Jährlich verursachen Geisterfahrer in Deutschland 2000 Unfälle mit rund 20 Toten – was kann man gegen diese Gefahr tun? Ein Team von Stuttgarter und Münchner Wissenschaftlern setzt auf Hilfe aus dem All. Der Mann, der gegen den Albtraum jedes Autofahrers kämpft, heißt Volker Schwieger.

Stuttgart - Der Mann, der gegen den Albtraum jedes Autofahrers kämpft, sitzt in seinem Büro im sechsten Stock eines Unigebäudes in der Stadt. Er blickt auf das Klinikum und auf eine viel befahrene Durchgangsstraße hinab. Passender wäre ein Gebäude, das an einer Autobahn läge, am besten mit Blick auf eine Autobahnauffahrt. Denn dort passiert immer wieder vermeintlich Unerklärliches: Autofahrer biegen falsch ab und fahren in die verkehrte Richtung. Gegen den Strom. Es ist der Albtraum vom Geisterfahrer, der Volker Schwieger täglich durch den Kopf spukt.

 

Geisterfahrer verursachen in Deutschland jährlich rund 2000 Unfälle mit 20 Toten. Im Großraum Stuttgart hat die Autobahnpolizei in diesem und im vergangen Jahr 31 Geisterfahrer registriert. Manche von ihnen fahren bewusst in den Tod und nehmen dabei den anderer in Kauf. Oft trüben Alkohol oder Medikamente die Sinne, wenn Menschen die Orientierung verlieren. Auch das Wetter spielt ab und an eine Rolle. Autobahnauf- und abfahrten sind die neuralgischen Punkte, an denen die Menschen tödliche Fehler begehen.

Frühwarnsystem soll über Satelliten eingreifen

Die Politik hat vieles unternommen, um Geisterfahrer auszubremsen: Stopp-Schilder, Fahrbahnkrallen und Induktionsschleifen wurden installiert – doch viele dieser Sicherheitsmaßnahmen sind teuer und aufwändig.

Volker Schwieger denkt an eine andere Lösung. Er arbeitet an einem Frühwarnsystem, das schnell eingreifen soll, sobald ein Auto auf die falsche Spur gerät. Die Hilfe kommt aus dem Weltall, genauer von Satelliten, die die Fahrzeuge orten. Schwieger, Professor am Institut für Ingenieurgeodäsie der Uni Stuttgart, forscht mit einem Team daran, wie die Satelliten künftig noch wesentlich genauer die Position von Fahrzeugen erfassen können. Dabei kommt es auf jeden Meter an. „Was die Systeme heute leisten, reicht für unsere Zwecke nicht aus“, sagt Schwieger. Die Ortung des Fahrzeugs muss so präzise sein, dass es erkennt, ob das Auto beispielsweise auf der linken Spur regelkonform fährt oder auf der anderen Seite der Autobahn als Falschfahrer unterwegs ist.

Das Forschungsprojekt nennt sich passenderweise „Ghosthunter“, es wird vom Bundeswirtschaftsministerium mit 670 000 Euro gefördert. Dank des Geldes können sich die Institute für Ingenieurgeodäsie der Uni Stuttgart sowie der Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung der Bundeswehr-Uni München auf die Suche nach Antworten machen, die einmal Leben retten könnten. „Ghosthunter“ basiert auf dem globalen Navigationssatellitensystem (GNSS), welches das bekanntere Globale Positionsbestimmungssystem GPS beinhaltet. Dabei kommunizieren die Satelliten mit den GPS-Empfängern durch Mikrowellensignale. Hat das System die Position des Fahrzeugs bestimmt, muss diese mit einem digitalen Kartensystem (wie beispielsweise TomTom) abgeglichen werden. Erst wenn dies erfolgt ist, kann das System erkennen, ob es sich um einen Geisterfahrer handelt oder nicht.

Auf die Wissenschaftler wartet viel Rechenarbeit

Doch soweit sind Volker Schwieger und seine Kollegen noch nicht. „Wir untersuchen derzeit, wie genau die Karten wirklich sind.“ Bevor konkrete Ergebnisse vorliegen werden, wartet auf die Wissenschaftler viel Rechenarbeit. Doch schon jetzt planen die Stuttgarter und die Münchner eine gemeinsame Messkampagne, die im Praxisbetrieb klären soll, ob „Ghosthunter“ die Geisterfahrer auch wirklich zuverlässig jagt. „Unsere Münchner Kollegen besitzen auf ihrem Gelände eine Teststrecke mit einer nachgebauten Autobahnauffahrt“, sagt Volker Schwieger. Ein Messfahrzeug soll die neue Technik dort testen. Viele weitere Fragen stellen sich vor einer möglichen Markteinführung des Geisterjägers: Funktioniert das System zuverlässig im „Schatten“ von hohen Gebäuden? Wie verlässlich ist es in einem Tunnel? Wie sollen die Warnhinweise im Fahrzeug des Geisterfahrers und in den Fahrzeugen in dessen Umfeld genau ausfallen?

Sollte „Ghosthunter“ den Praxistest bestehen, könnte das neue elektronische Warnsystem in das europäische Notrufsystem ECall integriert werden, das von 2018 an verpflichtend in alle neuen PKWs und leichten Nutzfahrzeuge eingebaut werden muss. Dann würden manche Gefahren rechtzeitig gebannt – anders als im Frühjahr diesen Jahres: Seinerzeit war nachts eine Frau auf der A 81 in die falsche Richtung gefahren. Sie wurde erst gestoppt, als ein 19 Jahre alter LKW-Fahrer die Gefahr erkannte: Der junge Mann stellte seinen Sattelschlepper quer über beide Fahrbahnen, um den folgenden Verkehr vor der Geisterfahrerin zu schützen.