Eine Führung über den Pragfriedhof erzählt von Menschen und ihrer letzten Ruhestätte.

S-Nord - Die Führung ist für Maurus Baldermann eine Premiere. Nicht an sich, den über Friedhöfe führt er schon seit 1998. Sondern, dass es geregnet hat. Das ist zuvor noch nie vorgekommen. Doch, und hier kommt den Besuchern der Führung über den Pragfriedhof die Beschaffenheit der Stuttgarter Friedhöfe zugute: „Hier dominiert das Grün“, wie es Baldermann ausdrückt. „Es sind Parks und keine Steinwüsten. Kultur und Natur kommen zusammen.“

 

Und so tummeln sich die Besucher an diesem durchwachsenen Tag unter den Bäumen, wenn Baldermann über die dort liegenden berühmten und weniger bekannten Toten und deren Grabstätte spricht. Der Titel der Führung lautet „Grabmale im Wandel der Zeit“ und wird vom Garten-, Friedhofs- und Forstamt organisiert und durchgeführt.

Mehr als die letzte Ruhestätte

Baldermann ist Experte auf dem Gebiet. Bevor er beim Amt anfing zu arbeiten, war er Steinmetz- und Bildhauermeister. Für ihn sind Friedhöfe mehr als die letzte Ruhestätte, er bezeichnet sie als „Zeugen ihrer Zeit“. Bei der Führung scheint es, als kenne er jedes einzelne Grab und die dazugehörige Geschichte. Die erste Station ist das Grab des Stuttgarter Architekten Max Bächer. Baldermann verweist auf den Grabstein, der in seiner Klarheit Bächers Beruf symbolisiere. „Früher aber konnte man an den Grabsteinen noch viel mehr ablesen“, sagt er. Ganze Lebensläufe habe man in die Steine gemeißelt. „Heute sind die Grabmale eher schlicht. Es gibt Baumgräber, Urnennischen und oder gar keine Steine.“ Es gibt aber auch Anrufe, die bei Baldermann eingehen, und die ihn fassungslos machen – zum Beispiel, wenn digitale Displays gewünscht werden.

Bei der Führung dürfen auch die großen Grüfte nicht fehlen. Denn zwei davon befinden sich auf dem Pragfriedhof. Die erste ist die der Familie Sauters. Das Mausoleum wurde in der Vergangenheit komplett restauriert. Die Zäune waren eingestürzt, der Sandstein musste chemisch fixiert werden. Die größte Gruft Stuttgarts aber ist die der berühmten Verlegerfamilie Hallberger. In Stuttgart gibt es insgesamt nur drei große Mausoleen. „Das mag an der schwäbischen Sparsamkeit liegen, oder daran, dass man bescheiden ist und sich nicht mit Opulenz aufdrängen möchte.“

Gräber sind mit Kies bedeckt

Auch andere kulturelle Eigenheiten sind auf dem Friedhof vorhanden. So findet man griechische Gräber, die nicht mit Blumen und Erde, sondern mit Kies bedeckt sind. Den Stein ziert ein Foto.

Der Endpunkt der Führung ist das Grab der Opernsängerin Anna Sutter. Ihre Ruhestätte ziert kein Stein, sondern ein trauernder Genius, denn „schönen Männern war Anna Sutter bekanntlich nicht abgeneigt“, sagt Baldermann. Einer ihrer Liebhaber pflegte das Grab bis zu seinem Tod, und sorgte dafür, dass es dort immer Rosen gab. „Er ist mit dem Grab alt geworden“, sagt Baldermann. Auch heute, nachdem die Grabstätte in städtischen Besitz übergegangen ist, findet sich dort Rosen.