Die 40-jährige Tarifsekretärin Nadine Boguslawski leitet vom neuen Jahr an die bundesweit zweitgrößte Geschäftsstelle der IG Metall. In Stuttgart trifft sie auf eine angesichts des Wandels und der wirtschaftlichen Fragilität verunsicherte Mitgliedschaft.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Erst „40 Jahre alt und eine Frau – vor 20 Jahren wäre das bei der IG Metall Stuttgart undenkbar gewesen“, sagt Uwe Meinhardt. „Jetzt haben wir es.“

 

Der Mann muss es wissen, denn er steht der Gewerkschaft in Stuttgart seit sechs Jahren vor. Allerdings übernimmt er zum 1. Januar die Leitung des Bereichs Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik beim Vorstand, zieht damit nach Berlin und macht Platz für eine 40-Jährige: Nadine Boguslawski – ausgerechnet in der einflussreichen und nach Wolfsburg zweitgrößten Geschäftsstelle der IG Metall. Die bisherige Tarifsekretärin aus der Bezirksleitung erobert damit eine Männerdomäne, sieht dies selbst aber nicht als Besonderheit. „Ich fühle mich nicht als Exotin in der IG Metall“, sagt die Niedersächsin. Die Gewerkschaft entwickle sich in der Hinsicht sehr gut.

Eine Frau als Vorsitzende? „Irgendwann“

Fortschritte sind nötig, denn unter den Mitgliedern machen die Frauen lediglich 18 Prozent aus – da schlummert noch ein großes Potenzial. Die Organisation selbst ist etwa weiter: 30 Prozent der politischen Sekretäre sind mittlerweile weiblich. Da habe sich in den vergangenen Jahren „sehr viel getan“, betont eine Sprecherin. „Das wird auch sehr gefördert.“ So kann die Gewerkschaft bundesweit nun 27 erste Geschäftsführerinnen (im Südwesten sechs) vorweisen und 22 zweite Geschäftsführerinnen. Insgesamt gibt es 155 Verwaltungsstellen. Dünn wird die Luft auf dem Weg zur Spitze: Die bisher einzige Bezirksleiterin ist wieder weg, und im engsten, siebenköpfigen Führungskreis gibt es neben Vize Christiane Benner nur noch eine Frau. Wann ist es Zeit für eine Vorsitzende? „Irgendwann wird es dazu kommen“, versucht sich Boguslawski in Diplomatie. „Ich schließe es nicht aus.“

Die neue Bevollmächtigte trifft auf eine Mitgliedschaft, die angesichts des Wandels bei Digitalisierung und Elektromobilität sowie der wirtschaftlichen Fragilität eher orientierungslos wirkt. Der Gewerkschaft muss es daher gelingen, den Beschäftigten die Richtung zu weisen. Von einer Krise in der Metall- und Elektroindustrie will sie aber nichts wissen: Nach 62 Rekordmonaten in Folge habe sich Daimler auf hohem Niveau etabliert, schildert Meinhardt seinen Eindruck vom Autobauer. „Die Stimmung kippt jetzt definitiv nicht.“ Auch bei den mittleren Betrieben und Zulieferern dominiere eher die Meinung „die Party ist vorbei“, aber „keinerlei Panikstimmung“, ergänzt der zweite Geschäftsführer Martin Röll. Es gebe nicht mal einen Einstellungsstopp in den Unternehmen, was ja gewöhnlich eine erste Alarmstufe wäre – und ebenso keinen Abbau von Leiharbeit. „Da ist bei uns noch nichts angekommen.“

Die Unsicherheiten kommen aus der Politik

Besonders sei, dass man es nicht mit einer ökonomischen Delle oder eine Überhitzung der Konjunktur zu tun habe, sagt Meinhardt. Die dunklen Wolken kämen vielmehr aus dem politischen Bereich. Gemeint sind der Brexit, Trumps Strafzölle, die Türkeikrise oder die italienische Misere. „Da kommen die Unsicherheiten her.“

Diese verstärken nun die Ängste vor dem Strukturwandel: In der Mitgliedschaft – besonders im Osten, wo man seit der Wiedervereinigung schon einen großen Umbruch erlebt hat – komme die Frage auf: Wo bleibe ich bei all den Veränderungen? Es gebe einen starken Wunsch, alles möge bleiben, wie es ist, berichtet Meinhardt. Es sei kein Zufall, dass die AfD in Sindelfingen mit dem Slogan „Rettet den Diesel“ werbe.

Der Nochbevollmächtigte hält eine „schwierige Botschaft“ dagegen: „Es wird sich alles ganz schnell ändern.“ Das Ziel der Gewerkschaft sei aber klar: „Mit allen durch die Transformation.“ Die Sicherung der Standorte und möglichst vieler Arbeitsplätze in der Region habe oberste Priorität. Bei den Automobilherstellern hat die IG Metall schon Vereinbarungen zur Zukunftssicherung abgeschlossen. Jetzt geht es darum, die Beschäftigung entlang der gesamten Wertschöpfungskette, vor allem im Bereich der Zulieferer, abzusichern.

Vorsorge hat also Vorrang: Der Vorsitzende Jörg Hofmann hat jüngst zudem angekündigt, dass als Nächstes die arbeitsmarktpolitischen Instrumente für schlechte Zeiten ausgebaut werden sollten. „Da wird die IG Metall sich kümmern müssen.“