Stephan Werhahn, der Enkel von Konrad Adenauer, kandidiert als Frontmann für die Freien Wähler. Damit tritt er gegen Angela Merkel an, die Amtsnachfolgerin seines berühmten Großvaters Konrad Adenauer. Portrait eines ungewöhnlichen Rebellen.

Berlin - Das Wort „Rebell“ weckt mitunter falsche Assoziationen. Es klingt nach waghalsigen Abenteuern, überlegener Siegerpose, wilder Haartracht oder einem ungestümen Lebenswandel. Doch Rebellion geht auch anders. Es ist ein trüber Nachmittag. Stephan Werhahn sitzt am Fenster in der Ecke eines bekannten Berliner Cafés. Er trägt Anzug, bestellt eine Tasse Kaffee und ein Stück Käsekuchen mit Mandarinen. Auf dem Tisch liegt sein Smartphone, der Akku ist leer. Werhahn fragt den Kellner nach einer Steckdose. Er wolle erreichbar sein, „ich habe noch einen Termin im ARD-Hauptstadtstudio“, sagt er. Gerade ist der 58-jährige Finanzfachmann aus München eingeflogen, wo er seit einigen Jahren lebt – nicht mehr am Rhein, wie ein Großteil seiner Familie, die Nachfahren des ersten deutschen Bundeskanzlers und Urvaters der CDU, Konrad Adenauer. Straßen, Plätze, Brücken, Flughäfen sind nach dem Altkanzler benannt.

 

Adenauer auch Familienoberhaupt

Mehr als vier Jahrzehnte lang war auch dessen Enkel Stephan Mitglied jener Partei, für die sein Großvater bis heute eine Symbolfigur ist. Werhahn erinnert sich noch gut daran, wie er als Kind am zweiten Weihnachtsfeiertag, seinem Namenstag, ein Extrageschenk von Adenauer bekam. „Da hat er mich dann zu sich gerufen, mir dieses kleine Präsent überreicht.“ Es habe dann eine direkte Nähe zu seinem Großvater gegeben, „das habe ich immer sehr geliebt“. Adenauer sei bei solchen Anlässen ja nicht der Politiker gewesen, sondern das Familienoberhaupt.

Doch das ist Vergangenheit. Werhahn hat inzwischen selbst zwei Enkel – und der CDU von Angela Merkel kehrte er im Frühjahr 2012 den Rücken, weil er vor allem den Kurs der Kanzlerin in der Euro-Schuldenkrise nicht mehr hinnehmen wollte. Werhahn ging zu den Freien Wählern, die erbitterte Kritiker der aktuellen Euro-Rettungspolitik sind. Für sie tritt Werhahn als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2013 an – gegen die CDU-Vorsitzende also, die Amtsnachfolgerin seines berühmten Großvaters. Vom Parteifreund wurde Werhahn zu Merkels Gegner. Deshalb ist der Polit-Neuling inzwischen häufiger auf dem Berliner Parkett zu sehen.

Werhahn hält die Euro-Politik für fatal

Den CDU-Austritt beschreibt Werhahn als Ergebnis einer allmählichen Entfremdung von der Partei seines Großvaters. „Ab 2008 ging’s los. Bis 2010 wurde es immer schlimmer. Mit dem zweiten Rettungspaket für Griechenland dachte ich mir: Was passiert denn jetzt?“, erzählt der Adenauer-Spross. Kulminiert sei es in diesem Sommer, „die Geschichte mit dem ESM fand ich grauenhaft. Die Regierung ist so schlimm umgegangen mit den Abgeordneten“. Erschrocken sei er aber vor allem darüber, dass im Bundestag letztlich alle Fraktionen bis auf die Linke einem einzigen Weg zur Euro-Rettung zugestimmt hätten, obwohl sich dieser „leider immer mehr als fatal herausstellt“.

Die Euro-Rettung – das ist Werhahns zentrales politisches Thema. Er schimpft über die fehlende Mitbestimmung der Bürger in der Schuldenkrise, über Fehlanreize für die Problemstaaten – und über Merkel. „Was ich an der Bundeskanzlerin und ihrer Regierung kritisiere, ist, dass sie ihren Weg als alternativlos darstellt“, sagt Werhahn. Adenauer würde es bestimmt nicht gutheißen, dass in der Union keine Diskussion mehr stattfinde, behauptet Werhahn.

„Merkel lässt Wärme und Nähe vermissen“

Für die CDU bekleidete er nie ein Amt, „aber als die Euro-Krise losging, habe ich gesagt: das geht so nicht, jetzt muss ich aktiv werden“. So kam es, dass er bei den Freien Wählern eine neue politische Heimat fand. „Ich glaube, dass wir die bessere Union sind“, findet der Kanzler-Enkel, auch wenn seine neue Partei laut Umfragen derzeit den Sprung in den Bundestag nicht schaffen würde. Doch seine Partei sei liberal und zugleich wertkonservativ. Merkel habe hingegen den Bezug zur Bevölkerung verloren, „sie müsste die Bürgerinteressen stärker berücksichtigen und nicht auf irgendwelchen Gipfeln herumturnen“, kritisiert Werhahn die Kanzlerin, die gleichwohl glänzende Sympathiewerte hat. Doch die Kanzlerin sei eben Naturwissenschaftlerin, eine Art Verwaltungsbeamtin, aber „keine volksnahe Frau, die sich um die Sorgen der kleinen Menschen kümmert. Sie lässt Wärme und Nähe vermissen“.

Er selbst sei übrigens nicht der einzige Unzufriedene in der Partei gewesen, behauptet Werhahn. „Überall in der CDU kriselt und bröselt es und alle sind frustriert“, behauptet Werhahn. „Mir sagen Unionsleute häufig: Wärst Du nicht ausgetreten, würdest Du mithelfen, bei uns ein bisschen aufzuräumen.“ Viele wollten eine Rückbesinnung auf die alten marktwirtschaftliche Tugenden, „ich glaube sogar, die Union muss wieder eine Weile in die Opposition, um das zu schaffen.“ Das ist ein beachtlicher Satz für jemanden, dessen Vorfahr 16 Jahre lang regierte.

Nicht minder beachtlich ist, wie der CDU-Austritt des Adenauer-Nachfahren nach seinen Worten vonstatten ging. „Ich habe die CDU angeschrieben und mitgeteilt, ich möchte gerne austreten, weil ich eine andere politische Richtung einschlagen möchte“, erzählt Werhahn. „Da kam nur ein netter Brief zurück, da stand drin: Wir haben Sie gestrichen aus der Kartei. Sonst keine Reaktion. Dann habe ich gesagt: Gut, dann ist das eben so.“

„In der Demokratie wird der Bessere gewählt“

Rückhalt für diese Entscheidung erhält Werhahn von seiner Mutter Libet, einer der vier Töchter Adenauers. Sie, die von Merkel „gerne hofiert und vereinnahmt“ werde, wenn es im Wahlkampf „um die Kontinuität zwischen der Adenauer-Familie und der CDU“ gehe, habe seinen Übertritt zu den Freien Wählern sogar am besten nachvollziehen können, erzählt Sohn Stephan.

Inzwischen hat dessen Engagement für die Freien Wähler auch den einen oder anderen namhaften Unionspolitiker auf den Plan gerufen. Einer, erzählt Werhahn, habe zu ihm gesagt: „Was Sie da machen, ist aber nicht gut, Sie graben uns ja die Wähler ab.“ Da habe er nur gesagt: „Das ist zwar bedauerlich für Sie. Aber so ist das eben in der Demokratie, dass der Bessere gewählt wird.“ Wer das sein wird, darüber entscheiden die Wähler im kommenden Herbst.

Draußen ist es dunkel geworden. Der höfliche Rebell gegen Merkels Euro-Kurs muss los. Nächster Termin, gleiches Thema. Werhahn eilt hinaus auf die Straße. Jemand aus dem Lokal läuft ihm hinterher: Der Spitzenkandidat der Freien Wähler hat sein inzwischen aufgeladenes Handy samt allen Kontaktdaten in der Steckdose vergessen – in Berlin ein ziemlich gefährlicher Fauxpas für einen Bundestagsabgeordneten. Adenauers Nachkomme nimmt sein Missgeschick jedoch mit Humor. An diesem Punkt ist er ja noch nicht.