Vor fünf Jahren erklärt die WHO den Corona-Ausbruch zur globalen Pandemie. Von großer Angst, entzweiten Familien bis zum Bananenbrot-Spaziergangs-Overload: Die Stadtkind-Redaktion erinnert sich ganz unterschiedlich an den März 2020.
Es war sonnig und ziemlich ruhig auf den Straßen, als am 11. März 2020 auch in Deutschland die Coronapandemie so richtig begonnen hat. Kurze Zeit später wird der Lockdown verkündet, und Bars, Clubs, Kneipen, Theater, Opernhäuser, Konzertlocations, Museen und viele andere Einrichtungen müssen schließen. Die Zeit hat Deutschland und auch Stuttgart auf eine harte Probe gestellt, die Gesellschaft entzweit und weltweit fast sieben Millionen Todesfälle verursacht, 175 000 davon in Deutschland. Wir erinnern uns in der Stadtkind-Redaktion an den ersten Lockdown und einen neuen Alltag, den man überraschenderweise auch wieder schnell vergessen hat:
Stadtkind-Leiterin Carina Kriebernig hatte großes Heimweh
Im Frühjahr 2020 war ich frisch getrennt, lebte in einer WG im Süden und ging eigentlich fast jedes Wochenende feiern. An die letzte Party vor dem Lockdown kann ich mich noch lebhaft erinnern: Martin Elbert von Kessel TV feierte seinen Geburtstag, bis die Putzlichter angingen. Diese ausschweifende Feier wurde für den Freundeskreis innerhalb der nächsten Jahre zum wehmütigen, aber auch aufbauenden Synonym für „Glück gehabt, dass wir noch einmal so schön gefeiert haben“.
Neben den ganzen Einschränkungen fand ich die Quasiunmöglichkeit der Ausreise in mein Heimatland Österreich am schlimmsten. Ich konnte meine sterbenskranke Oma nicht mehr besuchen und musste von Stuttgart aus trauern, als sie von uns ging. Es folgten noch eine Krebserkrankung und ein weiterer Todesfall in meiner Familie, den ich nur aus der Ferne betrauern konnte. Einerseits rückte man im engen Umfeld so dicht aufeinander, wie es nur ging, anderseits war das Vermissen der Freund:innen und Familie im Ausland unermesslich.
Meine Erinnerung an die Zeit sind rückblickend schwammig, ich kann mich aber an einen wunderschönen Spaziergang im Winter 2021 erinnern, als es in Stuttgart endlich mal wieder schneite. Es war bitterbösekalt, die Winterluft flimmerte, ich lief über den Schimmelhüttenweg Richtung Talkessel und alle, die mir entgegenkamen und durch den frischen Schnee stapften, strahlten über beide Ohren. Zum ersten Mal seit langer Zeit lag eine kollektive Leichtigkeit über der Stadt, die ich so nie wieder erlebt habe. Bananenbrot habe ich übrigens nie gebacken.
Stadtkind Erdem Gökalp erinnert sich an Geister im Newsroom
Vor genau fünf Jahren habe ich mich im Auge des Sturmes der Coronapandemie befunden. Ich musste trotz strengem Lockdown jeden Tag in Präsenz bei der Arbeit erscheinen, denn ich zählte als Journalist im Spätdienst der Stuttgarter Zeitungen zur kritischen Infrastruktur. An manchen Abenden war ich mutterseelenallein in einem Newsroom, der fast 100 Menschen aufnehmen kann. Aus jeder Ecke habe ich in meinem Kopf Menschen gehört, die gar nicht da waren. Wie unheimlich das immer war. Ich erinnere mich auch daran, dass ich in menschenleeren Stadtbahnen von Ost nach Möhringen zu meiner Arbeit fahren musste. Oder daran, dass ich mal nach der Arbeit mit meinem Auto in eine Polizeikontrolle geraten bin, wo ich stillschweigende Solidarität von einem Polizisten erhalten habe, der wie ich zu später Stunde noch unterwegs war.
Besonders in Erinnerung bleibt mir aber, dass ich an vielen Abenden bis Redaktionsschluss um Mitternacht mit unseren Korrespondenten in Berlin in Kontakt stand, die darauf gewartet haben, dass sich die Kanzlerin endlich mit den Ministerpräsident:innen darauf einigt, ob Schulen geschlossen und das öffentliche Leben zum Stillstand gebracht werden sollte. Jede Nachricht hatte ein unheimliches Gewicht für die Menschen im Land. Diese legendären MPKs fanden eine Zeit lang fast wöchentlich statt. Manchmal war ich fast dankbar, nach Hause zu kommen und dort eine besondere Ruhe vorzufinden, die uns durch den Lockdown ja auferzwungen wurde. Trotzdem hoffe ich, dass wir nie wieder zu so einem Leben zurückkehren müssen.
Stadtkind-Leiterin Petra Xayaphoum hat neue Hobbys entdeckt
Ich erinnere mich noch ziemlich genau an meinen letzten Termin vor dem Lockdown: Ich stand fürs Stadtmagazin „Lift“ in der ehemaligen Apotheke auf der Hohenheimer Straße, die zum mittlerweile geschlossenen Spirituosengeschäft Spirituosengalerie umgebaut worden war (und damals auch noch „Apotheke“ hieß), und habe Sommelier Philipp Berg interviewt. Und zwar zum Thema Foodpairing bei Grillgerichten: Was passt zu Fisch, was passt zu Muscheln, was zu rotem, was zum weißen Fleisch? Der Text erschien zwar, war aber wie so vieles komplett unbrauchbar, weil natürlich erst mal lange niemand mehr mit Freund:innen grillen durfte.
Es gibt noch eine ganze Sammlung an Fotografien von Gerald Ulmann zu diesem Termin, von dem wir damals noch nicht wussten, dass es für eine sehr lange Zeit unser aller letzter Vor-Ort-Termin sein würde. Am nächsten Tag war dann für eine lange Zeit erst mal Kurzarbeit angesagt.
Das wiederum bescherte mir viele neue Hobbys, die ich allesamt heute noch pflege: Kochen, Gärtnern, Zocken und Bouldern. Kontaktfreie Sportarten wie Klettern und Bouldern waren mit entsprechendem Hygienekonzept nämlich relativ schnell wieder möglich, mein Fitnessstudio hatte hingegen geschlossen.
Skurrile Erinnerungen an die Pandemie habe ich auch noch einige: eine Fahrt in den Schwarzwald, um sich im Spritzenhaus als eine der Ersten impfen zu lassen, Sitzkonzerte auf der Freilichtbühne am Killesberg und Weihnachtsfeiern über Videokonferenz.
Stadtkind Tanja Simoncev verfiel dem Bananenbrot, feierte den Bro-Fist und bekam ihr Baby
Ganz ehrlich – meine Erinnerungen an Corona sind ganz schön verblasst und/oder lückenhaft, was eventuell an der Verdrängung des Ganzen liegt oder an meinem matschigen Mama-Hirn. Und da wären wir auch schon beim Thema. Ich habe während Corona ein Baby bekommen. OMG, selbst das hätte ich fast vergessen oder anders: Die Baby-Bubble lässt einen Zeit und Raum vergessen. Das war Ende 2021 und erklärt wahrscheinlich so einiges. Die Situation im Kreißsaal war okay, mein Partner durfte dabei sein – da habe ich auch schon ganz andere Geschichten gehört. Aber meine Mutter zum Beispiel durfte mich nicht besuchen kommen, um den Kleinen und nach mir zu sehen. Das war echt hart.
Ansonsten kann ich mich auch noch an einen supersonnigen November erinnern, einige lange Spaziergänge, auf denen ich die Stadt noch mal ganz neu für mich entdeckt habe, an Begrüßungen mit Bro-Fist, die kaum lässiger und angenehmer hätten sein können (warum macht das eigentlich niemand mehr?!) – und an unendlich viel Bananenbrot, das ich gebacken habe. Ja, ich war eine von diesen Menschen, die dem Backpulver hinterhergejagt sind. War das crazy. Aber es hat auch Spaß gemacht. Richtig Spaß. Und das kann man nicht von vielen Dingen in dieser Zeit behaupten. Irgendwann war es ja auch normal, mit der Maske überall hinzugehen, sich mit dem QR-Code einzuloggen, um dann am Tisch die Maske wieder abzunehmen. Schräg, aber damals eben: The new normal!
Mir haben aber vor allem die Jugendlichen richtig leidgetan, keine Clubs, keine Partys, kein Ausgleich. Klar, mit Social Media ist jetzt eh alles anders, aber sich mal die Seele aus dem Laib tanzen, im Dunkel der Clubs, zwischen Fremden, die zu Freund:innen werden – das muss doch gefehlt haben oder zumindest hat es dazu beigetragen, dass Clubbing für die Kids nicht mehr so wichtig und es halt auch nie geworden ist. Schade!