Stoppschild ignoriert, Zebrastreifen überfahren, falsch abgebogen – der Anteil der Durchfaller bei der Führerscheinprüfung steigt. Baden-Württemberger stellen sich dabei noch vergleichsweise gut an. Was ist da bloß los?

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Manchmal genügt ein kleiner Moment der Unachtsamkeit – und alles ist gelaufen. Die praktische Führerscheinprüfung wird zunehmend zum Stolperstein für Fahranfänger. Wer einmal durchfällt, nimmt es noch sportlich. Doch spätestens beim zweiten Mal kann der Traum vom Autoführerschein zum Alptraum werden. Auch selbstbewusste Jugendliche fühlen sich dann plötzlich klein.

 

Wie hoch ist die Durchfallquote bei Führerscheinprüfungen?

Bundesweit steigen seit Jahren die Durchfallquoten bei der Führerscheinprüfung für das Auto (Prüfung der Klasse B). Bei der Theorieprüfung aller Pkw-Klassen lag die Quote 2017 nach Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes bei 36,8 Prozent (plus 6,7 Prozent gegenüber 2016) – der höchste Wert seit zehn Jahren. Bei der praktischen Prüfung für den Autoführerschein fielen 28,1 Prozent der Anwärter durch (plus 3,3 Prozent gegenüber 2016). Das waren 466 089 nicht bestandene praktische Prüfungen. 2017 wurden in Deutschland insgesamt 1,82 Millionen theoretische und 1,66 Millionen praktische Fahrprüfungen abgelegt.

Wie fit sind die Prüflinge in Baden-Württemberg?

Bei der Zahl der nicht bestandenen praktischen Prüfungen liegt der Südwesten mit 24,1 Prozent an vorletzter Stelle aller 16 Länder. Nur in Hessen sind die Prüflinge noch besser. Auf Platz eins der Durchfaller steht Hamburg mit 41,6 Prozent, gefolgt von Bremen (38,8 Prozent), Sachsen-Anhalt (38,8 Prozent) und Berlin (36,1 Prozent).

Was sind die Gründe für die hohen Durchfallzahlen?

Fahrlehrer führen die erhöhten Durchfallquoten auf mehrere Gründe zurück. Nach Aussage von Dieter Quentin, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände (BVF), ist der Verkehr in Deutschland komplexer und damit die Anforderung an Fahranfängerdeutlich größer geworden. Ein weiterer Grund: die gestiegene Zahl nicht deutschsprachiger Bewerber. Diese hätten neben Sprachproblemen oft auch mit einer anderen Verkehrskultur zu kämpfen.

Sind die Prüfungsanforderungen gestiegen?

Darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Prüfung selbst sei nicht schwieriger geworden, betont Vincenzo Lucà, Sprecher des Tüv Süd, der für Bayern und Baden-Württemberg die Prüfer stellt. Dem widerspricht Jochen Klima, Vorsitzender des baden-württembergischen Fahrlehrerverbandes. „Die computergenerierten Fragebögen werden immer komplexer. Das erschwert das Auswendiglernen.“ Hinzu kommt: „Durchfallen ist für Jugendliche keine soziale Schande mehr.“

Was sagen Verkehrsexperten?

Die Experten beim Kraftfahrt-Bundesamt, Deutschen Verkehrssicherheitsrat und ADAC haben keine eindeutigen Antworten zu den möglichen Ursachen. „Wir stochern noch etwas im Nebel“, sagt Hendrik Pistor, Referatsleiter für junge Kraftfahrer beim Verkehrssicherheitsrat. Höhere Durchfallquoten sind ein internationaler Trend. Sie haben die Bundesanstalt für Straßenwesen auf den Plan gerufen, die die Zahlen nun genauer unter die Lupe nehmen will.

Welche Rolle spielt der heutige Verkehr?

„Ein Grund könnte natürlich sein, dass der Verkehr deutlich komplexer geworden ist“, sagt Hendrik Pistor vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat. Das sehen ADAC, Tüv und Fahrlehrerverbände genauso. Fahrschüler bräuchten mehr Schulung und die Fahrlehrer häufig andere pädagogische und vielleicht auch psychologische Fertigkeiten als früher, meint die Verkehrspsychologin Claudia Happe. Inwiefern Angst eine Rolle spielt, will sie anhand eines Fragebogens herausfinden, den sie gerade entwickelt.

Wie oft kann man die Führerscheinprüfung ablegen?

Wer durch die Führerscheinprüfung fällt, kann sie generell beliebig oft innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach der Anmeldung wiederholen. Inzwischen gibt es keine gesetzliche Grenze mehr, wie oft man die Prüfung wiederholen darf. Wenn allerdings die Fehlerquote bei der Theorie ständig steigt, kann der Prüfer einen Vermerk an die Zulassungsstelle weiterleiten. Die prüft dann, ob eine medizinisch-psychologische Untersuchung notwendig ist, um die Gründe für das Dauerversagen zu klären. Auch eine Zwangspause und mehr Fahrstunden sind möglich.

Wie viel kostet der Führerschein?

Für den Tüv-Sprecher Lucà könnte die steigende Durchfallquote etwas mit Zeitdruck zu tun haben. „Ein Führerschein kostet Geld. Man versucht, früh an den Schein zu kommen.“ Für Durchfaller kommen Kosten für weitere Fahrstunden dazu, eine erneute Tüv-Prüfungsgebühr (22,49 Euro) und Anmeldekosten, die die Fahrschulen berechnen. Der Fahrlehrerverband Baden-Württemberg geht in einer „Muster-Kosten-Formel“ von 2231 Euro für Ausbildung (2024 Euro für 23,4 Fahrstunden à 41,11 Euro, zwölf Sonderfahrten à 53,03 Euro) und Gebühren (207 Euro) aus.

Sind die Fahrschüler von heute dümmer als früher?

Junge Leute sind „konkurrierenden Anforderungen“ ausgesetzt, heißt es beim ADAC. Der Führerschein laufe nebenher. Er sei nicht mehr „Priorität Nummer eins auf der To-do-Liste“, erläutert Dieter Quentin. „Doch einen Führerschein macht man nicht nebenbei.“ Ist der Führerschein mit 17 zu früh? Das weisen die Experten einmütig zurück. Quentin: „17-Jährige fallen weniger durch und fahren später sicherer.“

Wie kann die hohe Durchfallquote bei Führerscheinprüfungen gesenkt werden?

Einfachere Prüfungen werde es definitiv nicht geben, betonen Fahrlehrerverbände, Tüv und Kraftfahrt-Bundesamt unisono. „Früher war man nach dreimal Durchfallen gesperrt oder musste zur medizinisch-psychologischen Untersuchung. Das ist alles abgeschafft worden“, sagt Jochen Klima. Heute könnten Bewerber innerhalb der Laufzeit ihres Führerscheinantrags beliebig oft zur Theorieprüfung gehen. „Das kostet Geld – für die Fahrschule und den Tüv.“ Umgekehrt bedeutet das aber auch: Je mehr und häufiger Führerschein-Kandidaten durch die Prüfung rasseln, umso mehr verdienen die Fahrschulen an zusätzlichen Fahrstunden und der Tüv an Gebühren.