Kunden des „Cupcakes and Bagels“ laden ihren Frust über ausverkaufte Süßigkeiten bei den Angestellten ab. Ähnliches erleben auch andere Dienstleister. Ein Psychologe erklärt das Phänomen.

S-West - Der Valentinstag hatte für Tihana Canjuga von „Cupcakes and Bagels“ eigentlich sehr gut angefangen. Zum Tag der Liebenden hatte sie sich etwas Besonders einfallen lassen: eine auf 100 Stück limitierte Box mit ihren schmackhaften wie kunstfertigen Mini-Törtchen. Doch die Stuttgart-weit beliebten Köstlichkeiten waren nach kurzer Zeit ausverkauft. Was dann aber folgte, bot alles andere als Grund zur Freude. Einige Kunden ließen über die verpasste Chance und langen Wartezeiten am Abholtag ihren Frust an Tihana Canjuga und ihren Angestellten aus. Das ist kein Einzelfall: Viele Dienstleister erleben pandemiegestresste Kunden, deren Frustrationstoleranz zu schwinden scheint.

 

Eigentlich ist der kleine Cupcake-Laden am Hölderinplatz eine Erfolgsgeschichte in Zeiten der Pandemie. Wer nach 15 Uhr noch etwas möchte, findet häufig eine fast leer gekaufte Theke vor. Vieles läuft auf Vorbestellung. So auch die Valentinstag-Boxen. „Wir waren in fünf Stunden ausverkauft“, sagt Tihana Canjuga. Das spreche eigentlich für Qualität. Doch bei einigen Menschen, die keine Box mehr abbekommen hatten oder am Samstag vor Valentinstag zu lange warten mussten, sorgte es für Unmut. „Um Punkt 10 Uhr stand eine riesige Schlange vor dem Laden. Alle wollten die Box unbedingt gleich abholen“, sagt Canjuga. Das Resultat: Wutgeladene E-Mails und Anrufe verärgerter Kunden. „Ich wurde teilweise angeschrien. Man beschimpfte uns als inkompetent und schlecht organisiert. Die Leute fragten, warum wir denn nicht mehr machen würden.“ Danach habe sie sprichwörtlich „keinen Bock mehr auf Valentinstag“ gehabt.

Nicht jeder Dienstleister möchte darüber offen sprechen

„Wir fertigen auf 15 Quadratmetern. Das bedeutet, wir müssen uns sehr gut organisieren und unser Limit kennen“, sagt sie. Neben dem reinen Backen gebe es auch viel andere Arbeit. Und aufgrund der Hygieneregeln könne sie auch keine sechs Leute gleichzeitig auf so kleinem Raum beschäftigen. Die meisten Menschen würden dies auch verstehen, betont sie.

Befremdliche Szenen beobachtet man häufig an Orten mit großem Kundenaufkommen, etwa im Supermarkt oder auf der Post. Nicht jeder Dienstleister möchte darüber sprechen, etwa um Kunden nicht zu vergraulen. Jens Draheim betreibt die Postfiliale und das Schreibwaren Fachgeschäft Phönix nur wenige Schritte vom „Cupcakes and Bagels“. „Die meisten Kunden halten sich an die Regeln“, sagt er. Doch auch bei ihm spielen sich bisweilen befremdliche Szenen ab, meist betreffe es das Masken-Tragen. „Es kam hier schon eine Mutter mit einer erwachsenen Tochter rein und die Tochter weigerte sich, eine Maske aufzuziehen. Die riefen dann die Polizei. Das löste sich natürlich von selbst“, sagt er und lacht. Auch per Brief habe sich ein Herr beschwert, dass er Maske tragen müsse. Jene, die sagen, sie hätten ein Attest bittet er hinaus und empfiehlt, jemand anderen zu schicken, der eine Maske tragen kann. Schwierigen Kunden begegnen er und seine Mitarbeiter „freundlich aber bestimmt“.

Gute Absicht führt nicht zum Ziel

„Dieses Phänomen ist nicht neu. Wir kennen das von Klagen der Polizei oder der Feuerwehr. Aber die aktuelle Situation verstärkt dies vielleicht“, erklärt Ulrich Wagner, emeritierter Professor für Psychologie an der Philipps-Universität Marburg. Eine große Rolle spiele dabei der Frust und die „gelernte Hilflosigkeit“, etwa weil Menschen den Erfolg der Corona-Maßnahmen nicht richtig sehen würden. „Wir lernen, dass das, was wir mit guter Absicht machen, nicht zum Ziel führt. Wir lernen Hilflosigkeit. Einige Leute reagieren darauf mit Resignation, andere mit Reaktanz, sie zeigen also Widerstand“, ergänzt er.

Man stehe unter dauernder Anspannung, etwa wenn man sich draußen bewege und dauernd versuche, Abstände einzuhalten. „Das ist eine unangenehme Situation. Wir sind schlecht gelaunt. Kommen dann einzelne unerfreuliche Ereignisse hinzu, kann es zu solchen Ausrastern führen“, sagt Wagner.

Niemand möchte angemotzt werden

Laut dem Experten bekämen Ersatzhandlungen eine enorme Bedeutung. „Wenn etwas dann nicht klappt, führt dies zu Frust.“ So wie es Tihana Canjuga erlebt hat. Ulrich Wagner rät, Alternativen zu finden. Statt dem Urlaub oder den Besuchen bei Freunden könnten dies Spaziergänge sein. Wenn man ein Produkt nicht gleich bekäme, könne es der gute alte Gutschein tun. „Wichtig ist das Denken in Alternativen und nicht das Fixieren auf das eine Ziel“, sagt Wagner.

Tihana Canjuga wünscht sich generell mehr Verständnis für alle Ladenbetreiber. Niemand könne etwas für die aktuelle Situation. „Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir so viel zu tun haben“, sagt sie. „Aber ich habe auch Angestellte, die Menschen ein gutes Gefühl geben und nicht angemotzt werden wollen.“