Frühlingsgefühle im Büro Büromenschen verlieben sich im Büro

Liebe unter Kollegen ist gar nicht so selten: Etwa jeder vierte Deutsche berichtet, schon ein Techtelmechtel im Büro erlebt zu haben. Manche behaupten, dass vor allem der Frühling Menschen in Flirtlaune bringt.
Stuttgart - Der Büroliebe liegt eine recht einfache Gleichung zugrunde: dort, wo die Menschen den Großteil ihrer Zeit verbringen, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Funke irgendwann auf irgendwen überspringt. Nicht umsonst gilt der Arbeitsplatz, seit Frauen berufstätig sind, als Heiratsmarkt Nummer eins.
Helmut Schatz ist Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und als Hormonspezialist überzeugt, dass die Hormone gerade im Frühjahr eine große Rolle spielen. Zum Beispiel das Schlafhormon Melatonin, das im Frühjahr sinkt. Während des dunklen Winters hat die Zirbeldrüse den Stoff vermehrt produziert. Experten zufolge haben Studien gezeigt, dass sich erhöhte Melatonin-Konzentrationen durchaus negativ auf das Wohlbefinden auswirken können und dass es sogar Depressionen begünstigen kann. Werden die Tage wieder länger und heller, sinkt die Produktion des Stoffes ab – und der Mensch wird wieder munter. Zudem steigert das helle Licht im Frühling die Synthese des Glückshormons Serotonin. Das stimmt die Menschen fröhlich.
Der Mechanismus ist Evolutionsbiologen zufolge schon steinalt. Unsere frühzeitlichen Vorfahren haben zudem unermüdlich neue Liebesstrategien entwickelt, die bis heute dem schönsten Gefühl auf die Sprünge helfen. Dem US-Wissenschaftler Dean Falk zufolge verliebten sich Frühmenschen das erste Mal vor 2,5 Millionen Jahren, als sie anfingen, sich tief in die Augen zu schauen und zu lächeln.
Bringt der Frühling wirklich die Hormone in Wallung?
Das hat sich bewährt – und es funktioniert beim modernen Menschen nicht mehr nur im Frühling. Auch wenn im Frühjahr die Hormone umgangssprachlich verrückt spielen: die Biochemie ist komplex; ob und wie sie durch die Jahreszeiten beeinflusst wird, ist heute noch nicht abschließend geklärt. Der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg von der Universität München stellte 2007 zwar fest, dass es bei der Zeugungsstatistik jahreszeitliche Schwankungen gibt. Er wertete dafür Geburtsstatistiken aus fast allen Ländern bis ins 19. Jahrhundert aus, insgesamt aus 166 Regionen. Sein Fazit: im Frühjahr gibt es tatsächlich ein Zeugungshoch, vor allem bei Tagestemperaturen um die 15 bis 20 Grad. Doch dieser Effekt wird seit den 50er und 60er Jahren schwächer. Das liegt den Experten zufolge am künstlichen Mikroklima des modernen Lebens, in dem wir uns alle immer länger aufhalten. In Industriegesellschaften wird viel drinnen gearbeitet; von der Kälte und Dunkelheit draußen bekommt man nicht viel mit.
Und Frühling hin oder her: in Bürogebäuden knistert es bisweilen gewaltig. Trotz des unausgesprochenen Gesetzes, im Büro keinen Sex zu haben, bestätigen Umfragen – mit leichten Schwankungen – regelmäßig: im Durchschnitt hatte jeder vierte Deutsche am Arbeitsplatz bereits ein Techtelmechtel. Jeder fünfte von 1500 befragten Männern behauptete in einer – naturgemäß nicht repräsentativen – Umfrage des „Playboy“-Magazins im vergangenen Jahr sogar, am Arbeitsplatz Sex mit einer Kollegin gehabt zu haben. In der Mehrzahl der Fälle seien das jedoch einmalige Angelegenheiten gewesen, hat die Umfrage ergeben: 44 Prozent der Befragten vergnügten sich ein- bis zweimal in der Firma, 15 Prozent gaben an, das es zehnmal der Fall gewesen sei. Nicht immer war das Flirten in der Teeküche aber nur ein Strohfeuer: 30 Prozent der Affären führten der Umfrage zufolge zum Traualtar. Andere hatten dagegen Pech: acht Prozent bezahlten für das Liebesabenteuer am Arbeitsplatz mit einem Jobverlust, 17 Prozent litten unter dem Kollegentratsch.
Das Gerede zumindest hätten sie einkalkulieren können, sagt die Berliner Psychotherapeutin Astrid Schreyögg. Der Flurfunk ist immer dabei – in guten, vor allem aber in schlechten Zeiten. Im Laufe ihres Arbeitslebens stieß die Therapeutin deshalb auf viele Geschichten über gebrochene Herzen aus dem Büroalltag. „Wenn eine Liebe am Arbeitsplatz nicht mehr funktioniert, ist das für alle Betroffenen fürchterlich“, sagt sie. „Es ist nun einmal nicht möglich, sich gleichzeitig innerlich voneinander zu trennen. Einer geht den Schritt, der andere muss ihn aushalten. Das heißt, einer ist mit Sicherheit zutiefst gekränkt.“ Hat das Paar berufliche Überschneidungspunkte und ist auch ein berufliches Miteinander nicht mehr möglich, ziehen manche Unternehmen einen Coach zurate. Schreyögg hat als Feuerwehrfrau viele Hausbesuche dieser Art hinter sich.
Der Reiz des Verbotenen spielt eine Rolle, sagt die Therapeutin
Aber warum knistert und funkt es überhaupt so oft am Arbeitsplatz? Mit Romantik hat ein Büroalltag schließlich nicht viel zu tun. Vielleicht gerade deshalb? „Der Arbeitsplatz ist rational strukturiert, vordergründig denkt man nicht an Liebe“, sagt Schreyögg. Dennoch liege gerade dort Spannung in der Luft. „Der Reiz des Verbotenen spielt eine Rolle, weil die Emotionen im vernunftgesteuerten Umfeld eigentlich nichts verloren haben“, sagt sie.
Beziehungen am Arbeitsplatz kommen meist auf die leise Art zustande. Sie wachsen langsam. „Es gibt keine peinlichen Situationen, niemand macht direkt publik, dass er auf der Suche ist, es ist ein langsames Vorwagen“, sagt die Therapeutin. Das gilt zumindest, wenn sich die Verliebten auf Augenhöhe begegnen. Funkt es hingegen zwischen dem Chef und einer Angestellten, entsteht ein Ungleichgewicht – Emanzipation hin oder her. „Macht macht sexy, das ist bekannt. Deshalb gibt es immer noch viele Frauen, die gerne ihren Vorgesetzen erobern wollen“, sagt Schreyögg. Umgekehrt gilt das allerdings nicht: die wenigsten Beziehungen ergeben sich zwischen Chefin und Mitarbeiter.
Wo auch immer in der Hierarchie man sich befindet: Probleme sind programmiert, wenn die Partner nicht auf Augenhöhe arbeiten oder nicht in unterschiedlichen Abteilungen des Unternehmens. Neid, Mussgunst, Klatsch und Tratsch sind oft die Folge. Der Expertin zufolge hilft im Extremfall nur, den Arbeitgeber zu wechseln, um Neidern die Munition zu nehmen.
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