu fällen, solange die Demonstranten auf den falschen Bäumen gesessen seien.

Dietrich hat sich als Bahn-Laie auf die Ingenieure verlassen müssen – und wurde dabei nicht selten im Stich gelassen. „Das Projekt befindet sich im Kosten- und Zeitplan“, behauptete Dietrich selbst dann noch, als die Bahn intern längst auf den kritischen Pfad eingeschwenkt war. Politisch stand der Projektsprecher fest an der Seite der damaligen schwarz-gelben Landesregierung, er verteidigte sogar den aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz im Schlossgarten am 30. September 2010: Verantwortlich für den Schwarzen Donnerstag seien die Demonstranten. Dem durch die Wasserwerfer schwer verletzten Dietrich Wagner warf er vor, mit einer Bierbank auf Polizisten losgegangen zu sein. Kürzlich hat sich Ministerpräsident Kretschmann bei Wagner entschuldigt.

„Dietrich hat immer den Spalter gegeben, auch bei den Fans.“

Vom umstrittenen Kommunikator zum VfB-Präsidenten? Für die Landtagsabgeordnete Brigitte Lösch (Grüne) ein Unding: „Dietrich hat immer den Spalter gegeben, auch bei den Fans.“ Gesucht sei eine Integrationsfigur, „und das ist er mit Sicherheit nicht“. Er sei der richtige Mann, sagen dagegen S-21-Befürworter. Der CDU-Stadtrat Fred Stradinger schätzt Dietrich als „guten Kommunikator“.

Der CDU-Kreischef Stefan Kaufmann, Mitglied des Berliner VfB-Abgeordneten-Fanclubs, fordert einen Kandidaten, „der neben unternehmerischen Fähigkeiten auch Erfahrung im sportlichen Bereich mitbringt“. Seine Kollegin Karin Maag weist darauf hin, dass der Ex-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder auch nicht „der geborene Diplomat“ gewesen sei. Hans Pfeifer, SPD-Stadtrat und VfB-Ehrenratsmitglied, schreibt Dietrich gute Managerqualitäten zu. Er fragt aber, „ganz ohne Wertung“, wie wichtig integrative Fähigkeiten in diesem Amt seien?

Rücktritt empfohlen

OB Fritz Kuhn hatte in seiner Antrittsrede Dietrich Desinformation vorgeworfen und den Rücktritt empfohlen. Nun lässt er sich recht lapidar zitieren: „Der VfB muss und wird eine gute Lösung finden.“

„Wenn das kein schlechtes Omen ist“, meint Hannes Rockenbauch (SÖS/Linke-plus). „Erst den Bahnhof tiefer legen und jetzt den VfB.“ Der Abstieg habe keine Auswirkungen auf das Ziel, 2017 Deutscher Meister zu werden, unken die Parkschützer in Anlehnung an Dietrichs Mantra, unabhängig davon, wie groß die Schwierigkeiten des Bahnprojekts waren: „Wir liegen da voll im Zeitplan.“

In der Bürgermeisterrunde erinnert man sich an lautstarke Telefonattacken des Projektsprechers. Man wünsche dem VfB daher einen Präsidenten mit hoher Führungskompetenz. Ein Beigeordneter bemüht die Historie: Mayer-Vorfelder sei als VfB-Präsident aufgestiegen, und er war Kultusminister. Susanne Eisenmann, erst für den Sport im Rathaus und jetzt im Land verantwortlich, könnte das auch.