Stuttgart - Der Ton der Immobilienanzeige ist fast schwärmerisch: „Betritt man das Grundstück und schließt das Tor hinter sich, ist man in einer anderen Welt! Eine grüne Oase und eine Stille erwarten einen, wie man es so in Stuttgart nicht vermuten könnte. Ein herrlicher Baumbestand umgibt das einzigartige Wohnhaus, welches durch den Turm eine außergewöhnliche Charakteristik erhielt.“ Wer da nicht neugierig wird. Zumal das Inserat noch weit mehr verspricht: „Das Haus betritt man durch ebendiesen Turm. Geschlämmte Wände, Solnhofer Platten, ausgesuchtes Mobiliar und von Schmitthenner entworfene Wandlampen strahlen schon hier den Geist des Hauses aus.“
Eine andere Form von Moderne
Der Geist des Hauses hat etwas mit Paul Schmitthenner (1884–1972) zu tun, neben Paul Bonatz Hauptvertreter der sogenannten Stuttgarter Schule, einer Architekturrichtung, die auf Traditionalismus setzte. Wegen seiner Rolle im Nationalsozialismus ist Schmitthenner hoch umstritten. Gleichzeitig hat er in Stuttgart als Architekt bedeutende Spuren hinterlassen: etwa beim Wiederaufbau des Alten Schlosses, beim Olgabau oder der Erweiterung des ehemaligen Alten Waisenhauses.
Auf Schmitthenner geht auch die Kochenhofsiedlung als Gegenentwurf zur benachbarten Weißenhofsiedlung zurück. Diverse Villen auf dem Killesberg tragen ebenfalls seine traditionalistische Handschrift. Eine davon ist das jetzt wortreich beworbene Anwesen, das im Internet für den stolzen Preis von 7,9 Millionen Euro angeboten wurde. Neuerdings steht dort „nicht verfügbar“. Alles deutet darauf hin, dass die Immobilie einen Käufer gefunden hat. Das Maklerbüro wollte sich dazu nicht äußern.
Aus Sicht der Denkmalbehörde ist das Gebäude kein Kulturdenkmal
Stephan Trüby, der Direktor am Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen der Universität Stuttgart, ist darüber beunruhigt. Er befürchtet: „Hier droht der Abriss eines der wichtigsten Stuttgarter Wohnhäuser der 1960er Jahre.“ Denn das knapp 4000 Quadratmeter große Anwesen an der Eduard-Pfeiffer-Straße unweit des Kriegsbergturms, lässt eine erheblich größere Bebauung zu. Die Wohnfläche der Villa beträgt etwa 310 Quadratmeter. Trüby verweist auf das Schicksal einer benachbarten Schmitthenner-Villa. Im Jahr 2019 wurde das sogenannte Haus Köster abgerissen – kurz bevor sich die Denkmalbehörde davon ein Bild machen konnte.
Ob es auch in diesem Fall so weit kommt, hängt vom neuen Eigentümer ab. Am Denkmalschutz wird ein Abriss nicht scheitern, denn das Gebäude ist nicht geschützt. Auf Anfrage teilt das Landesamt für Denkmalpflege beim Regierungspräsidium Stuttgart mit: Die Villa sei im Zuge der systematischen Erfassung der Bau- und Kunstdenkmale nicht in das Denkmalverzeichnis der Stadt Stuttgart aufgenommen worden. „Als Ergebnis einer wechselvollen Planungs- und Baugeschichte entstand ein architektonisch heterogener Bau, der den für eine Ausweisung als Kulturdenkmal nötigen exemplarischen Wert und die nötige Integrität nicht im ausreichenden Maße erfüllt“, argumentiert die Behörde. Die Entscheidung sei nach Aktenlage erfolgt. „Eine Begehung hat nicht stattgefunden.“
Die „hochinteressante“ Geschichte der Villa
Trüby, der das Haus von innen gut kennt, kommt zu einer anderen Bewertung: In dem „architektonisch heterogenen Bau“ sieht er im Gegensatz zu den Denkmalschützern gerade eine Besonderheit der Villa. Sie enthalte sowohl Elemente des Vorkriegswerks als auch des Nachkriegswerks von Schmitthenner. Und wechselvoll ist deren Geschichte in der Tat. Der Bauherr des Wohnhauses war der Stuttgarter Industrielle Otto Werner, der Schmitthenner in den 1920er Jahren mit einem ersten Entwurf beauftragte. Gebaut wurde die Villa allerdings erst im Jahr 1936 auf der Grundlage eines zweiten Entwurfs. Im Krieg erlitt das Gebäude schwere Treffer. Nach Kriegsende wurde es zunächst instandgesetzt und 1962 nach Plänen des damals 78-jährigen Schmitthenner für den Sohn Otto Werners, Johannes, aufgestockt und teilweise neu gestaltet. Diese Kombination hält Architekt Trüby für „hochinteressant“. Durch die gemischte Bauweise erhält das Gebäude seiner Ansicht nach einen „eigenen Denkmalwert“. Das bis zuletzt im Familienbesitz befindliche Gebäude müsse unbedingt erhalten werden. Der Architekturprofessor plädiert für eine „Neubewertung“ durch die Denkmalschutzbehörde.
„Auch problematische Menschen können gute Architekten sein“
Auch Schmitthenners Nazi-Vergangenheit ist für Trüby kein Grund, dessen Gebäude infrage zu stellen. Solche Stimmen waren im Zusammenhang mit dem Abriss des benachbarten Köster-Hauses laut geworden. „Auch zutiefst problematische Menschen können sehr gute Architekten sein“, sagt Trüby. Ein solcher sei Schmitthenner zweifellos gewesen. Der Wert eines Gebäudes werde durch seine Haltung im Nationalsozialismus nicht reduziert.