Ein Kinderkarussell, das 110. Geburtstag feiert und Lebkuchenherzen, die per elektronischer Bildnachricht mit dem persönlichen Konterfei bedruckt werden: Auf dem Stuttgarter Frühlingsfest leben Tradition und Moderne einträchtig nebeneinander.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Wer Karl Heinz Wittmann interviewen will, dem wird ein Kindheitstraum erfüllt. Wittmann bittet zum Gespräch in den Kommandostand seines Kinderkarussells, das 1905 gebaut wurde, in diesem Jahr also 110-jähriges Jubiläum feiert. Die Geschichte des Fahrgeschäfts ist spektakulär: „Am Ende des Zweiten Weltkriegs hat mein Opa das Karussell eingegraben, damit es nicht in falsche Hände gerät“, erklärt Wittmann. Nachdem sein Großvater aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt sei und das Geschäft wieder ausgegraben habe, seien die schönen Farben verblasst gewesen.

 

„Die schönen barocken Malereien waren schwarz. Der Kunstmaler Sepp Wallmer hat meinen Opa dann überzeugt, auf ganz neue Motive zu setzen“, erzählt Wittmann. Wallmer benutzte im Jahr 1956 die damals in Deutschland noch wenig bekannte Micky Maus. Noch heute können Kinder bei Karl Heinz Wittmann neben Pferden auch historische Donald-Duck-Figuren im Dienste des Fahrspaßes benutzen. Wie sich Wallmer damals mit Walt Disney auf die Rechte geeinigt hat? „Das weiß ich nicht. Gekostet hat es nichts – außer zwei Kästen Bier. Der Wallmer Sepp hat das Karussell an einem Tag bemalt“, sagt Wittmann.

Bereits die Vorfahren als Gauklerfamilie unterwegs

Wittmanns Vorfahren wurden übrigens bereits im Jahr 1703 urkundlich erwähnt. „Wir waren als Gauklerfamilie im Dienste von Fürst Clemens in Rothenburg ob der Tauber. Zehn Generationen meiner Familie liegen sogar in der Gruft von Clemens“, behauptet Wittmann, der das Karussell seit 1984 betreibt. Noch heute sind Fürsten dem Schausteller wohlgesonnen: „In der Kutsche meines Karussells saß schon der ehemalige Ministerpräsident Lothar Späth in Besigheim auf dem Winzerfest“, sagt Wittmann, und widmet sich wieder seiner Lebensaufgabe, dem Fahrspaß für Kinder: „Vorsicht an der Fahrbahn, es geht los“, ruft Wittmann per Lautsprecher und läutet dann die Glocke.

Eine Glocke läuten muss Melanie Weeber nicht, um auf ihren Stand aufmerksam zu machen. Sie macht in Lebkuchenherzen, einem viel süßeren Symbol für den Wasen, als es Tracht oder Dirndl jemals sein können. Die 36-Jährige stammt ebenfalls aus einer alten Schaustellerfamilie. Weeber transportiert das traditionelle Lebkuchenherz in die Moderne. Wer schon immer einmal sein Konterfei auf einem Herzen sehen wollte, kann entweder unter www.herz-foto.de sein Bild hochladen und das Foto dann im passenden Zuckerguss auf dem Frühlingsfest abholen. Noch spontanere Freunde der gepflegten Süßspeise können Weeber auf dem Fest ein Foto über die Smartphone-App WhatsApp schicken.

Leicht bekleidete Dame auf dem Lebkuchenherz verewigt

Musste Weeber schon einmal Fotos ablehnen, weil sie nicht ihrem guten Geschmack entsprachen? „Einmal kam ein älterer Herr, der eine Dame leichtbekleidet in Leder auf einem Herz verewigen wollte“, erzählt Weeber. Das Bild hätte zwar nicht ihren ästhetischen Vorstellungen entsprochen, allzu streng wollte sie in dem Fall aber auch nicht sein.

Übrigens geht Melanie Weeber auch bei der Beschriftung der Herzen mit der Zeit. Neben den ewig jungen Klassikern wie „Schatzi“ oder „ich hab dich lieb“ hat Weeber in dieser Saison den Standard der Jugendsprache, „läuft bei dir“ im Angebot. Was wir uns beim nächsten Festbesuch bei Weeber für das hipste Lebkuchenherz der Stadt bestellen: „Chabos wissen, wer der Babo ist“.