Oscar Pistorius muss wegen fahrlässiger Tötung für fünf Jahre in Haft. Seine Familie und die Eltern der getöteten Reeva Steenkamp begrüßen das Strafmaß. Außerhalb des Gerichtssaals gibt es aber harsche Kritik.

Pretoria - Bis zum letzten Moment behält der Verurteilte noch den Sinn fürs Wesentliche. Oscar Pistorius drückt seinem Onkel Arnold noch schnell einen Gegenstand in die Hand: seine wertvolle Armbanduhr, die den Schließern des Gefängnisses nicht in die Hände fallen soll. Dann steigt der beinamputierte Ausnahmesportler die Treppen zum Untergeschoss des Gerichtsgebäudes in Pretoria hinab, wo sich die Zellen befinden. Nachdem Oscar Pistorius acht Monate lang die Schlagzeilen nicht nur der Boulevardpresse beherrscht hat, wird es zumindest für eine zweistellige Zahl von Monaten das letzte Mal sein, dass die Welt den gefallenen Olympioniken zu Gesicht bekommt.

 

Kurz vor seinem Abstieg ins Verlies hatte die Richterin Thokozile Masipa das Strafmaß für den bereits im September wegen Totschlags verurteilten Läufer bekannt gegeben: fünf Jahre Gefängnis, ohne Bewährung. Eine von der Richterin mitgelieferte Bestimmung aus dem südafrikanischen Strafgesetzbuch sieht allerdings vor, dass der Verurteilte schon wesentlich früher – und unter Auflagen – aus der Haft freikommen kann. Ob das in seinem Fall bereits nach zehn oder erst nach 20 Monaten möglich ist, darüber streiten sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung noch.

Alle sind mucksmäuschenstill

Die Verkündung des Strafmaßes wurde im Gerichtssaal mucksmäuschenstill zur Kenntnis genommen – weder mit Rufen der Enttäuschung, noch mit Seufzern der Erleichterung. Nur der Verurteilte selbst wischte sich verhohlen ein paar Tränen aus den Augen. Offenbar haben alle mit einer solchen Entscheidung gerechnet. Weder die Verteidigung noch die Staatsanwaltschaft melden unmittelbar Berufung an. Sie haben allerdings noch zwei Wochen Zeit, einen derartigen Schritt bekannt zu geben. Es gebe einen gewissen „Appetit“ auf eine Revision, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Nathi Mncube.

Doch der Hunger gilt weniger dem Strafmaß, als dem Umstand, dass die Richterin Masipa bereits im September die Anklage wegen Mordes abgewiesen und den „schnellsten Läufer der Welt ohne Beine“, wie der 27-Jährige oft genannt wird, lediglich des Totschlags für schuldig befunden hatte. Dass sie Pistorius jetzt wenigstens zu einer Haftstrafe verdonnerte und nicht dem Plädoyer der Verteidigung auf bloßen Hausarrest mit sozialer Arbeit folgte, sei immerhin ein „Trost“, sagt Mncube.

Die Familien Pistorius und Steenkamp akzeptieren das Urteil

  Dagegen scheint June Steenkamp gar keinen Appetit auf eine Revision und Fortsetzung des Verfahrens zu haben. Sie sei froh, dass die monatelange Tortur endlich zu Ende sei, sagt die Mutter der getöteten Reeva. Schließlich würde selbst eine härtere Strafe ihre Tochter nicht zurückbringen. Die Familie akzeptiere das Strafmaß und erwäge keine Berufung.

Der Sprecher der Pistorius-Familie nutzt die Gelegenheit zu einem Angriff auf den Staatsanwalt Gerrie Nel: Bei seinem Versuch, eine Verurteilung wegen Mordes zu erwirken, sei es dem Ankläger gar nicht mehr um die Wahrheit gegangen.

Die Frauenliga will Revision

Die ganz in Grün und Schwarz gekleideten Frauen, die auch an diesem Tag wieder in nächster Nähe der Familie Steenkamp sitzen, sind allerdings anderer Meinung. Dass Oscar Pistorius bereits nach wenigen Monaten wieder aus der Haft entlassen werden könnte, während Reeva Steenkamp „für immer weg ist“, sei ausgesprochen enttäuschend, gibt die Frauenliga des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) bekannt. Eine Revision des Verfahrens sei unbedingt nötig.  

Dabei hatte sich die Richterin Masipa nur alle erdenkliche Mühe gegeben. Eine Stunde lang begründete sie am Dienstagmorgen ihre in aller Welt mit Spannung erwartete und in vielen Ländern live im Fernsehen übertragene Entscheidung. Ausgewogen und fair müsse das Strafmaß sein, sonst würde die Gesellschaft ihr Vertrauen in die Gerichtsbarkeit verlieren. Bei ihrer Entscheidung habe sie sowohl das Interesse der Gesellschaft und die von Pistorius an den Tag gelegte grobe Nachlässigkeit, als auch dessen Behinderung und seine bisherige Straffreiheit berücksichtigt.

Die Internetgemeinde teilt die Auffassung der Richterin nicht

Die 67-jährige Richterin vertrat bereits in ihrem Mitte September ergangenen Urteil die Überzeugung, dass Pistorius in jener verhängnisvollen Nacht im Februar des vergangenen Jahres seine Freundin tatsächlich aus Versehen und nicht mit Absicht erschossen hatte. Doch dass er nicht weniger als vier Schüsse in eine winzige Toilettenzelle abgab – selbst wenn sich darin tatsächlich ein Einbrecher versteckt habe –, sei ein schweres, durch nichts zu rechtfertigendes Vergehen gewesen.

Das Bombardement der Tweets im Internet legt nahe, dass eine Mehrheit der Südafrikaner Masipas Auffassung nicht teilt. Es sei nur dem Umstand zuzuschreiben, dass es sich um einen berühmten, reichen, weißen Mann mit hervorragenden Anwälten handelt, dass Pistorius nicht des Mordes verurteilt wurde, davon sind viele Netzwerker überzeugt.

Einzelzelle im behindertengerechten Gefängnistrakt

Dem Verurteilten selbst blieb das Konzert der Empörten erspart. Außer auf seine Uhr muss Pistorius von sofort an auch auf sein Smartphone verzichten. Außerdem bleibt er – selbst wenn seine Strafe nach einiger Zeit in Hausarrest umgewandelt würde – fünf Jahre lang von den Paralympics ausgeschlossen, wie das Internationale Paralympische Komitee mitteilte.

Bereits am frühen Nachmittag wurde das einstige Sportidol mit einem gepanzerten Polizeifahrzeug in das nur zwei Kilometer entfernte Kgosi-Mampuru-Gefängnis gebracht. Dort wird er eine Einzelzelle im behindertengerechten Krankenhaustrakt beziehen – mit eigener Toilette, Bad und Frottee-Handtuch. Nur eine der fünf anderen Zellen ist derzeit belegt. Der tschechische Gangsterboss Radovan Krejcir, dem ein Verfahren wegen Entführung, Erpressung und versuchtem Mord bevorsteht, wartet auf Gemeinschaft.