Endlich Frühling! Die Menschen strömen wieder nach draußen, die Stadt ist voll und brummt. Während die einen froh sind, dass wieder was los ist, ist das den anderen zu laut und zu viel. Zwei Meinungen.
Im Frühling ist die Stadt wie verwandelt. Kaum dass die Sonne die Temperaturen an die Zehn-Grad-Marke treibt, sprießen nicht nur grüne Blätter und bunte Blumen. Nein, auch die Stuttgarterinnen und Stuttgarter erwachen aus ihrem Winterschlaf und sind in Scharen wieder unterwegs. Bei unseren beiden Autorinnen weckt das ganz unterschiedliche Gefühle.
Kontra: Die Plätze bersten vor Menschen
frische Luft ist wirklich herrlich. Es ist wunderbar, wenn einem etwas wärmerer Wind durch die Haare weht. Das Gefühl ist toll, mit Gewissheit sagen zu können, dass wir den Winter und die düsteren Tage endlich, endlich hinter uns gelassen haben. Ich verstehe auch, dass man das mit allen Sinnen spüren will. Alle posten jetzt Eisbecherbilder und Gänseblümchenfotos. Alles wunderschön. Alles keine Frage. Seh ich genauso.
Doch jetzt kommt das Aber. Weil das alle mit einem Mal fühlen, ist es manchmal eben auch arg eng an den Orten in der Stadt, die die Hotspots für Menschen mit Frühlingsgefühlen sind. Die Cafés sind voll, die Schlange vor der Eisdiele lang, die Plätze bersten vor Menschen, auf den Mäuerchen mit Talblick gibt es schon früh am Tag kein Plätzchen mehr. Und auf den Fahrradwegen bricht dann ein arg unfallträchtiges Gedränge aus. Alle wollen schließlich raus.
Alle? Na ja, nicht wirklich. Glücklich die, die sich ohne Berührungsängste unter die Leute begeben und denen es dort nicht zu eng wird. Bewundernswert die, die sich nicht zwei Ohrstöpsel herbeisehnen, wenn der Cabriofahrer an der Ampel wieder unaufgefordert einen Einblick in seinen Musikgeschmack gibt. Zu eng, zu laut und ein bisschen zu intim. Kurz, der Frühling gewährt Einblicke ins Leben der anderen, die man oft nicht haben will. Zumindest nicht in dieser Wucht.
Nennen Sie es eigenbrötlerisch, unhip oder auch nur einfach untauglich für die Großstadt. Egal, welches Etikett Sie dranhängen wollen. Die Suche nach den wirklich abgelegenen Orten hat mit dem Frühling begonnen. Zumindest die, nach den Plätzen mit der nötigen Distanz vom laut tosenden Frühlingsfest der vielen. Denn es ist ja nicht so, dass ich Menschen nicht mag. Nur gerne so, dass sie nicht in der Masse untergehen.
Hilke Lorenz ist Autorin im Team Familie, Bildung, Soziales. Sie interessiert sich besonders für das Zusammenleben von Menschen – wenn’s knirscht, aber auch wenn’s gut geht.
Pro: Szenen wie aus einem Wimmelbuch
Endlich ist Frühling, endlich sind die Menschen wieder auf der Straße! Sie treffen sich vor den Eisdielen, in den Cafés oder einfach nur in Nachbars Garten. Es ist so viel leichter, unterwegs zu sein – ohne dicke Jacke, ohne Mütze, ohne Schal. Ich liebe es, mich so unbeschwert in der Stadt zu bewegen, durch die Läden zu ziehen, mich mit Freunden zu treffen, mich einfach nur für eine kurze Zeit auf ein Eckchen Bank am Schlossplatz zu quetschen und nicht gleich festzufrieren. Dann halte ich meine Nase in die Sonne, schließe die Augen und höre das Brummen der City.
Ja, es ist laut, weil alle aus ihren Löchern kriechen und die Wege verstopfen. Kaum ein Durchkommen auf der Königstraße, lange Schlangen beim Eisverkäufer, genervte Eltern mit schreienden Kindern. Das alles gehört dazu. Mir macht es Spaß, die vielen verschiedenen Situationen zu beobachten, die sich wie in einem Wimmelbuch vor mir ausbreiten. Ich bin gerne Zuschauerin, ich mag die Menschen (zumindest die allermeisten), auch wenn es mal viele auf einmal sind.
Mir ist das tausend Mal lieber als die grauen und oft etwas einsamen Herbst- und Wintertage, an denen man nur draußen ist, um von A nach B zu kommen und etwas zu erledigen. An denen man am Wochenende ziellos spazieren geht, weil die Kinder mal durchgelüftet werden müssen und der Verstand einem sagt, dass es ungesund ist, die ganze Zeit drin zu hocken. Doch draußen ist alles menschenleer. Kein Schwatz mit der Nachbarin, und zum Stehenbleiben und Verweilen wäre es ohnehin zu kalt. Dann träume ich davon, es einmal so zu machen wie der Eisverkäufer um die Ecke, der im Oktober seinen Laden schließt und nach Italien fährt, und erst im nächsten Frühjahr wiederkommt.
Alexandra Kratz (41) ist Autorin im Team Familie, Bildung, Soziales und Mutter zweier Kinder. Im Frühling erwachen in ihr wieder gute Laune und Tatendrang.