Fünf Jahre Fridays for Future Keine Massenproteste mehr fürs Klima

Engagieren sich in der Ortsgruppe von Fridays for Future in Stuttgart: der Schüler Oskar Otto und die Studentin Ajla Salatovic. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Vor fünf Jahren hat Greta Thunberg erstmals die Schule geschwänzt, um für Klimaschutz zu protestieren. Nun ist sie erwachsen – und zu Streiks von Fridays for Future kommen viel weniger. In Stuttgart sieht man dies nicht als Problem an.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Ein kleines Klingelschild am Stuttgarter Hölderlinplatz. Im ersten Obergeschoss hinter einer nicht richtig schließenden Tür ist ein Raum mit zwei Sofas, zwei Tischen und einer Menge Fotos und Plakaten an der Wand. „All cows are beautiful“ (Alle Kühe sind schön) steht auf einem, „system change not climate change“ (Systemwandel statt Klimawandel) auf einem anderen. Von hier aus koordiniert die Stuttgarter Ortsgruppe von Fridays for Future (FFF) ihre Arbeit. An jenem Freitag sind Ajla Salatovic (21) und Oskar Otto (17) vor Ort, um über fünf Jahre FFF zu sprechen.

 

Greta Thunberg als erstes „greifbares Frauenvorbild“

Als Greta Thunberg sich am 20. August 2018 erstmals mit ihrem Schild „Skolstrejk för klimatet“ vor den Schwedischen Reichstag setzte, war Oskar Otto zwölf. „Ich war komplett begeistert“, sagt er. Durch den Protest der Schwedin fing auch er an, sich mit dem Klima zu beschäftigen. Er ging zu Streiks, zunächst mit Klassenkameraden, später auch alleine. Inzwischen ist er im Organisationsteam der Stuttgarter Ortsgruppe. Ihn treibt vor allem um, dass immer noch Kohle gefördert wird, um daraus Energie zu gewinnen. Und dass der deutsche Verkehrssektor und Bundesminister Volker Wissing (FDP) Jahr für Jahr die Emissionsziele verfehlen, die eigentlich mal verbindlich festgehalten wurden.

Ajla Salatovic sagt, dass sie bis zum Bekanntwerden von Greta Thunberg lediglich mal am Rande im Geografie- oder Biounterricht etwas übers Klima gelernt habe, „durch FFF war die Klimakrise plötzlich greifbar“, sagt sie. „Und ich fand Greta Thunberg sehr mutig. Sich da alleine hinzustellen, das war beeindruckend.“ Die Schwedin sei ihr erstes „greifbares Frauenvorbild“ gewesen.

Vorrangig junge Frauen engagiert

Doch wie hat ein 15-jähriges Mädchen in Stockholm mit einem Schild in der Hand so viele Menschen mobilisieren können? Immerhin sind vor allem im Jahr 2019 Millionen mit Fridays for Future auf die Straße gegangen.

Witold Mucha und Anna Soßdorf haben genau zu dieser Frage geforscht sowie Aufsätze in Fachzeitschriften veröffentlicht. Er ist Politikwissenschaftler an der Uni Düsseldorf, sie ist Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin.

Ein Grund für den Erfolg von FFF sei Greta Thunberg selbst, sagt Anna Soßdorf. Als junge Frau habe sie eben nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ begeistert, die sonst auf Demos gingen, also mittelalte, gebildete Männer, sondern zumindest anfangs vorrangig junge Frauen. Bis heute seien die bekanntesten Persönlichkeiten bei FFF jung und weiblich: Luisa Neubauer (27) etwa oder Carla Reemtsma (25). Auch sei Greta Thunberg stark und energisch aufgetreten, etwa mit dem Satz vor dem UN-Klimagipfel 2019 in Richtung der Politiker: „How dare you?“, also: Wie könnt ihr nur wagen? Witold Mucha sieht zudem in dem „Schuleschwänzen“ als neue Protestform einen Erfolgsfaktor. FFF agiere weniger provokant als die Letzte Generation und habe eine einfache Forderung, also: Haltet euch an das Pariser Klimaschutzabkommen. Auch die Zeit habe gepasst: Es gab 2018 und 2019 wenige andere Krisen; kein Corona, kein Ukraine-Krieg, auch die Migration ließ gerade eher wieder nach.

Kooperation mit Verdi

Fragt man Ajla Salatovic und Oskar Otto, was die größten Erfolge waren, nennen sie das gewachsene Bewusstsein für die Klimakrise. Auch dass sich bei der Bundestagswahl 2021 so gut wie alle Parteien das 1,5-Grad-Ziel ins Programm geschrieben hatten, sehen sie als Erfolg. Und das Urteil vom Bundesverfassungsgericht 2021, als Richter bestätigten, dass das deutsche Klimaschutzgesetz von 2019 in Teilen nicht mit den Grundrechten vereinbar war.

Fünf Jahre nach dem ersten Protest bekommt FFF jedoch nicht mehr die Millionen Menschen aus den Anfangszeiten auf die Straße, beim letzten globalen Klimastreik im März waren es in Stuttgart laut Polizei 2000 Menschen, in Hamburg 5500. „So wenige sind das nicht, wenn man bedenkt, dass wir seit fünf Jahren die gleiche Forderung vortragen“, betont Otto. Generell bilden die Massenproteste aber auch nicht mehr die Strategie ab. Einerseits schreibt sich FFF zunehmend Klimagerechtigkeit auf die Fahnen. Denn im Globalen Süden leiden die Menschen schon heute mehr unter der Klimaerwärmung als in Mittel- oder Nordeuropa. Andererseits setzt FFF mehr auf das Bilden von Mehrheiten und Kooperationen mit anderen Initiativen, Organisationen und Politikern. Es gehe nun darum, die Transformation voranzutreiben, sagt Oskar Otto.

Frank Nopper bekam eine Schultüte von FFF

Ende Juli hatte FFF in Stuttgart etwa zusammen mit der Mobilitätskampagne 365 Stuttgart protestiert, beim globalen Klimastreik im März mit der Gewerkschaft Verdi. „Wir denken Kämpfe zusammen: Arbeitskampf ist auch Klimakampf“, erklärt Ajla Salatovic. Ohne gute Löhne für etwa Fahrer von Straßenbahnen und Bussen könne man auch keinen Klimaschutz erreichen. Zudem arbeiten die Ortsgruppen von FFF mehr auf lokaler Ebene: Als Frank Nopper im Februar 2021 zum neuen OB von Stuttgart gewählt wurde, überreichte FFF ihm eine Schultüte, gefüllt mit Infomaterial über die Klimakrise. „Aktuell konzentrieren wir uns auf den Doppelhaushalt, der nach der Sommerpause beschlossen wird; darin wird über die Zukunft Stuttgarts entschieden“, erklärt Salatovic.

Dass es Fridays for Future fünf Jahre nach dem ersten Protest immer noch gibt, betrachtet Witold Mucha als Besonderheit. Das liege nicht zuletzt daran, dass bei FFF vor allem junge Menschen aktiv seien, die sich sehr erfolgreich Kommunikationskanäle, eine funktionierende Struktur sowie ein Netzwerk aufgebaut hätten. „FFF sind professionell geworden“, betont Anna Soßdorf.

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