Fünfjähriger mit BMI 38 Mehr Stuttgarter Vorschulkinder sind extrem adipös

Für übergewichtige Kinder gibt es teils besondere Angebote, wie zum Beispiel im Sport. Foto: Imago/Funke Foto Services

Wie viele Kinder sind übergewichtig? Wie viele können nicht gut hüpfen? Und wie steht es um die sprachliche Entwicklung? Das Gesundheitsamt stellt Zahlen für den Einschulungsjahrgang 2023 vor. Die Ergebnisse sind gar nicht so schlecht – ein Wert ist aber auffällig.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause gewährt das Gesundheitsamt wieder Einblick in die Zahlen der Einschulungsuntersuchung (Esu). Auf die Ergebnisse ist man im Gesundheitsamt selbst gespannt gewesen. Wie hat sich Corona auf den Einschulungsjahrgang 2023 in Sachen Gewicht, Sprachentwicklung und Motorik ausgewirkt? Welche Trends lassen sich ablesen? Denn dass es sich um Trends handelt, darauf legt der Stuttgarter Gesundheitsamtsleiter Stefan Ehehalt wert. Ob sich in der Pandemie etwas verschoben hat, kann man erst sagen, wenn zu mehr Jahrgängen Daten vorliegen.

 

Vor der Esu kann sich kein Elternhaus drücken. Es ist die einzige Untersuchung, die alle 5000 bis 6000 Kinder eines Einschulungsjahrgangs in Stuttgart ablegen. Notfalls wird die Teilnahme mittels Bußgeld durchgesetzt, was aber extrem selten vorkomme, sagt der zuständige Abteilungsleiter Tobias Bischof. Etwas Vergleichbares wie die Esu gibt es sonst nicht, entsprechend wertvoll sind die Daten, um etwas über die Gesundheit der Bevölkerung herauszufinden. Wichtigstes vorläufiges Ergebnis der Untersuchungen: Im Großen und Ganzen seien die Vorschulkinder gut durch die Pandemie gekommen. Aber es gebe besonders belastete Gruppen, was sich vor allem beim Thema Gewicht zeige.

Wie viele Kinder eines Jahrgangs sind übergewichtig? Die allermeisten Vorschulkinder haben keine Gewichtsprobleme. Nach vielen Jahren, in denen der Anteil übergewichtiger Kinder laut den Esu-Ergebnissen zurückging, verzeichnet das Gesundheitsamt für den Einschulungsjahrgang 2023, der 2021 und 2022 untersucht wurde, allerdings wieder einen leichten Anstieg auf 9,1 Prozent. Beim Einschulungsjahrgang 2020 lag der Wert bei lediglich 7,9 Prozent. Dennoch sind auch die 9,1 Prozent immer noch besser als die Vergleichszahlen der Jahrgänge 2010 bis 2013, als mehr als zehn Prozent der Vorschulkinder übergewichtig waren.

Schaut man sich genauer an, wie sich das Übergewicht verteilt, fällt allerdings ein Trend auf, der auch dem Gesundheitsamtsleiter Sorgen macht. Denn der Anstieg bei den adipösen oder sogar extrem adipösen Kindern ist auffällig – von 3,0 (159 Kinder) im Jahr 2020 auf 4,3 Prozent (229). Das sei ein bundesweit zu beobachtendes Phänomen, sagt Ehehalt. Extrem fettleibig sind demnach 90 Kinder. Beim 2020er Jahrgang waren dagegen 53 extrem adipös gewesen. Das schwergewichtigste Kind, das untersucht wurde, war fünfeinhalb Jahre alt. Statt der üblichen 18 bis 20 Kilogramm wog es 53,4 Kilogramm bei einer Größe von 1,19 Meter – das macht umgerechnet einen Body-Mass-Index (BMI) von 38.

In einem solchen Fall müsse man von einer chronischen Erkrankung ausgehen, sagt Ehehalt. Dieses Kind brauche eine kontinuierliche Betreuung und eine spezialisierte Therapie. Leider gebe es in Deutschland zu wenig entsprechende Angebote. Natürlich habe man das Kind – wie alle von starkem Übergewicht betroffenen Kinder – an die eigene Adipositasberatungsstelle vermittelt, die den Familien zur Seite steht und ihnen kostenlose Angebote macht, damit sich die Kinder zum Beispiel mehr bewegen.

Wie ist der Entwicklungsstand bei der Grobmotorik? Für das Grobmotorik-Screening müssen die Kinder auf einem Bein hüpfen und auf einer Linie laufen. Sehen die Fachleute des Gesundheitsamts Auffälligkeiten, setzen sie einen Haken auf ihrem Zettel. Das haben sie früher deutlich häufiger gemacht als zuletzt. Beim 2012er Jahrgang war das Screening bei mehr als 30 Prozent der Vier-bis Fünfjährigen auffällig, beim 2020er Jahrgang dann nur noch bei 23,2 Prozent. „Wir blicken auf eine Erfolgsgeschichte“, bilanziert Ehehalt.

Der Jahrgang 2023 schneidet mit 24,1 Prozent zwar schlechter als der Jahrgang 2020 ab, aber immer noch deutlich besser als der von 2012. Eine Umkehr des rückläufigen Trends sieht Ehehalt daher „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht. Auch bedeute es nicht, dass 24,1 Prozent der 5357 untersuchten Kinder tatsächlich im medizinischen Sinne auffällig in der Grobmotorik wären. Das gelte nur für sehr wenige. Das Screening biete die Gelegenheit auf Fördermöglichkeiten hinzuweisen, erklärt Ehehalt. Man sei insgesamt in einem guten Bereich. Für die positive Entwicklung der vergangenen Jahre macht er vor allem Fördermaßnahmen wie den Stuttgarter Bewegungspass und das Kita-fit-Programm verantwortlich, an dem sich mehr als 75 Prozent der Kitas beteiligen.

Welchen sprachlichen Entwicklungsstand haben die Kinder? In Bezug auf die sprachliche Entwicklung machten die Mitarbeitenden des Gesundheitsamts bei noch mehr Kindern einen Haken, weil ihnen etwas aufgefallen war. Ganze 41 Prozent der untersuchten Vier- bis Fünfjährigen hatten der Auswertung zufolge ein auffälliges Sprachscreening. Hier sind die Unterschiede allerdings groß – je nachdem, ob die Eltern Deutsch als Muttersprache haben oder nicht. Nur bei 17 Prozent der Kinder, deren Familiensprache ausschließlich Deutsch ist, war das Screening auffällig.

Bei 78 Prozent der Kinder mit einer anderen Familiensprache war es dagegen der Fall. Dahinter verbergen sich also vor allem Probleme mit der deutschen Sprache. Würde man die Untersuchung in der Familiensprache machen, gäbe es andere Ergebnisse. Im Wartezimmer plapperten Kinder oft munter mit ihren Müttern, so der stellvertretende Amtsleiter Bischof, da reiche normale Sprachförderung aus. Nur noch die Minderheit des 2023er Jahrgangs hatte Deutsch als Muttersprache; der Anteil beträgt 43 Prozent.

„Wir haben einen gleichbleibenden Förderbedarf“, betont der Kinder- und Jugendarzt. „Intensiven Sprachförderbedarf“ sahen die Fachleute des Gesundheitsamts bei 32,9 Prozent der Kinder – bei genauso vielen wie beim Einschulungsjahrgang 2020.

In diesem Zusammenhang würdigt Bischof die Arbeit in den Kindertagesstätten. Insgesamt stellt er fest, dass der Beratungsbedarf größer und vielfältiger geworden ist. Es kämen mehr Eltern zu ihnen, die Analphabeten seien, und häufiger Kinder, die aus sozial schwierigen Verhältnissen stammen. Da übernehme man oft auch eine Lotsenfunktion.

Kostenlose Bewegungsangebote für übergewichtige Kinder

Adipositasberatung
Vorschulkinder und ihre Familien machen aktuell 20 Prozent der Beratungen in der Adipositasberatung des Gesundheitsamts aus. Der Gesundheitsamtsleiter wünscht sich, noch mehr betroffene Familien würden „den Weg in die Beratungsstelle finden“. Die Fachleute vermitteln unter anderem kostenlose Bewegungsangebote speziell für übergewichtige Kinder, die in Zusammenarbeit mit dem Sportamt und dem Kinderbüro auf die Beine gestellt wurden und die auch Schwimmkurse umfassen; ab September werden diese wegen des hohen Bedarfs aufgestockt von acht auf zehn Angebote. Bisher würden rund 100 Kinder und Jugendliche dank der Kurse erreicht.

Turnstiftung
Landesweit zeigt sich ein „Gewichtssprung“, sobald Kinder die Grundschule besuchen. Darauf hat zuletzt eine Studie der Kinderturnstiftung aufmerksam gemacht. In deren Fitnessbarometer, das im Mai vorgestellt wurde, zeigte sich, dass der Anteil der krankhaft fettleibigen Kinder in Baden-Württemberg mit dem Schuleintritt deutlich ansteigt.

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