Jutta Schöllhammer hat am Samstag zu Stuttgarter Industriebauten im Süden geführt. Vor allem die Textilindustrie war dort stark vertreten.

Stuttgart - Auch wenn der Zweite Weltkrieg einiges zerstört hat, sind die Zeichen vergangener Tage an vielen Orten Stuttgarts noch heute sichtbar. Bauwerke entlang der Straßen erzählen so manche Geschichten – zumindest für diejenigen, die mit offenen Augen durch die Stadt gehen und hin und wieder ein Geschichtsbuch zu Rate ziehen. Jutta Schöllhammer tut genau das, und verarbeitet ihre Erkenntnisse in Führungen, um ihr Wissen über die Stadt weiterzugeben.

 

„Im Stuttgarter Süden war die Textilindustrie sehr massiv ausgeprägt“, sagt sie an diesem Samstagmittag am Marienplatz. Zahlreiche Interessierte haben sich am Treffpunkt versammelt, um an ihrer Führung „Industriebauten im Stuttgarter Süden“ teilzunehmen, die im Rahmen der Reihe M22 der Markuskirche stattfindet. Vom Marienplatz aus geht es in Richtung Erwin-Schoettle-Platz, auf dem Weg wird immer wieder Halt gemacht und auf Gebäude hingewiesen, die Stuttgarter Unternehmer erbauen ließen.

Gebäude waren ausgefallene Architektur

An der Adlerstraße wird der erste Stopp eingelegt. Einst war dort der Sitz der Stuttgarter Küblerei von Wilhelm Kübler. Auch Wein sei dort gemacht worden, erklärt Jutta Schöllhammer, ebenso Äpfel und Birnen gemostet. Sie erzählt die Anekdote wie einst sturzbesoffene Ratten über die Straße torkelten – ein Spaß für die Kinder im Viertel, die die Ratten an den Schwänzen zurück in die Kanalisation warfen.

Weiter geht es über die Straße zur ehemaligen Heimat einer vergleichsweise großen Firma: die papierverarbeitende Fabrik von Eugen Lemppenau, gegründet im Jahr 1860. Am Gebäude an der Adlerstraße ist abzulesen, was weitere Bauten während der Führung ebenfalls bezeugen. Die im 19. Jahrhundert errichteten Fabrikgebäude waren nicht nur zweckmäßig sondern auch repräsentativ. „Die Gebäude waren keine Betonklötze sondern ausgefallene Architektur. Die Gebäude sollten Werbung für die Firma sein“, so Jutta Schöllhammer.

Familie Benger war eine der berühmtesten Familien

In der Umgebung waren gleich mehrere Fabriken ansässig, eine für Gardinen etwa und eine für Telegrafen. Manche Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, die jüdischen Unternehmer enteignet.

Eine der berühmtesten Familien, um die es an diesem Samstag geht, ist sicherlich die Familie Benger. Aus einem handwerklichen Betrieb entwickelte sich im 19. Jahrhundert eine Textilfabrik – zunächst unter dem Namen Wilhelm Benger Söhne und schließlich unter Benger Ribana, ein Name, der heute für die Blütezeit der südwestdeutschen Textilindustrie steht. In Stuttgart hatte Benger unterschiedliche Standorte, der im Stuttgarter Süden, an dem die Gruppe Halt macht, ist 1910 erbaut worden. Besonders erfolgreich wurden die Söhne des Gründers mit der sogenannten Reformkleidung, die aus einer Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Arzt und Zoologen Gustav Jäger entstand. Damit hatten die Bengers einen Exklusiv-Vertrag über die Herstellung von wollener Unterkleidung. Während der Weltkriege hat das Unternehmen Benger durch die Herstellung von Heereskleidung gut überlebt. Im Jahr 1943 allerdings wurde das Gebäude zerstört und immer mehr Mitarbeiter an die Front berufen, bis die Produktion zum Erliegen kam. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg ging es mit der Firma wieder bergauf. Das noch bestehende Stuttgarter Modegeschäft Maute-Benger an der Königstraße wurde von einer Benger-Tochter begründet.

Normalerweise gibt es bei den Veranstaltungen der Reihe Essen und Getränke. „Ich würde so gerne Wein ausschenken“, sagt Jutta Schöllhammer. Auf der Tour durch den Süden war das am Samstag aber leider nicht möglich. Als Entschädigung geht ein Korb mit Schokolade herum und die Einladung beim nächsten Mal wieder dabei zu sein – mit Essen und Wein.