Unter Göppingens Asphalt und Gebäuden gibt es viel Überraschendes zu entdecken. Bei einem Spaziergang durch finstere Kellergewölbe erleben die Teilnehmer einer Führung, die im Nu ausgebucht war, einen Teil der Stadthistorie hautnah.

Göppingen - Gegen diese Schwärze richten selbst 20 Taschenlampen nichts aus. Die Dunkelheit verschluckt so gut wie jeden Lichtstrahl. „Wird’s noch dunkler?“ fragt jemand. Die Stimme klingt hohl in dem alten Gewölbe. Bei dieser Stadtführung mit Gruselfaktor sind etwa zwei Dutzend Menschen hinabgestiegen in Göppingens Unterwelt. Die vier Kellergewölbe aus dem Jahr 1870, die sich unterirdisch vom Freihof-Gymnasium bis zum Rabbiner-Haus vis á vis erstrecken und früher vom Konsumverein genutzt wurden, haben beeindruckende Ausmaße. Würde man sie aneinanderreihen, wären sie 65 Meter lang, ein jedes misst 140 bis 180 Quadratmeter.

 

„Bitte bleiben Sie beisammen, ohne Licht finden Sie hier nicht mehr heraus“, warnt der Stadtführer Erwin Singer und schiebt auch gleich eine Anekdote nach: Vor Jahren war er mit dem damaligen Oberbürgermeister hier unten, um zu prüfen, ob die Örtlichkeit zu einem Jazzkeller taugen könnte, als eine von zwei Lampen runterfiel und zerbrach. „Dem OB wurde angst und bange, wir mussten uns an der Wand entlang hinaustasten.“ Singer, der lange SPD-Stadtrat war, grinst süffisant – um das zu sehen, reicht sogar das wenige Licht aus. Die Idee mit dem Jazzkeller wurde übrigens gleich ad acta gelegt. „Das wäre zu teuer geworden“, sagt Singer.

Lehrer gehen zum Feiern in den Keller

Die Katakomben von Göppingen haben nicht nur die Fantasie zahlreicher Schülergenerationen beflügelt, auch die Lehrer schienen nicht immun gegen den Reiz des Verbotenen. So erzählt Singer, der 35 Jahre lang am Freihof-Gymnasium unterrichtete, dass sich die Kollegen schon mal in den Kellern zu Festen trafen. Für die meisten Göppinger aber blieben die Gewölbe verschlossen. Auch Heinz Gropper, der einst in der Hohenstaufen-Oberschule, wie das Freihof-Gymnasium einmal hieß, die Schulbank drückte, ist zum ersten Mal im Göppinger Untergrund. Darauf hat er lange warten müssen. Der ehemalige Arzt ist mittlerweile 90 Jahre alt.

Es riecht modrig, in dem spärlichen Licht glänzen die Wände feucht. „Die Lüftungsschächte sind alle verschlossen worden“, erklärt Singer. Früher lagerten in diesen Gewölben, die an die alte Zwingermauer angebaut sind, Tausende Liter Wein und Hunderte Liter Schnaps. Die geistigen Getränke wurden durch die Lüftungsschächte nach unten „geschlaucht“.

Gespenstisches Blubbern

Begonnen hat die Führung in der Hauptstraße, im Gewölbekeller der Kreuzapotheke. Das Haus war früher eine Nobelherberge. Kaiser Karl V. stieg hier schon ab und auch Oberst Butler, einer der Mörder Wallensteins. Seit 1834 beherbergt es eine Apotheke. Auch in der Pflegstraße 2 wird den Teilnehmern der Führung ein Privatkeller geöffnet. Dort befand sich einst die Küferei Jauß. Jürgen Jauß, dessen Vorfahren die Küferei Ende des 19. Jahrhunderts errichtet haben, erinnert sich noch gut, wie unheimlich er es als Kind hier unten fand. „Auf den Fässern befanden sich Gärkolben, die haben immer geblubbert, das war gespenstisch“, erzählt er. Besonders stolz ist er auf ein Eichenfass, das als einziges noch übrig geblieben ist. Es ist das Meisterstück seines Großvaters.

Die Göppinger Unterwelt diente jedoch nicht nur als Weinlager. Im zweiten Weltkrieg suchte die Bevölkerung Schutz in ihnen. Der Jauß’sche Keller ist durch einen 100 Meter langen Gang mit dem früheren Café Pflugfelder verbunden gewesen.

Die Gleichschaltung der Bierkrüge

Endstation der Führung ist der Radkeller an der Straße nach Jebenhausen. Er gehörte der Radbrauerei. Bier lagert dort schon lange nicht mehr. Markus Rau, ein Nachfahre der Göppinger Brauerfamilie, geht mit einem Besen vorneweg, um die Spinnweben zu beseitigen. Die ausgetretenen Steinstufen führen steil hinab ins Dunkle, bei jedem Schritt knirschen Scherben unter den Füßen. Strom? Fehlanzeige. Im Schein der Taschenlampe sind zerfallene Bierfässchen zu sehen. Sogar alte Bierkrüge haben dort unten überdauert. Einige stammen noch aus der Zeit vor dem Dritten Reich, wie das Mass 16/20 erkennen lässt. Dieses war Hitler jedoch ein Dorn im Auge, wie Markus Rau erzählt. Er verfügte, dass künftig 0,8 auf den Krügen zu stehen habe – die Gleichschaltung machte noch nicht einmal vor Bierkrügen Halt.