Schule mal anders: In der Wasenschule betreuen 15 ehrenamtliche Bildungspaten den Schausteller-Nachwuchs auf dem Cannstatter Wasen. Individualität ist der Schlüssel zum Erfolg.

Bad Cannstatt - Der Geräuschpegel im Raum ist beeindruckend. Beeindruckend niedrig für ein Zimmer voll mit jungen Schülern. Es wird geredet an den Tischen, aber eher im Flüsterton als laut und störend. Die Rücksichtnahme auf andere ist groß, und das glatte zwei Stunden lang. Gewiss wünscht sich jeder Lehrer die Atmosphäre in seinem Unterricht genau so, wie es an diesem Morgen in der Wasenschule der Fall ist.

 

Anders als in einem normalen Klassenzimmer ist im umfunktionierten Schulungsraum der Branddirektion der Feuerwehr Bad Cannstatt auch das Zahlenverhältnis zwischen Lehrkräften und Jugendlichen. „Wir haben hier möglichst eine Eins-zu-Eins-Situation. Das ist ideal, weil jedes Kind einen anderen Lernplan hat und individuell behandelt werden sollte“, sagt Michael Widmann. Als Bereichslehrer für Kinder und Jugendliche von beruflich Reisenden ist er zuständig für die schulische Betreuung des Schausteller-Nachwuchses auf dem Cannstatter Wasen, wo zurzeit das Frühlingsfest stattfindet. „Erst wurden die Kinder während der Wasen-Zeit auf einige allgemeine Schulen im Quartier verteilt“, blickt Widmann zurück. Richtig glücklich mit dieser Lösung war niemand, weil sie sich als ineffektiv erwies. 2015 kam es dann erstmals zur Bündelung der rund 30 Schausteller-Kinder in den Katakomben unterhalb der König-Karls-Brücke.

15 ehrenamtliche Paten

Was als reine Hausaufgabenbetreuung anfing, hat sich seit vorigem Jahr erweitert. Die Erst- bis Zehntklässler arbeiten in Etappen zusammen mit sogenannten Bildungspaten an einem Lernplan, den sie von ihrer Stammschule mit auf die Reise bekommen haben. Und weil Widmann im zweiten Jahr nun sogar deutlich mehr Paten an der Hand hat als die von ihm erhofften „acht oder neun“, ist die Situation jetzt geradezu traumhaft. 15 Erwachsene haben sich auf einen Aufruf der Stadt hin gemeldet, ehrenamtlich für die Wasenschule zur Verfügung zu stehen.

Eine dieser Patinnen ist Carina Auchter. Sie sitzt an einem Tisch zusammen mit Willi. Der 13-Jährige hat Englisch-Aufgaben vor sich. In englischer Sprache unterhalten sich die beiden darüber, wie der Schüler die Sache am besten angehen kann. „Ich sehe mich nicht als Ersatzlehrerin, sondern als Unterstützerin bei der Umsetzung des Lernplans“, sagt Auchter über ihre „bedarfsorientierte Hilfe“. Im Stuttgarter Amtsblatt hatte die 29-Jährige von der Bildungspatenschaft gelesen und sofort Interesse an diesem Aufruf gezeigt.

Bis auf zwei Lehramtsstudenten, die in der Wasenschule ein wenig Praxis üben wollen, haben die anderen Paten keine fachspezifische Ausbildung. „Trotzdem bringen sie eine Fülle an Begabungen ein. Und wenn einer mal mit einem Thema nicht zurechtkommt, hilft ein anderer. Das ist sehr effektiv“, sieht Michael Widmann die Sache pragmatisch. Ebenso die Zuordnung zwischen Paten und Schüler. „Meistens finden sich die Pärchen fast von alleine. Da wird nichts von oben herab festgelegt. Es muss einfach die Chemie zwischen beiden stimmen.“

Den Horizont erweitern

So wie Carina Auchter und Willi. „Das ist ein echter Feger“, sagt Auchter lächelnd über ihren Schützling. Und trotzdem kommt sie gut mit ihm klar. „Sie ist schon streng, kann aber auch mal Spaß verstehen. Und wie sie die Sachen erklärt, ist echt gut“, lobt der Siebtklässler seine Betreuerin. „Willi macht jetzt sogar Hausaufgaben“, ist Carina Auchter stolz über einen kleinen pädagogischen Erfolg. Vier Mal zwei Lernstunden am Vormittag hat sich die voll Berufstätige bislang Zeit für die Wasenschule genommen. „Das geht auch nur, weil mein Chef hinter der Sache steht und mich während der Arbeitszeit freistellt“, freut sich die Assistentin der Geschäftsleitung und kaufmännische Leiterin einer kleinen Strategieberatungsagentur über die Unterstützung.

Bereut hat Carina Auchter noch keine Sekunde ihrer Bildungspatenschaft. „Das ist eine absolut Horizont erweiternde Erfahrung und zudem schöne Abwechslung zum Büroalltag“, sagt sie und will im Herbst, wenn die Schaustellerkinder das nächste Mal zur Wasenschule kommen, wieder dabei sein. Michael Widmann verwundert das nicht: „Hier gibt es nur Gewinner. Weil es gelungen ist, eine Lernatmosphäre zu schaffen, wo sich Schüler und Lehrer wohlfühlen.“