Stuttgart - Sven Mislintat ist ein Mann klarer Worte. Das kann jeder erfahren, der mit ihm über Fußball diskutiert. Direkte und offene Kommunikation nennt das der Sportdirektor des VfB Stuttgart – und darf durchaus für sich in Anspruch nehmen, eine neue Streitkultur in den Club gebracht zu haben. „Streit ist für mich nicht per se negativ besetzt, sondern eine konstruktive Debatte“, sagt Mislintat. Im Sinne des großen Ganzen sozusagen.
Da geht es schon mal hart zur Sache, auf rein argumentativer Ebene natürlich. Und so passiert es gelegentlich, dass Mislintat mit seinem westfälischen Sturschädel beim VfB auf schwäbischen Starrsinn trifft. Mit dieser Form der Auseinandersetzung kommt nicht jeder Mitarbeiter in jedem Moment zurecht. Im Führungsstreit der Bosse hält sich der Sportdirektor aber zurück. Was nicht bedeutet, dass er keine Meinung zum öffentlich ausgetragenen Machtkampf zwischen dem Vorstandsvorsitzenden Thomas Hitzlsperger und dem Präsidenten Claus Vogt hat. Im Gegenteil, nur: Mislintat wahrt Neutralität.
Das große Thema klein halten
Wie Pellegrino Matarazzo. Trainer und Sportdirektor fahren die Linie, die Diskussionen über die umstrittene Präsidentschaftswahl beim Fußball-Bundesligisten möglichst von den Spielern fernzuhalten. Gemäß dem Motto: Das Thema mag groß für den Verein sein, für die Mannschaft soll es dagegen klein gehalten werden. „Es ist relativ einfach, diese Angelegenheit auszublenden, wenn wir uns rein auf den sportlichen Bereich fokussieren“, sagt Mislintat. Das wollen er und Matarazzo vorleben. Denn für sie geht es darum, die Voraussetzungen für Siege zu schaffen.
Mislintat erlebt dabei nicht den ersten vereinspolitischen Konflikt, der mit Getöse über die VfB-Bühne geht. Er war schon im Amt, als Wolfgang Dietrich, der den gefragten Kaderplaner vom FC Arsenal nach Stuttgart lotste, zurücktrat. Und er beobachtete wie Vogt und sein damaliger Gegenkandidat Christian Riethmüller anschließend um die Gunst der Mitglieder warben. Auch in diesen unruhigen Phasen verhielt er sich ruhig und blickte auf den Sport.
Aus unserem Plus-Angebot: Wie lange hält der Burgfrieden beim VfB?
Mit dem FC Augsburg wartet nun am Sonntag die nächste Herausforderung. Auf die Spielleistung soll sich die Führungskrise erneut nicht auswirken. Wie schon gegen RB Leipzig, als der VfB zwar mit 0:1 unterlag, dies aber an der Stärke des Gegners lag und nicht an der vermeintlichen Ablenkung durch den Streit. Matarazzo hatte das Team im Vorfeld informiert. Viel mehr tat der Chefcoach jedoch nicht, da die Berührungspunkte zwischen ihm und Vogt sowie den Spielern und dem Präsidenten nicht allzu groß sind.
„Wir befinden uns meist in einem oberflächlichen Austausch, für tiefer gehende Gespräche bleibt im Alltag wenig Zeit“, sagt Matarazzo. Zumal während der Corona-Pandemie die Kontakte eingeschränkt sind. Mislintat sieht ebenfalls keinen direkten Einfluss auf seine Arbeit. „Das müssen die beiden untereinander ausmachen und das Problem im Sinne des VfB lösen“, sagt der Sportdirektor im diplomatischen Dienst. Mit dem Gespräch zwischen Hitzlsperger und Vogt ist ein erster Schritt getan – selbst wenn die beiden von dritter Seite gedrängt werden mussten.
Der Mannschaft kein Alibi liefern
Für Mislintat ist das Zerwürfnis zwischen den Chefs damit zunächst wieder da gelandet, wo es für den Sportdirektor hingehört: „Zurück im geschlossenen Raum.“ Der 48-Jährige kann zwar ebenso sachlich wie leidenschaftlich diskutieren, aber im internen Kreis. So hält er es auch mit Hitzlsperger, Matarazzo und Markus Rüdt als Direktor Sportorganisation auf der operativen Ebene. Sie bilden die Viererbande, die den VfB sportlich steuern.
Wie eng Hitzlsperger und Mislintat zusammenarbeiten und wie stark sie sich vertrauen, hat sich zuletzt bei der Vertragsverlängerung des Sportdirektors gezeigt. Mislintat hat die Kompetenzen schriftlich verankert erhalten, die er sich vorgestellt hatte. Entscheidungen, die den Trainer oder Transfers anbelangen, trifft er nun zwar keinesfalls alleine, aber ohne ihn können sie eben auch nicht gefällt werden – unabhängig von der Person des Sportvorstands Thomas Hitzlsperger.
Lesen Sie auch: Wie die jungen Wilden von den Bullen gebremst werden
Der Ex-Nationalspieler leitet aus dieser gegenseitigen Wertschätzung jedoch nicht ab, dass ihn Mislintat oder Matarazzo öffentlich in seinem Vorhaben, Präsident werden zu wollen, unterstützen müssten. Sportdirektor und Trainer sollen sich weiter auf das Wesentliche konzentrieren und der Mannschaft möglichst keine Alibis für künftige Niederlagen liefern. Wohl wissend, dass in der Außenwahrnehmung schnell ein Zusammenhang zur Unruhe im Verein hergestellt wird, wenn der VfB die nächsten Spiele nicht gewinnen sollte.