Online-Ressortleiter Tobias Köhler hat sein iPhone ausgeschaltet und im Schrank eingeschlossen. Freitagnachmittag beschließt er: genug gejammert! Die Bilanz des Selbstversuchs, sich ohne Smartphone durchzuschlagen.

Stuttgart - Freitagmittag, 14 Uhr.

 

Ganz ohne Umschweife: die nackten Fakten. Ich habe diese Woche...

...elf Kurznachrichten erhalten (mangels Absender überwiegend ignoriert).

...sechs Kurznachrichten geschrieben, was pro Stück ca. fünf bis acht Minuten gedauert hat (weil zu doof, T9-Texterkennung zu nutzen, die aus "Tobias" immer "Stöbic" macht. Aber nur, weil ich mich vertippe).

...acht Anrufe erhalten (drei verpasst, zwei aus Versehen weggedrückt).

...vier Mal selbst telefoniert (einmal mit einer freundlichen, aber mit völlig unbekannten türkischen Familie, weil verwählt).

...ungefähr 749 dumme Kein-Smartphone-Witze über mich ergehen lassen müssen.

...ungefähr 874 noch viel dümmere Kein-Smartphone-Witze selbst gemacht.

...mindestens 56 Stunden netto mit Lamentieren, Weltschmerz und Herumjammern verbracht.

...festgestellt, dass ich der größte Jammerlappen im Onlineressort bin, aber nur mit ganz knappem Vorsprung vor Anja (selber kochen), Rebecca (täglich Sport) und Uli (nur mit dem Rad fahren).

...vor lauter Motzen gar nicht gemerkt, dass mir mein iPhone gegen Ende der Woche gar nicht mehr arg gefehlt hat. Und ich am Ende ganz ohne Handy durch die Gegend gelaufen bin.

...die Erkenntnis gewonnen, dass ich niemals, never, jamais wieder mit einem guten, alten Tastentelefon auskommen wollte. Aber vielleicht mit ein bisschen weniger Smartphone (aber wirklich nur ein bisschen).

Ich werde, ganz sicher, am Samstag um 0.01 Uhr mein Smartphone anwerfen. Kurz die Apps aktualisieren, einmal über die eingelaufenen Whatsapp-Nachrichten schauen - und das Ding gleich wieder weglegen. Weil ich das jetzt kann.

Am Montag die Bilanz der Aktion im Lokalteil der (gedruckten) Stuttgarter Zeitung - und um 5.10 Uhr und 5.35 Uhr, 8.10 Uhr und 8.35 Uhr auf Antenne 1.

Und hier gibt's zum Nachhören, was bisher geschah auf Antenne 1:

Freitagmorgen, 6 Uhr.

Als das Nokia am Donnerstagabend gegen 22 Uhr plötzlich ausgeht, zucke ich nicht mal.

Weil meine Mitmenschen unisono von der fabelhaften Akkuleistung meines Dinophones geschwärmt hatten, habe ich mich um so etwas Banales wie die Stromversorgung die letzten Tage nicht gekümmert.

Ich bin kein bisschen geläutert

Und was soll ich sagen: Es kümmert mich gar nicht, dass das Ding plötzlich nimmer funktioniert.

Bevor meine Kollegen jetzt triumphierend aus dem Schrank springen (was auch immer sie da drin gemacht haben mögen): Nein, ich bin nicht geläutert. Kein bisschen. Null. Naja, fast null.

Ich verspreche euch: Am Samstag, 0 Uhr, werde ich mein iPhone anwerfen, vermutlich erst einmal 30 Apps updaten und dann alle Icons unabhängig von deren Funktion drücken. Einfach, weil ich es (wieder) kann.

Na gut, ich bin ein kleines bisschen geläutert

Aber eines gebe ich schon zu: wenn man so am Hans-im-Glück-Brunnen sitzt, ein bisschen mit Freunden redet und sich eines lau(nig)en Abends erfreut, geht es auch ganz gut ohne dauernd auf das Smartphone zu gucken.

Ausnahme: ich bin mit dem Kollegen H. unterwegs und das Schicksal hat uns an einen Tisch mit Doppelkennzeichen-Touristen verschlagen, die sich in einem schwäbischen Kryptodialekt abwechselnd über die Wunder der Großstadt und das abenteuerliche Leben bei der Freiwilligen Feuerwehr Hintertupfingen unterhalten. Weil selbst wir dann zu gut erzogen sind, um mit den Augen zu rollen und offen zu thematisieren, dass die Herrschaften doch sicher in Kürze die Kühe von der Weide treiben müssen und ergo ein rascher Aufbruch empfehlenswert wäre, tauschen wir unsere teuflischen Gedanken Auge in Auge via iPhone aus. Ja, Großstädter - oder die, die es gerne wären - können sehr grausam sein. ;-)

Der Countdown läuft

Also los, die Sonne geht gerade auf, die Vögel zwitschern, die dritte Tasse Kaffee dampft vor mir: den letzten Tag kriegen wir auch noch irgendwie rum.

Blöd nur, dass ich das Nokia-Ladegerät im Büro liegen lassen habe.

Tag 4: Die Arbeit erledigt sich von selbst

Donnerstagnachmittag, 14 Uhr.

Ich sag's ja nur ungern, aber ich beginne die eine oder andere Nebenwirkung der Smartphonelosigkeit zu genießen. Während ich nämlich heute Morgen in irgendeiner ewigwährenden Besprechung versauerte, lief eine Sache in diesem Internet (Details verrate ich an dieser Stelle keine) ein bisschen unrund. Normalerweise hätte ich die Mail, die von höchster Stelle dazu erging, während der Konferenz gelesen, hätte mich wichtigtuerisch um die Angelegenheit gekümmert und eine ganze Menge Arbeit damit gehabt.

So dagegen kam ich nach Stunden zurück an meinen Schreibtisch, sah die Nummern der Protagonisten auf meiner Anrufliste, las die entsprechenden Mails in meinem Posteingang - und siehe da: bevor ich auch nur von der Chose wusste, hatten die Kollegen sie längst erledigt. Ein Traum!

Die Rückschläge kommen garantiert

Natürlich gibt es auch Rückschläge. Der härteste ereignete sich gestern Nachmittag als ich in Stuttgart-City unterwegs war. Hatte einen Termin mit einer netten kleinen Designagentur ausgemacht, ein paar Ideen besprechen. Das Problem: der Termin samt aller Details (vor allem der Adresse) stand in meinem Outlook-Kalender. Wie es sich gehört. Nur hatte ich auf den keinen Zugriff. Und die Telefonnummer wusste ich natürlich auch nicht auswendig.

Glücklicherweise stapeln sich gerade in den Hauseingängen der Stadt die - schön in Kunststofffolie eingeschweisten und wochenlang ungenutzten - neuen Telefonbücher. Und just im Moment der größten Verzweiflung ging ich an so einem Stapel vorbei. Der Rest war dann nicht mehr so schwierig (und höchstens ein ganz, ganz, ganz kleines bisschen illegal): Folie aufgerissen, Telefonbuch raus, Adresse nachgeschlagen. Bingo. Fünf Minuten Verspätung sind gerade noch in Ordnung...

Und jetzt noch ein kurzer Werbeblock

Oh, und now for something completely different: die Kollegen von Antenne 1 haben ein herzerweichende Geschichte über unser kleines Experiement auf ihrer Website veröffentlich - nachzulesen hier (vielen Dank an David Pegrisch). Außerdem gibt's das Finale unserer "Besser leben"-Aktion am Freitag und am Montag um 5.10 Uhr und 5.35 Uhr, 8.10 Uhr und 8.35 Uhr auf Antenne 1.

Donnerstagmorgen, 6 Uhr.

Alle wollen es sehen. "Los, zeig' mal her!", "Das ist ja süß!" "Vor zehn Jahren hatte ich sowas auch mal!" Ja, plötzlich ist das Nokia-Tipperle ein kleiner Star. Schließlich ist es auf der Digital Night des Social Media Club Stuttgart, zu der sich am Mittwochabend 400 Digitalmenschen aus der ganzen Region im Mercedes-Benz-Museum zum Tête à Tête getroffen haben, ein echter Exot. Und offenbar haben schon ein paar Leute von ihm gehört. Der Gesprächsstoff ist also gesichert.

Der Kollege H. etwa erzählt mir, dass im Landesbüro der Deutschen Presseagentur (dpa) in Stuttgart den ganzen Tag Telefon und Internet ausgefallen seien - und die Redakteure nur über UMTS-Verbindung arbeiten konnten. Ich versichere ihm, dass das natürlich schlimm sei - aber ganz sicher nicht so schlimm wie eine Woche ohne Smartphone. Schließlich habe ich nicht einmal eine mobile Datenverbindung zur Verfügung.

Ich snacke und schnacke - die anderen arbeiten

Weshalb - zu meinem größten Bedauern, versteht sich - meine Kollegen Uli und Jörg die Berichterstattung von der Digital Night übernehmen müssen, während ich mich notgedrungen dem Smalltank und den Schnittchen widme. Snacken und Schnacken, ein tolles Konzept.

Überflüssig zu sagen, dass ich im Gegenzug ungefähr 250 "Er ist offline"-Späße über mich ergehen lassen muss. Besonders subtil macht das Herr T., der mir freundlichst lächelnd einen Zettel mit einem privilegierten Zugangscode fürs örtliche Wlan überreicht. Das ist ähnlich hilfreich, als hätte er mir einen Ledersattel für ein Rennpferd oder das Triebwerk einer Mondrakete in die Hand gedrückt, aber ich lächle verbissen freundlich zurück.

Hey, ihr seid doch alle Nerds!

Ohne Smartphone beim Social-Media-Gipfel ist natürlich ein Witz. Ungefähr so, wie wenn ich ohne Brille ins Kino ginge. Andererseits... Ich kann den Abend genießen, ohne wie all die anderen Nerds pausenlos etwas Lustiges, Geistreiches oder Hintersinniges via Twitter verbreiten zu müssen. Das ist durchaus entspannend.

Noch entspannender ist nur die SMS, die mich begleitet von diesem wunderbaren 90er-Jahre-Klingelton gegen 20 Uhr erreicht: "Hallo Tobias, Büchlen ist da, bringe es morgen mit. Gruß." Das bedeutet nämlich, dass mein "Ich habe kein iPhone, deshalb schreibe ich alles, was ich mir merken muss, von Hand auf"-Notizbuch im Dienstwagen des Kollegen W. aufgetaucht ist. Nachdem es seit dem gemeinsamen Arbeitsessen verschwunden war, war ich latent in Panik - schließlich stellt das Ding die letzte verbliebene Verbindung zwischen mir und meinem desolaten Gedächtnis dar.

Tag 3: Die Großmutter von Siri

Mittwochmittag, 15 Uhr.

So ganz lässt sich die - vermutlich in meinem Erbgut verankerte - Gadget-Protzerei selbst in dieser Woche nicht unterdrücken. Auch wenn es mit dem Pleistozän-Handy eigentlich nichts anzugeben gibt.

Und so sitze ich im Büro meines Chefs und demonstriere ihm mit dem Stolz des Digital-Trabbi-Besitzers jene Funktion meines Tastenhandys, die ich eben entdeckt habe: die "Sprechende Uhr". "Es ist 11 Uhr siebenundvierzig" sagt eine Frauenstimme, gegen die sich R2D2 lebensecht anhört. Der Chefredakteur lächelt nur mitleidigt und sagt: "Glückwunsch, Sie haben die Großmutter von Siri gefunden!"

Eine Woche voller Spott und Häme

Ja, diese Woche steckt voller Spott und Häme. So macht sich der Kollege F. auf Facebook darüber lustig, dass ich heute Abend zum großen Sommertreffen der Stuttgarter Social-Media-Szene ins Mercedes-Museum gehe. Vermutlich als einziger Teilnehmer ohne Smartphone und Tablet-PC. Weshalb er unter einem Bild von ca. zwei Dutzend Smartphones (siehe oben) postet: "Ich bin ja ein guter Mensch. Deshalb werde ich dem Tobias heute Abend auch ein paar Smartphones mitbringen, er hat ja gerade keines." Dürfte ich natürlich eh nicht nutzen, aber vielleicht nehme ich einfach eine Schiefertafel mit, auf die ich meine Bemerkungen kritzle, wenn ich schon nicht twittern darf.

Selbst meine HNO-Praxis ruft publikumswirksam bei den Kollegen im Newsroom an. Weil - wie die Kollegen feixend ausrichten - die Sprechstundenhilfe im Radio gehört hätte, dass ich gerade nicht auf dem Handy zu erreichen sei.

Tag Nummer drei verläuft desolat

Reden wir also nicht drumherum: Tag Nummero drei ohne Smartphone verläuft desolat. Ich mag nicht mehr.

Die Wende bringt eine fast zweieinhalbstündige Besprechung, als Mittagessen in der Innenstadt getarnt. Während der Kollege zwischen Diskussion und Dessert regelmäßig auf sein iPhone schaut, bleibt mein Nokia die ganze Zeit unberührt. Und auch wenn ich das nur ungern zugebe: so ganz unentspannend ist das ja nicht...

Mittwochmorgen, 6 Uhr.

Während ich gerade irgendeine Geschichte vom Pferd beziehungsweise vom Smartphone erzähle, reißt Carolin Seifert neben mir den Arm hoch. Ich höre sofort auf zu sprechen und frage, ob ich etwas falsch gemacht habe. "Neeeeein", versichert sie mir, das sei nur ein Signal für den Kollegen Ostermann auf der anderen Seite des Tisches gewesen. Okay, Radiomachen ist für einen Onlineredakteur ein bisschen gewöhnungsbedürftig - aber überaus amüsant und spannend.

Mein Selbstversuch lohnt sich schon alleine deshalb, weil es mich dadurch ganz unverhofft und ungeplant ins Antenne-1-Studio verschlagen hat. Ansonsten sehen wir die Radiokollegen ja nur in der Pressehaus-Kantine.

Ostermann und die Morgencrew (die in diesem Fall eben aus Carolin Seifert besteht) machen jeden Morgen von 4.55 bis 9.55 Uhr Frühstücksradio auf Antenne 1. Und schon fühlt man sich als Onliner - ansonsten der Erste morgens in der Redaktion - mit Dienstbeginn 7 Uhr geradezu als Langschläfer. 

Tiefschürfende Fachsimpeleien zweier Experten

Ich bin seit drei Tagen ohne Smartphone, Oliver Ostermann hat überhaupt erst seit einer Woche eines - und beide sind wir unglücklich. Doch statt einfach zu tauschen, ergehen wir uns in tiefschürfenden Fachsimpeleien. Er ist von den ständig aufpoppenden Nachrichten genervt, ich vom Ausbleiben der selben. Er findet die Rumtoucherei auf dem Display ätzend und wünscht sich die Tasten zurück, mir geht es umgekehrt.

Einig sind wir uns im Prinzip nur, dass in den 80er-Jahren (damals waren wir beide jung, heute sind wir beide 40) alles besser war - weil man da noch Münzfernsprecher und Zehn-Pfennig-Stücke hatte. Unklar, was von beidem wir heute mehr vermissen.

Off-Topic: der "Yps"-Solarzeppelin

Am meisten fehlt - um mal kurz das Thema zu wechseln - aus den 80er-Jahren natürlich "Yps" - aber seit dem vierteljährichen Remake (auf das meine Kolleginnen wohl gut hätten verzichten können, schließlich liegt der der aufgeblasene "Yps"-Solarzeppelin seit Wochen in ihrem Büro) ist der Schmerz ein bisschen besser zu ertragen.

Aber natürlich fehlt mir "Yps" nicht so sehr, wie mein Smartphone. Und dabei habe ich noch nicht einmal ganz die Hälfte der Zeit hinter mir... 

Tag 2: Ein bisschen mehr Gelassenheit, bitte!

Dienstagmittag, 14.30 Uhr.

Wenn ich den Newsroom betrete, behandeln mich die Kollegen, als sei ich gerade von einer sehr langen, sehr schweren Krankheit genesen. "Heute etwas besser?", fragt die Kollegin E. einfühlsam. Ich knalle zur Antwort mein Nokia auf den Tisch. Das Ding, das muss man ihm lassen, ist ungefähr 200 Mal stabiler als jedes iPhone oder Android-Smartphone. Kaum zu hoffen, dass es vor Ende des Versuchs seinen Geist aufgibt.

Tatsächlich ist der Groll vom Vortag aber einer gewissen Abgestumpftheit gewichen. Die meisten Kollegen haben sich bereits gestern auf meiner Facebook-Pinnwand ausgetobt, da ist nicht mehr viel humoristischer Nachschlag zu erwarten. Mein Handy gibt ohnehin keinen Mucks von sich - kein Wunder, habe ich doch jahrelang darauf hingewiesen, dass ich am besten per Mail zu erreichen bin. Da sind weder SMS noch Anrufe zu erwarten.

Der Kollege hält mir sein neues iPhone unter die Nase

Kurze Gefühlsaufwallung, als mir Kollege P., den ich seit Wochen nicht gesehen habe, in der Kantine sein nagelneues iPhone unter die Nase hält und mir lang und breit erzählt, dass er das Ding eigentlich gar nicht brauche, er den ganzen Hype nicht verstehe und überhaupt. Erwäge kurz, ihm das Gerät aus der Hand zu reißen und davon zu rennen. Entschließe mich dann aber aus wirtschaftlichen Gründen meinen Job nicht zu gefährden und lächle ihn nur dümmlich an.

Vermutlich zum ersten Mal seit der Jahrtausendwende habe ich das Telefon erst gar nicht mit zum Essen genommen. Außer der Uhrzeit würde es ja doch nichts anzeigen.

Hoppla, ich bin im Radio!

Das iPhone hätte jetzt ein Mail von Matthias Z. von Antenne 1 gemeldet. Der Radiosender hat ebenfalls im Pressehaus in Möhringen sein Hauptquartier. Und offenbar haben die Kollegen von unserem "Besser leben"-Selbstversuch gehört - und laden mich ins Studio zum Interview für die Sendung "Ostermann und die Morgencrew". So lese ich die Mail erst nach der Kaffeepause am PC - und mache gleich einen Besuch bei Oliver Ostermann und Carolin Seifert im Studio.

Doch dazu mehr morgen an dieser Stelle - und von Mittwoch bis Freitag um 5.10 Uhr und 5.35 Uhr, 8.10 Uhr und 8.35 Uhr auf Antenne 1.

Dienstagmorgen, 6 Uhr.

Montagabend hatte ich einen Workshop mit Journalistik-Studenten der Uni Hohenheim. Saumäßig spannende Sache. Wir haben darüber diskutiert, wie sich junge Leute heute informieren - und wie sie es in Zukunft tun werden. Die wenigstens schauen in die Zeitung, die meisten lesen Nachrichten auf ihren - richtig! - Smartphones. Der eine oder andere hatte seines während des Workshops (ungenutzt) auf dem Tisch liegen.

Darf man in der Vorlesung chatten?

Ich weiß gar nicht, ob es an der Uni inzwischen Regeln für den Umgang mit Smartphones gibt. Oder ob die Studenten während der Vorlesung wild chatten, whatsappen und imessenangen, wie sie gerade lustig sind.

Ich würde ja auf letzteres tippen.

Wenn ich von mir selbst ausgehe. Schließlich gehört es einerseits definitiv zu meinen schlechteren Manieren, während Besprechungen und Konferenzen meine Mails zu beantworten, mit dem Homepage-Chef im Newsroom via Google-Chat über die Themen zu diskutieren oder die neuesten Nachrichten in meinem RSS-Reader abzurufen. Andererseits ist das natürlich eine Methode, seine Zeit möglichst effektiv zu nutzen.

Fünf Stunden offline, puh!

Der Workshop an der Uni Hohenheim hat - inklusive Socializing - jedenfalls zur Folge, dass ich mehr als fünf Stunden offline bin. Keine Mails, keine dpa-Eilmeldungen, keine Chatnachrichten aus der Redaktion. Einziger Kontakt zur Außenwelt ist eine Werbe-SMS der Deutschen Telekom, die auf meinem Nokia eingeht. Das fühlt sich überaus seltsam und auch ein bisschen unangenehm an, als würde ich mein persönliches Funkloch mit mir herumtragen. Und es hindert mich natürlich auch daran, bei Foursquare einzuchecken, um zu dokumentieren, dass ich an der Uni Hohenheim bin - ansonsten eigentlich Pflicht. Ganz eindeutig eine Nerd-Angewohnheit.

Die Erde dreht sich immer noch

Abends vorm Rechner stelle ich erschüttert fest: Die Erde dreht sich immer noch. Meldet auch "Spiegel Online". 47 neue Mails - aber keine dabei, die auch nur ein bisschen dringend ist. Schwer sich das einzugestehen - aber ich habe nicht das Allergeringste verpasst.

Um meinem akuten Social-Media-Unterzucker zu begegnen poste ich noch schnell ein Foto aus dem Seminarraum bei Facebook. Dort habe ich nämlich einen Overheadprojektor entdeckt. Der ist ebenso ein Technik-Dinosaurier wie mein Nokia-Telefon.

Tag 1: Kein guter Start

Montagnachmittag, 14.30 Uhr.

Nach einem halben Tag ist klar: das Nokia 100 und ich werden keine Freunde. Nicht in diesem Leben, nicht auf dieser Welt. Zum ersten Mal seit Menschengedenken muss ich in einem Handbuch nachschauen, um die Grundfunktionen eines Geräts nutzen zu können. Nachdem das Mistding in meiner Hosentasche mehrfach Kontakt zu wildfremdem Menschen aufgenommen hat, habe ich nämlich meine erste Lektion gelernt: Ohne Tastensperre wird man als Besitzer eins Tastentelefons innerhalb von einer Viertelstunde wahnsinnig. 

Zweite Lektion: ohne Smartphone habe ich plötzlich auch keinen Notizblock mehr bei mir. Also schnell zur Kollegin Schmitz ins CvD-Büro, um mir ein Notizbuch zu besorgen. Und einen Kugelschreiber dazu.

"Ach, du arme Sau"

Um 14 Uhr erreicht mich am PC die Mail des Kollegen E., Betreff: "Ach, du arme Sau", Inhalt: der Link zu diesem Artikel. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits zwei SMS bekommen - von wem genau, weiß ich nicht, weil ich mein Outlook-Telefonbuch nicht mit dem Nokia-Dings synchronisiert habe (würde mich vermutlich mindestens einen Tag Arbeit kosten). Allerdings lädt mich der/die/das Unbekannte mit den Worten "Wenn deine Zeit für Internet & Co. limitiert ist, können wir uns die Tage ja mal treffen" zu einem Bierchen ein. Ich nehme mir vor, die Absender zu recherchieren, bevor ich antworte.

Er macht das nur, um mich zu ärgern

Dazu komme ich allerdings nicht, weil Ressortleiter S. auf meinem Handy anruft. Das tut er sonst nie, nie, nie und auch jetzt nur, um mich zu ärgern - weshalb er sich auch erst einmal schlapplacht und ins Telefon schluchtzt "Sie benutzen ja wirklich dieses Dinosauriertelefon, das hört sich ja an wie ein Ferngespräch in den 70er-Jahren". Wir versuchen uns zu verständigen, was aufgrund der Verbindungsqualität eher schwierig ist und seitens des Kollegen am anderen Ende der Leitung zu der Erkenntnis führt: "Mein Gott, ich schreie."

Erschöpft lege ich das Nokia-Telefon zur Seite und erwarte gottergeben, wer mich auf welchem Kanal als nächstes verhöhnen wird.

Montagmorgen, 8.30 Uhr.

"Also kein iPhone?"
"Nein"
"Und kein iPad?"
"Nein"
"Den iPod Touch?"
"Vergiss es!"
"Und mein HTC One?"
"Keine Chance!"

Die Kollegen sind zu keinen Zugeständnissen bereit. Eine Woche ohne iPhone heißt, eine Woche ohne alles, was einem iPhone auch nur entfernt ähnelt.

Was hat das mit "Besser leben" zu tun?

Die herzlose Bande hat in der Redaktionskonferenz diskutiert und beschlossen, dass ich ohne mobilen Internetanschluss auskommen muss. Weil das angeblich meine ganz persönliche Antwort auf die Frage "Besser leben - wie geht das?" ist.

In Wirklichkeit wollen sie mich natürlich nur leiden sehen. Können sie haben. Okay, ich schaue dafür genüsslich zu, wie sich die Kollegin Anja Treiber ausschließlich von Selbstgemachtem ernährt - ich würde nach zwei Tagen verhungern! - und wie Rebecca Müller und Ulrike Ebner ab Mitte der Woche von entsetzlichem Muskelkater gequält werden. Ein fairer Deal.

Ich werde nicht angekrochen kommen!

Selbstverständlich erwarten alle, dass ich Ende der Woche reumütig angekrochen komme. Dass ich die digitale Abgeschiedenheit für mich entdecke. Dass ich die Entschleunigung lieben werde.

Könnt ihr total vergessen. Ich mag es, 20 Stunden am Tag online zu sein. Meine Mails zu lesen, wo immer ich gerade bin (und ja, ich kann ganz gut entscheiden, welche ich sofort beantworte und welche nicht!), alles um mich herum mit der iPhone-Kamera zu knipsen, der Verzweiflung über meinen chronisch defekten Kleinwagen bei Facebook Ausdruck zu geben und aus dem Newsroom irgendwelche Gadgets fernzusteuern, die eine Etage tiefer in meinem Büro liegen.

Gefühltes Baujahr: vor dem Pleistozän

Und ich mag dieses seltsame Telefon, das ich nun eine Woche benutzen soll, gar nicht. Ein Nokia 100, gefühltes Baujahr: kurz vor dem Pleistozän. So ein Ding hatte ich seit zehn Jahren nicht mehr in den Händen. Es kann telefonieren, es kann SMSe verschicken. Mehr kann es nicht. Irgendwie erschütternd.

Angeblich kann es auch MP3-Dateien abspielen, aber vermutlich muss man die direkt von einer Schellack-Platte überspielen. Deshalb weigere ich mich schlicht, die Funktion zur Kenntnis zu nehmen.

Ja, ich bin gereizt!

Sollte ich etwas gereizt wirken - Volltreffer. Ich bin maximal übellaunig. Weil ich jetzt gleich mein iPhone einschließen werde.

Ich habe ja die besten Kollegen der Welt, ganz ehrlich. Aber heute Morgen, glaube ich, lasse ich sie das ausnahmsweise mal nicht spüren.